Gegründet 1947 Sa. / So., 19. / 20. Juli 2025, Nr. 165
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 19.07.2025, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
Fotografie

Ein Stück Himmel

Wolfgang Krolows Fotografien Berlin-Kreuzbergs in einem beeindruckenden Band bei Assoziation A
Von Matthias Reichelt
Berliner Hinterhof mit Seiltänzer
Nollendorfplatz nach Anti-Alexander-Haig-Demo (1981)
Hinterhof in der Mariannenstraße
Hohenstaufenstraße, Ecke Kyffhäuserstraße: Schwarzer Block bei einer Demo gegen NATO, Aufrüstung und Raketenstationierung
Willibald-Alexis-Straße 18: Punkkneipe Themroc
Kinder in Westberlin Ende der 1970er in einem Hinterhof
Straßenfest im Chamissokiez in den frühen 1980ern
Kinder mit Transparent vor dem heute denkmalgeschützten Haus in der Kopischstraße 5 (1981)
Paar in Charlottenburg (1972)

Eine bekannte Fotografie von Wolfgang Krolow zeigt einen Seiltänzer von unten, der über ein den Hof einer Kreuzberger Mietskaserne überspannendes Seil balanciert. Die Wände mit dem abblätternden Putz zeugen davon, dass es sich um eine vernachlässigte Gegend handelt – Kreuzberg in den 1970ern. Der Blick der Kamera scheint sehnsüchtig der dunklen Enge gen Himmel zu entfliehen. Viele Gebäude sollten zwecks Spekulation abgerissen werden, was durch Hausbesetzer verhindert wurde. Hier wohnten Arbeiterinnen und Arbeiter, viele davon aus der Türkei angeworben, in viel zu kleinen, aber billigen Wohnungen, nebst studentischen Wohngemeinschaften, Punks und einer Boheme experimentierfreudiger Lebenskünstler. Der Fotograf schwamm wie ein Fisch im Wasser in diesem diversen Milieu, in dem nicht wenige der Überzeugung anhingen, dass es unsinnig sei, auf bessere Zeiten zu warten, statt sie sich zu erkämpfen.

Krolow, 1950 in Rheinland-Pfalz geboren, unternahm bereits mit 18 Jahren eine Reise, die ihn in den nahen wie fernen Osten führte. Nach abgebrochenem Kunststudium in Mannheim zog es ihn 1970 nach Westberlin, wo er sich anfangs als Arbeiter verdingte, bis er sich 1972 für ein Studium der »Visuellen Kommunikation« mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule der Künste (heute UdK) bewarb, das er erst später antrat.

Seine Arbeit war sozialkritisch und diente oft journalistischen Zwecken, hatte aber auch eine hohe künstlerische Qualität. Ob er alte Menschen, Kinder oder Jugendliche in der Stadt fotografierte, den Häuserkampf, Demonstrationen gegen Sozialabbau, Berufsverbote, Rassismus und Faschismus dokumentierte – sein Interesse an den sozialen Lebensverhältnissen ist immer spürbar.

Krolow war Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW), er fotografierte für Zitty, Tip, Taz – und für die Parteizeitung Die Wahrheit. Letzteres wird in keinem der Texte des Buchs erwähnt. Für Krolow war der Kapitalismus keine hinnehmbare Tatsache. Dieser Auffassung, seiner visuellen Sensibilität und Empathiefähigkeit ist es zu verdanken, dass die türkischen Jugendlichen und Kinder wie auch Autonome, Hausbesetzer und Spontis ihm vertrauten und spürten, dass hier nicht der »Feind« fotografierte. Das galt sogar für die provokanten Punks, die Krolow zunächst argwöhnisch begegneten, bevor sie ihn am Ende doch akzeptierten, wie Andrea Schick sich in dem Buch liebevoll erinnert.

Als notorischer Raucher hielt Krolow auch ein Schlaganfall, der ihn ab 2005 an den Rollstuhl fesselte, nicht davon ab, dem Nikotin weiter zu frönen. 2019 ist Wolfgang Krolow gestorben. Die Berlin-Bilder seines fotografischen Werks sind hier und dort gezeigt worden, aber in der ganzen Bandbreite und thematischen Vielfalt auch aus anderen Ländern muss das hochinteressante Werk einer breiteren Öffentlichkeit erst noch bekanntgemacht werden. Dieses Buch, in dem manche Bildinformationen fehlen, kann nur ein erster Schritt sein. Ihm sollte möglichst bald eine historisch-kritische Retrospektive in einem Museum folgen.

Sigrid Heger, Andreas Homann, Rainer Wendling (Hg.): Kreuzberg die Welt: Fotografien von Wolfgang Krolow. Verlag Assoziation A, Berlin 2025, 280 Seiten, 44 Euro

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Komplex 0 17: Erst Sitz einer Stasi-Spezialeinheit, dann der leg...
    21.03.2019

    Aus dem Film gefallen

    Zwei (Bild-)Bände über Düsseldorfs Musikszene und die Schönheit von Friedrichshain-Kreuzberg
  • Blick in die Dresdener Straße auf das in Bau befindliche Neue Kr...
    07.02.2015

    Gestern war morgen

    Der Zahn der Zeit in der Berliner Fotografie von Siebrand Rehberg

Mehr aus: Wochenendbeilage

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro