Holt den Hochdruckreiniger
Von Ken Merten
Das Unbehagen im Kulturkampf teilt das Geld nicht. Mancher Boykottaufruf ist bessere Werbung als dereinst ein Verriss von Marcel Reich-Ranicki. Für Till Lindemann und Rammstein geht das Geschäft prächtig, und Hubert Aiwanger erfreut sich so großer Beliebtheit, er wird wohl vor der nächsten Wahl seinen Bruder bitten, ein neues Pamphlet zu verfassen und an Schulen zu verteilen. Skandale schaffen öffentliche Plätze, auf denen hingerichtet oder orgiastisch gefeiert werden kann. Oder beides.
Slaughter to Prevail sind um-, und haben ihre Arena woanders hochgezogen: 2022 verließ die Jekaterinburger Deathcoreband Russland in Richtung USA, weil sie mit dem Einmarsch in die Ukraine nicht einverstanden war. Damals veröffentlichte die Gruppe »1984«: »Please stop the violence / Please stop the bloodshed on earth / My brother, my brother / Anger will live in memory / Anger will live and prevail.« Der Song mit der allerseits aushaltbaren Kritik findet sich nun auf dem dritten Album des Quintetts, »Grizzly«. Auch wenn Aleksandr »Alex Terrible« Shikolai und Co. wahrscheinlich nicht befürchten müssen, dass die ICE sie von der Bühne und in den Abschiebeflieger zerrt, macht schon der Titel klar, dass hier eine Einbürgerung ins Nordamerikanische beantragt wird.
Der »Russian Grizzly in America« nudelt sich auch westlich des Atlantiks durch den Betrieb und ist der Kulturindustrie bravster Tanzbär: Kurz vor der Albumveröffentlichung nahm Alex Terrible an einem Boxkampf ohne Handschuhe teil, »bare knuckle« also. Würde es Aufmerksamkeit generieren, der Schreihals, der in der Vergangenheit erklären musste, was denn die Nazisymboliken auf seiner Haut und Kleidung zu suchen hätten, er würde sich Kopf nach unten von der Freiheitsstatue plumpsen lassen. Eine männlichkeitskultig-blutiggehauene Fresse aber reicht wohl.
Und ein bisschen Skandal: Neben der japanischen Kawai-Metal-Band Babymetal wurde auch die antiwokistische Labertasche Ronald Radke von Falling in Reverse zur Mitarbeit an »Grizzly« eingeladen. Das Ergebnis: »Imdead« klingt nach Suicide Silence auf ihrem von der Masse verschmähten 2017er Self-Titled-Album und mehr noch nach langweiligem, ideenlos mit Samplings drapiertem Füllmaterial, das sich bei Slipknot ab und an findet. Mit dem Song ging es aber wohl vorrangig um Kalkül: Wer sich mit Radke abgibt, fleht um Aufmerksamkeit qua Cancel Culture. Das gelingt gut: Manche Musikmedien strafen mit Nichtbeachtung, nur um in den Kommentarspalten emsig darauf hingewiesen zu werden, sie hätten da frevelhaft etwas unter den Teppich gekehrt. Und dort stinkt es vor sich hin.
»Grizzly« ist ein reines Effektwerk: Kitschiger Heimatschund (»Rodina«) klemmt zwischen generischem Blastbeat- und Shreddinghochdruck, der bloß nicht Alex Terrible die Show stehlen soll. Denn: Rollt das R, rollt der Rubel. Terrible knurrt und keift gar schröcklich, aber so sehr vom Autotunekorsett gehalten, man möchte den Kärcher draufhalten und mit Hochdruck wegspülen, was da zusammengepanscht wurde.
Ehrlich stumpf sind Slaughter to Prevail aber: »Lift that Shit« sagt schon in den Lyrics aus, dass die Durchhaltekapelle dafür da ist, die Muckibude zu orchestrieren. Nichts, was man canceln muss. Es reicht, es nicht zu hören.
Slaughter to Prevail: »Grizzly« (Sumerian Records)
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