Gegründet 1947 Dienstag, 29. Juli 2025, Nr. 173
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Ein Jandlhundert

Von Pierre Deason-Tomory
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Der Gummi muss weg: Um mal wieder die Nachbarn überfallen zu können, braucht es Nachwuchs

Am 1. August 1925 wurde in den hauptstädtischen Resten einer untergegangenen Operettenmonarchie der Nestbeschmutzer Ernst J. geboren, dessen Nachname aus Gründen der nationalen Gemeinheit geheimbleiben muss. Er erreichte gegen alle Wahrscheinlichkeit das Erwachsenenalter, indem er nach Einberufung zum Kriegsdienst 1943 zum Gegner überlief. Im Laufe seines Lebens trat er aus der SPÖ und der Rechtschreibung aus, enthauptete die Großbuchstaben unschuldiger Hauptwörter und verging sich seriell an der deutschen Sprache (»ottos mops hopst fort«). Respektlos auch sein Umgang mit der deutschen Geschichte: »da steht der braune mann vor mir und schlägt. / diesmal heb ich die hand, jedoch zu spät. / bald fällt ein knochensack ins massengrab. / dann bin ich, wo ich meine freunde hab.«

Er ist seiner Strafe nicht entgangen. J. wurde noch zu Lebzeiten von behördlichen Exekutivkommandos kanonisiert und verstarb im Juni 2000 in Wien mit nur 74 Jahren an den Spätfolgen einer musikalischen Früherkrankung an Pauken und Trompeten. Zum mahnenden Gedenken bringt Ö 1 am Freitag: »Zweifel an der Sprache«, Ernst Jandl referiert beim Steirischen Herbst 1973 (11.05 Uhr). »Die Welt ist laut – laut ist schön!«, Peter Huemer im Gespräch mit dem ­Lyriker (ORF 1988, 16.05 Uhr). »Weltgebräuche«, Mitschnitt der Uraufführung einer »unheiligen Allianz von Ernst Jandl mit Kirchenorgel und Soloposaune« (ORF 1986, 19.30 Uhr). Und »Der Dichter Ernst Jandl und seine unheimliche Liebe zum Jazz«, Feature von Bert Noglik (20.25 Uhr).

Weitere Programmvorschläge: »Freiheit unter Dschihadisten?« Reportage aus Syrien von Marc Thörner (DLF/WDR 2025, Di., 19.15 Uhr, DLF, So., 13.04 Uhr, Mo., 20.03 Uhr, WDR 5). »Bruno Jasieński«, Ausgabe der »Wutpilger-Streifzüge« über den erst vor wenigen Jahren ins Deutsche übersetzten sowjetischen Futuristen (Elisabeth Namdar, Vladimir Vertlib 2022, Di., 20 Uhr, FSK Hamburg). Von den Wagner-Festspielen in Bayreuth werden am Mittwoch der »Parsifal« übertragen und am Freitag der »Lohengrin« (jeweils live-zeitversetzt, 20.03 Uhr, BR Klassik, HR 2 Kultur, NDR Kultur, Radio 3, SR Kultur, SWR Kultur, WDR 3).

Am Wochenende bringt Bayern 2 ein »Bayerisches Feuilleton« von Markus Metz und Georg Seeßlen über den sagenhaften »Tarzan in Tölzbad« (BR 2013, Sa., 8.05 Uhr, So., 12.05 Uhr). »Nume no vor em Färnseh« ist kein weiteres Jandl-Zitat, sondern der Titel eines Mundartgedichts des Solothurner Autors Ernst Burren, zu hören in der Werkcollage »Gmeinschaftsantenne« von Reto Ott (SRF 2024, Sa., 20 Uhr, SRF 2 Kultur). Auf der »Lauschinsel« erzählt Gudrun Rathke ein Märchen aus der Türkei, »Der Koch, der nicht kochen konnte« (So., 8.04 Uhr, HR 2 Kultur). Johanna Rubinroth beleuchtet in ihrem Essay »Geld, Glück, Gier« emotionale Seiten von Haben und Nichthaben (So., 9.30 Uhr, DLF).

»Ich sah eine rote Libelle« ist ein Hörspiel, aufgebaut auf Augenzeugenberichten von Menschen, die den Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945 überlebt haben (SFB 1985, So., 14.04 Uhr, HR 2 Kultur). Letzter Vorschlag sei ein aufschlussreiches Feature über die Unfähigkeit und/oder Unlust der modernen Europäer, sich patriotisch fortzupflanzen, »Fruchtbarkeit in der Krise« (DLF 2025, Mo., 19.05 Uhr, Ö 1). Hilft nichts. Die Bundesregierung wird die Glieder des Volkskörpers tüchtig stärken müssen, damit Kinder geboren werden, die wir geben können, damit sie nach deutscher Väter Sitte wieder die Nachbarn (»wo ich meine freunde hab«) überfallen (»knochensack ins massengrab«).

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