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Aus: Ausgabe vom 22.07.2025, Seite 6 / Ausland
Krieg gegen Gaza

Arabische Länder als Komplizen

Krieg gegen Gaza: Sprecher der Kassam-Brigaden hält erste Rede seit Israels Bruch der Waffenruhe im März und prangert internationale Untätigkeit an
Von Mathias Dehne
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Während der vergangenen Waffenruhe: Hamas-Kämpfer trauern um Gefallene (Gaza-Stadt, 28.2.2025)

Es war das erste Mal seit mehr als vier Monaten, dass sich Abu Obeida, Sprecher der Kassam-Brigaden (militärischer Flügel der Hamas), öffentlich zu Wort gemeldet hat. Die am Freitag vom arabischen Dienst des katarischen Senders Al-Dschasira in voller Länge ausgestrahlte Rede hatte allein bis Montag mittag fast 2,8 Millionen Aufrufe. Nicht nur diese Kennzahlen verdeutlichen die hohe Relevanz des als charismatisch beschriebenen Redners, der den Spitznamen »Wörterbuch des Kampfes« trägt.

Inhaltlich war die erste Ansprache, seit Israel die Waffenruhe im Gazastreifen am 18. März einseitig gebrochen hatte, in mehrfacher Hinsicht besonders. Die »neue Phase (…) des Völkermords«, wie das türkische Außenministerium damals urteilte, war Ausgangspunkt der Rede. So wurde ausführlich auf die im Mai begonnene Operation »Gideons Streitwagen« der israelischen Armee und die Gegenoperation »Steine Davids« Bezug genommen. In diesem Zusammenhang wurde die derzeitige Strategie der Kassam-Brigaden dargestellt, gezielte, wirkungsvolle Operationen aus kürzester Distanz durchzuführen und die Gefangennahme von Soldaten anzustreben. Eine dieser gezielten Operationen in Khan Junis vor einem Monat, als zwei Militärtransportfahrzeuge aus nächster Nähe attackiert wurden, hatte den Tod von sieben israelischen Soldaten zur Folge. Durch die Gegenangriffe über weite Teile der Küstenenklave sei Gaza die »größte militärische Schule für den Widerstand eines Volkes gegen seine Besatzer in der modernen Geschichte«, wie Obeida erklärte.

In der Ansprache wurde außerdem den Bruderfraktionen gedankt. Gemeint sind jene Kräfte im »Gemeinsamen Kommandoraum« (GKR), der nach den Rückkehrmärschen 2018 eingerichtet wurde. Er dient der Abstimmung von Operationen zwischen den Fraktionen. Der GKR umfasst auch die fortschrittlichen Kräfte wie die »Nationalen Widerstandsbrigaden« der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas. Letztere zeigten in einem am Sonntag publizierten Video, wie sie gemeinsam mit weiteren Widerstandsfraktionen Mörser iranischen Fabrikats gegen israelische Truppen in Dschabalija einsetzen. Schließlich hieß es bei Obeida, dass die Kassam-Brigaden für einen langen Abnutzungskrieg bereit seien.

Auch auf die Geiselfrage und Verhandlungen wurde eingegangen. Der palästinensische Vorschlag eines umfassenden Abkommens inklusive Freilassung aller Festgehaltenen sei abgelehnt worden. Die Regierung von Benjamin Netanjahu habe kein Interesse an den Gefangenen im Gazastreifen.

Besonders war die Ansprache auch im Hinblick auf die scharf geäußerte Kritik an der arabisch-islamischen Welt und ihrer Komplizenschaft. Dabei nehmen die Ansarollah (»Huthi«) im Jemen eine gesonderte Stellung ein. Ihnen – wie auch Solidaritätsbewegungen weltweit – wurde Hochachtung ausgesprochen. Die Führer, Eliten, Parteien und Gelehrten der arabisch-islamischen Welt hingegen wurden als »Gegner« gekennzeichnet. Ohne sich der Straffreiheit, des Schweigens und des Verrats dieser Länder sicher zu sein, so hieß es sinngemäß, wäre Israel nie zu einem Völkermord imstande gewesen. Beschlossen wurden diese Ausführungen mit der Frage, ob keine große Nation den hungernden und belagerten Menschen Gazas Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung gewährleisten und das Blutvergießen stoppen könne.

Die Äußerungen Abu Obeidas sollten nicht verhallen. An einem Protestmarsch für Gaza in Al-Tafaila, einem Stadtteil der jordanischen Hauptstadt Amman, nahmen am Samstag abend mehr als tausend Menschen teil. Über die Einwohner Al-Tafailas, die vordergründig aus dem Süden Jordaniens stammen, wird berichtet, dass sie selbst persönliche Wertgegenstände wie Schmuck verkauften, um den Menschen in Gaza zu helfen. Viele Sprechchöre spiegelten wider, was auch der Rede zu entnehmen war. So war die Forderung zu hören, das Friedensabkommen »Wadi Araba« von 1994 zwischen Jordanien und Israel aufzukündigen.

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