Gegründet 1947 Dienstag, 22. Juli 2025, Nr. 167
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 19.07.2025, Seite 7 / Ausland
Syrien

Von außen angeheizt

Syrien: Interessen ausländischer Mächte befeuern Gewaltausbruch in Provinz Suweida. Machthaber in Damaskus unter Druck
Von Karin Leukefeld
7.JPG
Die Gewalt geht weiter: Verletzte werden am Freitag in eine Sanitätsstelle in der Provinz Suweida gebracht

Syrien kommt nicht zur Ruhe. Die anhaltende Gewalt in der Provinz Suweida deutet darauf hin, dass die Brandstifter außerhalb des Landes sitzen und – wie schon 2011 – für eigene Interessen innersyrische Konflikte befeuern. Am Donnerstag fasste Khalid Khiari, der stellvertretende UN-Generalsekretär für den Nahen Osten, Asien und den Pazifikraum, im Weltsicherheitsrat in New York die Geschehnisse seit Ausbruch der Gewalt zusammen. Seit Beginn der bewaffneten Zusammenstöße zwischen Beduinenstämmen und Drusengruppen am vergangenen Sonnabend und der darauffolgenden Entsendung von Truppen in die Provinz habe es auf allen Seiten »Hunderte Opfer« gegeben. »Tragischerweise« seien unter Drusen und Beduinen auch Zivilisten getötet und verletzt worden. »Spannungen und Gewalt zwischen den Gemeinschaften« würden weiter angeheizt. Zudem gebe es alarmierende Berichte über außergerichtliche Hinrichtungen und erniedrigende und entwürdigende Behandlung von Zivilisten, religiösen Persönlichkeiten und Gefangenen.

Nach Verkündung einer Waffenruhe am Mittwoch hatten sich die syrischen Truppen aus Suweida zurückgezogen. Am späten Donnerstag kam es jedoch erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Beduinen und Drusen; die Kämpfe dauerten auch am Freitag an.

Konflikte mit Beduinenstämmen gibt es seit Jahrhunderten nicht nur in Syrien und nicht nur in Suweida. Es ist ein Konflikt um Land, der auf verschiedenen Lebensweisen basiert. Beduinen leben in Stämmen und ziehen mit ihren Herden (Schafe, Ziegen, Kamele) vom Norden in den Süden der Arabischen Halbinsel und zurück; sie folgen den Jahreszeiten dorthin, wo es Futter und Wasser für die Tiere gibt. Die Beduinen kooperieren mit Stämmen auf der Arabischen Halbinsel oder im syrisch-irakischen Grenzgebiet, sie respektieren keine Regierungen, da sie mit ihren Herden und Zelten in vielen Staaten zu Hause sind. In Kriegs- und Krisenzeiten werden die Beduinen gegen gutes Geld zu Trägern von Nachrichten über Grenzen, sie schmuggeln Waffen, Kämpfer und Flüchtlinge, sie transportieren Waren aller Art über beliebige Grenzen. Ausländische Mächte nutzten die Beduinen schon in den beiden Weltkriegen für ihre Zwecke.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, auf das geheime Treffen hinzuweisen, das – in unmittelbarer Nähe eines offiziellen Besuchs des syrischen Machthabers Ahmed Al-Scharaa – am vergangenen Wochenende stattfand. Auf Vermittlung der USA verhandelten sein »Außenminister« Asaad Al-Schibani, syrische Geheimdienstler und eine israelische Delegation in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Ziel war ein »Deal« zwischen Tel Aviv und Damaskus. Israel fordert eine entmilitarisierte Zone in den drei südlich von Damaskus gelegenen Provinzen Kuneitra, Deraa und Suweida. Die syrische Seite stimmte zu und forderte von Israel die Zusage, Al-Scharaa zu stabilisieren. Beide Seiten vereinbarten, dass die syrische Armee in Suweida einmarschieren und die Kontrolle übernehmen sollte. Die Drusenmilizen sollten unter die Kontrolle des Verteidigungs- und Innenministeriums gebracht werden, was die Drusen bisher ablehnen.

