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Aus: Ausgabe vom 11.05.2024, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Euer Name sei Nobody

Der Kampf geht weiter: In seinem Buch »Knife« outete sich der Kulturliberale Salman Rushdie als Kulturbourgeois
Von Stefan Gärtner
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Unerschütterlich von seiner Sendung überzeugt: Salman Rushdie

Am 12. August 2022, 33 Jahre nach der legendären »Fatwa« wider den Autor der »Satanischen Verse«, attackiert ein junger Islamist aus New Jersey den in New York lebenden Weltschriftsteller ­Salman Rushdie auf offener Bühne mit einem Messer. Rushdie wird schwerst verletzt, entkommt dem Tod mit knapper Not und verliert das rechte Auge. In »Knife. Gedanken nach einem Mordversuch« tut er jetzt das, was die Psycho­logie aufarbeiten nennt, und denkt »zurück an diesen glücklichen Mann«, wie er vor dem Angriff in den sommerlichen Mond schaut: »Er ist glücklich, weil sich ihm ein schöner Anblick bietet und weil er verliebt ist und weil er mit seinem jüngsten ­Roman fertig ist – gerade hat er ihm den letzten Schliff gegeben, hat die Fahnen Korrektur gelesen –, und die ersten Leser sind begeistert. Sein Leben fühlt sich gut an.« Und dann kommt dieser andere, weniger glückliche Mann und sticht so heftig auf den Autor ein, dass der Ralph-Lauren-Anzug in Fetzen hängt. »Dann aber wurde er«, der Attentäter, »von mir abgezogen und festgehalten, seine siebenundzwanzig Sekunden Ruhm waren vorbei. Und er war wieder ein Niemand.« Während Rushdie auf einer PEN-Gala ein Jahr später den »Centenary Courage Award« erhält: »Wir dürfen uns von Terror nicht terrorisieren lassen. Gewalt darf uns nicht vom Weg abbringen. La lutte ­continue. Der Kampf geht weiter.«

Dieser »gute Kampf« ist freilich keiner für die Niemande, sondern einer fürs freie Wort und gegen das »falsche Narrativ« des religiösen und politischen Extremismus. Denn »die Freiheit« ist »überall von bien-­pensant-Linken wie auch von Bücher verbietenden Konservativen bedroht«, und es ist bemerkenswert, wie treuherzig Rushdie den alten linken Verdacht illustriert, die Freiheit des Gedankens sei bloß die Freiheit des Kapitalismus. Man muss die Tat des jungen Deppen, der sich, glauben wir seinem Opfer, von einem Youtube-Mufti auf den irren Weg hat bringen lassen, nicht verteidigen, um nicht doch zu finden, die Kulturbourgeoisie, als deren Teil Rushdie sich spreizt, habe nichts dagegen, junge Niemande dazulassen, wo sie hingehören, im abgedunkelten Zimmer mit schnellem WLAN nämlich, während sich Bildung und Geschmack »beim Chinesen in Tribeca« treffen. »Ich erinnerte mich auch daran, dass wir in der Zeit, ehe ich nach New York kam, ehe Ian McEwan und seine Frau Annalena McAfee ihr Anwesen in den Cotswolds kauften, ehe Martin (Amis) und Isabel nach Brooklyn zogen, dass wir drei – Martin, Ian und ich – uns ziemlich regelmäßig zum Essen trafen, meist im Elena’s L’Étoile in der Charlotte Street in London, um die Welt wieder ins Lot zu rücken.«

So sieht die Welt, möchten wir schmunzeln, auch aus, und es ist gar zu dumm, dass die vielen Dummköpfe nicht mit Rushdie in Cambridge waren, sondern lieber so dumm bleiben wie der Angreifer, den Rushdie »A.« (wie Arschloch) nennt und von dem er nicht glaubt, einer Auseinandersetzung mit dem personifizierten Geist gewachsen zu sein: »Sollte ich ihm gegenüber das bekannte Diktum von Sokrates ›Das unerforschte Leben ist nicht lebenswert‹ erwähnen, so bezweifelte ich, dass ihm dies eine interessante Antwort entlocken würde. Also entschied ich, dass ich mir seine Klischees nicht anzuhören brauchte. Für mich wäre es besser, ich würde ihn mir ausdenken«, und das werden die auf der Frage: Wer spricht? beharrenden bien-pensant-Linken gern hören, auch wenn das Gespräch, das Rushdie sich ausdenkt, schriftstellerisch gelungen ist. »Ich möchte A. fragen, wie es sich anfühlt, das eigene Leben ruiniert zu haben, vermute aber, dass Shakespeare womöglich nicht den besten Zugang bietet«, und wer nie vermutet hätte, der Welterfolgsautor sei ein Angeber und Bildungsphilister, kann sich in »Knife« überraschen lassen.

»Ich bin schon immer ein Junge der Großstadt gewesen, ob Bombay, London oder New York«, wobei das Publikum gern voraussetzt, dass von den besseren Vierteln die Rede ist. Als Rushdies in London lebender Sohn Milan trotz schlimmer Flugangst zum Vater ins Krankenhaus will, findet sich gleich eine Gönnerin, die ihm die Passage auf der »Queen Mary 2« spendiert (wir hätten uns ein paar Xanax verschreiben lassen), und soll Rushdie aus Sicherheitsgründen erst mal nicht in die eigene Wohnung, hat er Freunde mit einem Loft in Soho. Und als seine Frau Eliza – natürlich kein Niemand, sondern »eine versierte Fotografin und Videofilmerin (wie auch Romanautorin und Dichterin – manchmal glaube ich, ihr Talent kennt keine Grenzen)« aus ebenso talentierter Familie – findet, dass »der Druck zu groß« wird und sie »weg« muss, ist auch das mit einem Anruf erledigt: »Ich gab ihr recht und rief den Manager eines karibischen Resorts an, in dem wir beide glücklichere Tage verbracht hatten.«

Der Wille zur Selbstreflexion ist gewiss keine Haupttugend der islamischen Welt, für die A. in den Kampf gezogen ist. Doch dass Rushdie sich nicht mit der Frage aufhält, warum das freie schriftstellerische Wort viel eher aus Cambridge denn Karatschi kommt und wer oder was die Massen hervorbringt, die radikalisierte Religion oder Faschismus dann verhetzen kann; dass er, nachdem seine Frau für 20.000 Dollar mit dem Privatjet an sein Intensivbett geflogen ist, wirklich hinschreibt: »Kunst ist kein Luxus«, ist wirklich goldig; als würde die New Yorkerin, die kein Loft in Soho hat, sondern drei Jobs, um über die Runden zu kommen, abends noch Romane schreiben.

Nein, die liberal-bürgerliche Welt, in der und für die Rushdie arbeitet, ist wirklich so unerschütterlich von ihrer Sendung überzeugt, wie es Fontane schon ungut auffiel, und irgendeinen ironischen Abstand zu ihr sucht man in »Knife« vergebens. Die Freude darüber, die Sache überstanden zu haben, sei Rushdie von Herzen gegönnt; aber dass ein Schriftsteller, mit Metapher und doppelter Bedeutung doch vertraut, partout nicht merkt, was er über sich und diese Welt verrät, die auch sein New Yorker Freund Daniel Kehlmann so lauter vertritt, ist eine geradezu deprimierende Erfahrung: »Ich stand da, wo ich fast getötet worden war, trug – das muss ich Ihnen verraten – meinen neuen Ralph-Lauren-Anzug und fühlte mich … ganz.« Denn wie es auch sei, das Leben, es ist gut: »Selbst an diesem himmelblauen Tag wusste ich, unser Glück war nicht länger dieses wolkenlose Etwas, das wir zuvor gekannt hatten. Es war ein verletztes Glück, und in einer seiner Ecken lauerte ein Schatten, vielleicht für immer. Trotzdem war es ein starkes Glück, und während wir uns umarmten, wusste ich, es würde genügen.«

Und mehr, ihr Niemande, bedarf’s nicht.

Salman Rushdie: Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. Aus dem Englischen von Bernhard Robben, Penguin-Verlag, München 2024, 256 Seiten, 25 Euro

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (10. Mai 2024 um 22:06 Uhr)
    Wenn Reza Pahlavi eines Tages Kalif von Teheran werden sollte, wird Salman Rushdie sein Wesir. In gewissen iranischen Kreisen kreisen entsprechende Parolen.

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