Ishiba macht weiter
Von Igor Kusar, Tokio
Mit der politischen Stabilität, die Japan lange Zeit prägte, ist es nach den Oberhauswahlen vom Sonntag nun endgültig vorbei. Nach dem Verlust der Mehrheit bei den Unterhauswahlen vom vergangenen Oktober verliert die Regierungskoalition aus Liberaldemokraten (LDP) und Komeito ihre Dominanz nun auch in der schwächer dotierten kleineren Kammer. Ministerpräsident Ishiba Shigeru (LDP), der die Wählerschaft bisher enttäuschte und wenig Initiative zeigte, will jedoch trotz der Wahlniederlage seine Minderheitsregierung weiter anführen.
Für ihn brechen unsichere Zeiten an. Von den 125 Mandaten, die diesmal in der 248 Sitze umfassenden Kammer zur Disposition standen, gewinnt die Regierungskoalition nur gerade mal deren 47. Die LDP bleibt jedoch auch im Oberhaus die bei weitem stärkste Kraft. Große Gewinnerinnen der Wahlen sind zwei mit populistischen Wahlprogrammen angetretene kleinere Parteien: die rechtskonservative Sanseito und die Demokratische Volkspartei (DVP), eine Mittepartei. Beide konnten sich deutlich verbessern.
Trotz dieses erneuten politischen Erdrutsches und der Stärkung des Populismus lässt sich jedoch behaupten, dass die Mühlen in Japan langsamer mahlen als in vielen westlichen Ländern. Obwohl die konservativ ausgerichtete LDP als Dauerregierungspartei mit ihrem für sie typischen Fokus auf Klientelismus und Hinterzimmerdeals sowie ihrem schwierigen Verhältnis zur fortschreitenden Diversität wie aus der Zeit gefallen erscheint, dauert der Ablösungsprozess in der japanischen Politik lange. Gründe sind sicherlich die konservative Grundhaltung wie auch die Unruhe und die Querelen in der Opposition mit ständigen Auflösungen und Neugründungen von Parteien – eine Tendenz, die mit der Parteipolitik zusammenhängt, die stark auf Personen und nicht auf Themen ausgerichtet ist. Dies verunsichert die Wählerschaft, die der LDP wegen deren guter Vernetzung immer wieder eine Chance gibt.
Der Opposition gelang es im Wahlkampf trotz der Gewinne denn auch kaum zu überzeugen. Die hochkomplexen Krisen, die auch Japan fest im Griff haben, wie wirtschaftliche Stagnation und Bevölkerungsrückgang, wurden stark verkürzt dargestellt und Lösungen auf einfache Formeln heruntergebrochen, die bloß kurzfristige Abhilfen bieten. Der Wahlkampfschlager war bei vielen Parteien die kurz- bis langfristige Reduktion oder Aufhebung der Konsumsteuer. Dies sollte Haushalte entlasten, die unter hohen Preisen und Inflation leiden. Eine umfassende Diskussion der Finanz- und Schuldenpolitik wurde jedoch kaum geführt.
Neu zum Wahlkampfthema avancierte diesmal das Thema Migration. Die Zahl der in Japan lebenden Ausländer nahm letztes Jahr um satte zehn Prozent zu, ihre Gesamtzahl stieg auf fast vier Millionen. Dies entspricht allerdings immer noch nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Trotzdem fühlten sich viele Wähler vom Thema, das einige Parteien mit Überfremdungsangst schürten, angesprochen. Da nützte es auch wenig, dass linke Kräfte versuchten, Einwanderung in einen ökonomischen und sozialen Gesamtzusammenhang zu stellen. Symptomatisch dafür ist etwa, dass die linksliberale Konstitutionell-Demokratische Partei (CDP) im Gegensatz zu ihren populistisch ausgerichteten Rivalinnen keine Sitze hinzugewinnen konnte. Sie bleibt jedoch größte Oppositionskraft.
Die LDP wird nun wahrscheinlich versuchen, eine dritte Partei in die Regierungskoalition zu holen, um als Mehrheit regieren zu können. Spekuliert wird bereits seit längerem, dass sich die DVP dem Regierungsduo anschließen könnte. Der ehrgeizige Chef der DVP, Tamaki Yuichiro, hegt sogar Ambitionen, Premierminister zu werden. Angesichts dieser Konstellation wird Ishiba große Mühe haben, sich auf seinem Sessel zu halten. Was ihn retten könnte, sind die anstehenden Zollverhandlungen mit den USA, die einen Wechsel an der Spitze problematisch machen. Doch jede Allianz wird fragil bleiben, Streitigkeiten werden zur Tagesordnung gehören. Die großen politischen Herausforderungen des Inselstaats werden wohl weiterhin ungelöst bleiben.
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