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Aus: Ausgabe vom 26.04.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Kratzer an Jordaniens Thron

Amman verbietet nach angeblichem Komplott Muslimbruderschaft – und Protest gegen Israel
Von Jakob Reimann
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Auch in Jordanien steht die Bevölkerung im Unterschied zur Regierung hinter den Palästinensern (Amman, 27.9.2024)

Das jordanische Königshaus schlägt zu: Am Mittwoch wurde die Muslimbruderschaft offiziell verboten, ihre Vermögenswerte wurden beschlagnahmt und Büros geschlossen. Jegliche Aktivität der bedeutendsten Oppositionsgruppe, die seit Jahrzehnten legal in Jordanien tätig ist und im ganzen Land über eine breite Basis verfügt, werde als illegal betrachtet, zitierte Times of Jordan am selben Tag aus einer Erklärung des Innenministers Masin Al-Farraja. Die Verbreitung ihrer Ideologie sowie der bloße Versuch dessen seien fortan ebenfalls verboten.

Auch in den Büros der Islamischen Aktionsfront (IAF), die als politischer Arm der Bruderschaft gilt, gab es Razzien. Die IAF betonte jedoch ihre Unabhängigkeit von der Muslimbruderschaft und versuchte, mit nationalistischen Avancen zu beschwichtigen: Die Partei werde sich dafür einsetzen, »die Interessen der Nation und ihrer Bürger zu verteidigen« sowie »die Sicherheit und Stabilität Jordaniens zu gewährleisten«, zitierte Al-Dschasira IAF-Generalsekretär Wael Al-Sakka am Mittwoch. Tage zuvor waren angebliche Sabotagepläne der Muslimbruderschaft vereitelt und 16 Personen festgenommen worden. Kritiker sehen im Verbot einen politischen Angriff auf die stärker werdende Opposition im Land.

Mehr als die Hälfte der jordanischen Bevölkerung hat palästinensische Wurzeln, was auf Vertreibungen während der Nakba 1948 und des Nahostkriegs 1967 zurückgeht. Diese demographische Realität hat erhebliche innenpolitische Auswirkungen, insbesondere nach Einsetzen des israelischen Kriegs gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza nach dem Überfall der Hamas und anderer palästinensischer Gruppen am 7. Oktober 2023. So sind 72 Prozent der Jordanier der Auffassung, Israel begehe in Gaza einen Völkermord, und 93 Prozent beteiligen sich an einer Boykottkampagne gegen Firmen, die als proisraelisch wahrgenommen werden, zitierte der US-Thinktank Carnegie Endowment im Oktober 2024 aus einer Umfrage.

Die IAF steht der Hamas ideologisch nahe, da beide aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen sind, und unterstützt sie politisch und rhetorisch. Formelle oder operative Verbindungen bestehen jedoch keine. Die IAF nutzte und verstärkte die palästinasolidarischen Stimmungen in der jordanischen Bevölkerung und organisierte seit Kriegsbeginn große Proteste in der Hauptstadt Amman und in anderen Städten wie Irbid und Sarka. Die Demonstranten versammelten sich vor den Botschaften Israels, der USA und Ägyptens, um gegen die Rolle dieser Länder im Krieg gegen ihre palästinensischen Schwestern und Brüder zu protestieren: »Amman – Gaza, ein Schicksal«, hieß es zum Beispiel auf Plakaten im März. Auch wurde offen das Aufkündigen des israelisch-jordanischen Friedensvertrags von 1994 gefordert. Die Teilnehmer wurden immer wieder von der Polizei mit Tränengas angegriffen und mit Schlagstöcken niedergeknüppelt, dokumentierte Amnesty International bereits im April 2024. Tausende Personen wurden festgenommen, und die Monarchie behielt mit ihrer bewährten Kombination aus brutaler Repression und symbolischer Solidarität mit Palästina letztlich die Kontrolle.

Hatten die Massenproteste zwar noch keinen offen staatsgefährdenden Charakter, erzeugten sie doch starken Druck auf die Regierung und belegten die wachsende Entfremdung zwischen der Bevölkerung und der Israel-Politik des Königshauses, die als Gleichgültigkeit bis hin zu Komplizenschaft wahrgenommen wird. Im vergangenen Jahr konnte die IAF diese Wut der Straße in politisches Kapital ummünzen und fuhr mit über einem Drittel der Stimmen bei den Parlamentswahlen im Oktober ein historisches Ergebnis ein. Nach der Vereitelung des angeblichen Komplotts der Muslimbruderschaft vergangene Woche wurden die populären palästinasolidarischen Proteste erstmals verboten, wie israelische Medien berichten. Neben dieser Unterdrückung der außerparlamentarischen Opposition kann das Verbot der Muslimbruderschaft als Vorbereitung auf die Ausschaltung auch der historisch starken innerparlamentarischen Opposition gewertet werden. Dem Königshaus droht nicht der Einsturz, doch seine Legitimität bröckelt zusehends.

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