Stillstand bei Richterwahl
Von Kristian Stemmler
Im Streit um die Kandidatur der Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht ist noch keine Lösung in Sicht. Der SPD-Kovorsitzende und Vizekanzler Lars Klingbeil versuchte am Wochenende dennoch – vermutlich aus taktischen Gründen –, das Gegenteil zu suggerieren. Die Bedenken der Union wegen der Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf seien ja nun ausgeräumt, erklärte Klingbeil gegenüber Bild am Sonntag. »Deshalb können wir die Wahl wieder auf die Tagesordnung setzen«. Es sei »eine prinzipielle Frage, ob man dem Druck von rechten Netzwerken nachgibt, die eine hochqualifizierte Frau diffamiert haben«, so der SPD-Chef.
Trotz des Gerangels um die Richterwahl in der »schwarz-roten« Koalition lobte Klingbeil sein gutes Arbeitsverhältnis zu Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Er habe »eine sehr enge und vertrauensvolle Abstimmung mit dem Bundeskanzler«. Angesichts der anstehenden Probleme, die die Koalition zu lösen habe, erwarte er aber Disziplin von den Abgeordneten, so der Vizekanzler. Es werde »die ganze Legislatur über schwierige Abstimmungen geben«. Da müssten »die Regierungsfraktionen stehen«.
Tatsächlich dürfte Klingbeil momentan wenig Interesse daran haben, die Wahl der Verfassungsrichter auf die Tagesordnung des Bundestags zu setzen. Denn was die Vorbehalte gegen Brosius-Gersdorf angeht, ist bei der Union kein Sinneswandel zu erkennen. Zuletzt hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ihr am Freitag gegenüber der Augsburger Allgemeinen indirekt einen Verzicht auf die Kandidatur empfohlen. Als Bewerberin für eine Position im Verfassungsgericht habe man »wohl kaum die Intention, die Polarisierung in der Gesellschaft weiter zu befördern«, erklärte er in verdrehter Logik – denn die Union hatte die polarisierte Debatte ja durch ihre Ablehnung von Brosius-Gersdorf überhaupt erst provoziert.
Zuvor hatte CSU-Chef Markus Söder bereits auf dieses perfide Argumentationsmuster zurückgegriffen. Gegenüber dem Magazin Stern hatte er am Donnerstag erklärt, dass er »kaum mehr eine Möglichkeit« für eine Wahl Brosius-Gersdorfs sehe. Es gebe durch die politische Debatte eine Art »Befangenheit« bei der Personalie, die dem Gericht schaden könne. Mit Blick auf das Festhalten des Koalitionspartners SPD an ihrer Kandidatin sagte Söder: »Mit dem Kopf durch die Wand zu gehen – da ist die Wand am Ende stärker.«
Mit einer überraschenden Wortmeldung fuhr der frühere CSU-Chef und langjährige Bundestagsabgeordnete Horst Seehofer Dobrindt und Söder in die Parade. Gegenüber der Augsburger Allgemeinen (Samstagausgabe) bekannte Seehofer, dass er Brosius-Gersdorf im Parlament seine Stimme gegeben hätte. »Wenn die gesamte Führung von CDU und CSU einem Abgeordneten die Wahl empfiehlt, so wie geschehen, hätte ich sie gewählt«, sagte er.
Sollte es im Bundestag keine Einigung über die Nachbesetzungen beim Bundesverfassungsgericht geben, würde die Entscheidung an den Bundesrat übergehen. Davon riet Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) am Freitag ab. So »aufgeladen« wie die politische Stimmung derzeit sei, werde es im Bundesrat »nicht zwingend besser«, erklärte er gegenüber dem Handelsblatt. »Darüber hinaus wäre dies ein fatales Signal hinsichtlich der Handlungsfähigkeit des Bundestags«, so Nouripour.
In die Debatte um Brosius-Gersdorf mischte sich am Sonnabend auch der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Die Linke) ein. Gegenüber dem Reutlinger General-Anzeiger äußerte er die Hoffnung, »dass die SPD hart bleibt und zu ihrer Kandidatin steht«. Andernfalls, so warnte Gysi, mache man »die Tür auf, dass künftig immer CDU und CSU über die Besetzung der von der SPD nominierten Verfassungsrichter entscheiden«. Die von rechts angeheizte Auseinandersetzung um Brosius-Gersdorf, Rechtsprofessorin an der Universität Potsdam, beschäftigt seit zehn Tagen Politik und Medien. Wegen der Vorbehalte in der Unionsfraktion gegen ihre Person verschob der Bundestag am 11. Juli die Wahl der insgesamt drei Kandidaten für das Verfassungsgericht.
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