Dass es unmittelbar nach dem Baku-Treffen einen Angriff von Beduinen auf einen drusischen Kaufmann gab, der von Suweida nach Damaskus fahren wollte, halten Beobachter für eine »gezielte Provokation«. Die Reaktion der Drusen war absehbar, das Eingreifen der israelischen Luftwaffe eskalierte die Situation zusätzlich. Vieles lässt darauf schließen, dass Israel ein doppeltes Spiel spielt. Am Freitag meldete Reuters, dass Tel Aviv den syrischen Streitkräften für die nächsten zwei Tage einen begrenzten Zugang zum Gebiet Suweida gewähre. Am Donnerstag hatte Israel erklärt, dass es südlich von Damaskus keine syrischen Streitkräfte dulde.

Wie nach dem Massaker an den Alawiten im Frühjahr steht Al-Scharaa angesichts der Angriffe auf die Drusen schwach da. Für den früheren Al-Qaida-Mann ist es wichtig, den Westen nicht zu verprellen. Für Israel ist Al-Scharaa nicht akzeptabel, weil es selbst den Süden Syriens – und vermutlich mehr – kontrollieren will. Die EU, die dem Dschihadisten und seiner Gruppe mit großen Geldzusagen in Brüssel schon den roten Teppich ausgerollt hat, wird von Israel – wie auch in Gaza und im Westjordanland – vorgeführt. Die USA scheinen vorbereitet und könnten Al-Scharaa fallenlassen. In Syrien wird vermutet, dass Washington mit regionalen Akteuren schon über neue Machthaber in Damaskus nachdenkt.

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von CMF aus Ehemalige Friedensstadt OS (19. Juli 2025 um 13:03 Uhr)
    »Wie nach dem Massaker an den Alawiten im Frühjahr steht Al-Scharaa angesichts der Angriffe auf die Drusen schwach da.« Ist das Waltenlassen seiner Landsknechthaufen tatsächlich als ein Zeichen von Schwäche des Golaners – nichts anderes heißt sein nom de guerre, al-Jolani – auszulegen? Es entlädt sich hier ja der Pathos und Eifer, den diese Herren offen propagierten, den sie nun frei als Sieger ausleben können. Die Frage ist derweil zu stellen, wie es sein kann, dass Geld vom großen, in der Vergangenheit unter anderem als »Freunde Syriens« betitelten Bund aus Türkei, Golfstaaten, EU und USA allen Ernstes nur eine solche Landsknechtsherrschaft kaufen und etablieren konnte. Zur Begründung des Einsatzes »Inherent Resolve« gegen den Islamischen Staat, die Brüder im Geiste der Schergen des Golaners wurde seitens der USA ursprünglich angeführt, dass der syrische Staat unter al-Assad »unwillens oder unfähig« wäre diese zu bekämpfen. Ist es angesichts der fortgesetzten Exzesse des neuen Regimes nicht überlängst an der Zeit, dass seitens dessen Sponsoren dieselben Schlüsse gezogen werden, dass dieses unfähig und unwillens ist seine Landsknechte einzuhegen? Wieviele Mannschaften sind die Sponsoren bereit, diesen Rückfall des Landes in die Barbarei zu stoppen und dort für grundlegende Ordnung zu sorgen?

Ähnliche:

  • Das neue Syrien: Kämpfer der dschihadistischen HTS auf dem Weg i...
    16.07.2025

    Teile und herrsche

    Syrisch-israelisches Treffen in Baku: Auf dem Weg zu einem »Normalisierungsabkommen«. Rückgabe besetzter Golanhöhen nicht enthalten
  • 14.05.2025

    »Neuer Mittlerer Osten«

    Israel setzt Ideologie vom »Wiederauferstehungskrieg« gnadenlos um – aber nur, weil es gelassen wird

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro