Mal persönlich sprechen
Von Kristian Stemmler
Einen kleinen Scherbenhaufen müssen die Koalitionäre in Berlin noch beiseite räumen, bevor sie in die Sommerpause verschwinden können. Die chaotische letzte Bundestagssitzung vor den Parlamentsferien am Freitag, die mit einer Verschiebung der Neuwahl von drei Verfassungsrichtern geendet hatte, hat die Frage offen gelassen, wie es nun weitergeht: Die SPD kann die eigene Kandidatin kaum zurückziehen, ohne das Gesicht zu verlieren, und die Union steht vor der Verlegenheit, ihre eine Begründung dafür zu finden, warum sie eine Kandidatin, die sie am Freitag nicht wählen wollte, mit Verzögerung dann voraussichtlich doch wählen wird. Derweil zeigte sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) plötzlich offen für Gespräche mit der Partei Die Linke über den CDU-Kandidaten Günter Spinner, die von der Union zuvor abgelehnt worden waren. Die Linke wiederum reagierte auf diesen Vorstoß reserviert – obwohl sie am Freitag schon drauf und dran war, Spinner die nötigen Stimmen zu spendieren.
In einer persönlichen Erklärung ließ SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Sonnabend Dampf ab. Er sprach von einer »bewussten Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen«, die »brandgefährlich« sei. Seine Partei werde an der Juraprofessorin Brosius-Gersdorf, die von Unionsabgeordneten etwa wegen ihrer Haltung zu Themen wie Abtreibung und AfD-Verbot als problematisch betrachtet wird, festhalten, so Miersch. Er forderte die Unionsfraktionsführung auf, deren Wahl bei den eigenen Abgeordneten durchzusetzen.
SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede versuchte mit einem Gesprächsangebot die Initiative zu ergreifen. Sie schlug der Unionsfraktion via Welt vor, Brosius-Gersdorf die Gelegenheit zu einer persönlichen Vorstellung in der Fraktion zu geben. Die Kandidatin sei dazu bereit, betonte die SPD-Politikerin. Eine Sprecherin der Unionsfraktion lehnte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP eine Stellungnahme zu dem Angebot, mit dem der Union offensichtlich eine goldene Brücke gebaut werden soll, ab.
Entspannt gab sich Innenminister Dobrindt. Er wollte keine »Beschädigung« des Bundesverfassungsgerichts kennen. Es handle sich um einen politischen Prozess, der vielen Einflüssen unterliege, sagte der CSU-Politiker dem Deutschlandfunk. Wenn man sich um höchste Ämter bewerbe, gebe es eben auch Debatten dazu. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) gab sich gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung in der Sache optimistisch. Er sei sicher, »dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden«. Steffen Bilger, parlamentarischer Geschäftsführer der Union, stellte Gespräche in der Koalition über das weitere Vorgehen in Aussicht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß äußerte sich gegenüber dem Tagesspiegel skeptisch zu den Plagiatsvorwürfen gegen Brosius-Gersdorf, die am Vorabend der Bundestagssitzung erhoben worden waren. Der Vorgang löse bei ihm ein »ganz ungutes Störgefühl aus«. Die Vorwürfe »hätten besser geprüft werden müssen«.
Einige Akteure mit Anbindung an die Union kritisierten indes das Verhalten ihrer Fraktion und damit auch Fraktionschef Jens Spahn, ohne ihn namentlich zu nennen. Der frühere saarländische Ministerpräsident und ehemalige Verfassungsrichter Peter Müller erklärte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, der Vorgang zeige »ein eklatantes Führungsversagen der Union«. So etwas dürfe nicht passieren. Dennis Radtke, Chef des CDU-»Sozialflügels«, sagte der Welt am Sonntag, was die Regierungsparteien in den vergangenen zwei Wochen geboten hätten, sei »ein Autounfall in Zeitlupe«.
Dobrindt signalisierte derweil auch, kein Problem damit zu haben, zum Telefon zu greifen und jemanden von der Linkspartei anzurufen. Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek nannte gegenüber dpa diese Wortmeldung »interessant«. Dobrindt versuche aber »offensichtlich davon abzulenken, was gestern im Bundestag passiert ist«. Reichinnek warf der Union vor, sich »an einer rechten Hetzkampagne gegen eine angesehene Juristin« beteiligt zu haben. Ähnlich reserviert reagierte Linke-Chefin Ines Schwerdtner. »Wenn Dobrindt nach dem Wahlchaos plötzlich mit der Linken reden will, ist das so, als würde einem Bäcker nach dem Backen auffallen, dass er die Hefe vergessen hat«, sagte sie gegenüber AFP.
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