Kongress killt Klimaschutz
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Nur wenige Wochen vor der ersten UN-Klimakonferenz im Amazonasgebiet (COP 30) pfeift Brasiliens Kongress auf Klima- und Regenwaldschutz. Nachdem der Bundessenat in Brasília das Gesetzesprojekt namens »PL 2159/2021« im Juni durchgewinkt hatte, stimmten nun in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag 267 Bundesabgeordnete für das von Wissenschaftlern und Umweltschützern heftig abgelehnte »Verwüstungsgesetz«. Lediglich 116 Parlamentarier votierten dagegen, der nationale Umweltschutzregelungen faktisch aushebelt.
Nun droht nicht nur dem Amazonasgebiet der Kollaps. Auch die Gesetze zum Schutz des extrem artenreichen Atlantischen Regenwalds und aller anderen brasilianischen Biome werden geschwächt. Alle Hoffnungen ruhen nun auf Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Nur er kann das Gesetz durch sein Veto noch stoppen.
Der Gesetzentwurf sehe ein Selbstgenehmigungsverfahren für Straßen- und Bergbauprojekte vor, die schlimmste Umweltkatastrophen verursachen könnten, warnte Philip Martin Fearnside vom Nationalen Institut für Amazonasforschung bereits im Vorfeld der Abstimmung. Mit dem Argument der Debürokratisierung würden jegliche Umweltgenehmigungsverfahren für Projekte mit »geringen oder mittleren« Auswirkungen abgeschafft. Die vom staatlichen Erdölkonzern Petrobras geplante und von Präsident Lula da Silva befürwortete Ausbeutung der Erdölvorkommen im Mündungsgebiet des Amazonas beispielsweise falle in diese Kategorien. »Dieses Projekt birgt aufgrund der Wassertiefe und der komplexen Meeresströmungen vor Ort das Risiko unkontrollierbarer Ölverschmutzungen«, so Fearnside. Außerdem seien Investitionen in Erdölprojekte generell nicht mit einem beabsichtigten Klimaschutz vereinbar.
Die PL 2159/2021 öffnet auch die Tür für die gleichfalls von der Regierung Lula da Silva befürwortete Wiederherstellung und Asphaltierung der Regenwaldtrasse BR-319 von Manaus nach Porto Velho. Zusammen mit weiteren geplanten Nebenstraßen setze dieses Straßenbauprojekt riesige Gebiete mit noch intaktem Regenwald im Herzen des Amazonasgebiets der Abholzung aus, und es könnte zu einem Kollaps der größten Regenwaldregion der Erde führen, befürchten Klima- und Ökosystemforscher wie Fearnside.
Ebenso der Tenor der Brasilianischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (SBPC) mit Sitz in Recife. »Der Gesetzentwurf ignoriert eklatant den Klimanotstand, in dem sich die Menschheit befindet, und die Tatsache, dass vier brasilianische Biome, der Amazonasregenwald, der Cerrado, das Pantanal und die Caatinga, sehr nahe am sogenannten Point of no Return liegen«, so die SBPC. Diesen Biomen drohe nun der ökologische Zusammenbruch.
Angesichts dieser möglichen Folgen hatte auch die Akademie der Wissenschaften in Rio de Janeiro den Senat in Brasília vergeblich aufgefordert, die Abstimmung auszusetzen. »Die übereilte Verabschiedung eines Gesetzentwurfs mit so erheblichen Auswirkungen ohne angemessene Debatte mit der Gesellschaft und der wissenschaftlichen Gemeinschaft gefährdet die Zukunft des Landes«, so deren Präsidentin Helena Bonciani Nader. Er schwäche »wesentliche Instrumente des Umweltschutzes unter dem falschen Versprechen der Effizienz und ignoriert dabei Belege für die Risiken der Umweltzerstörung für Biome, die Sicherheit der Bevölkerung und eine nachhaltige Entwicklung«. Es sei »inakzeptabel, dass Vorschläge vorgelegt werden, die international anerkannte Umweltverpflichtungen abwerten und grundlegende Rechtsrahmen schwächen«, kritisierte Nader mit Blick auf die COP 30.
Schon am 1. Juni hatten Umweltgruppen und soziale Bewegungen in ganz Brasilien zu Demonstrationen gegen den Gesetzentwurf aufgerufen, die aber kaum von den Massenmedien und der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. »Es ist zutiefst bedauerlich, dass der Kongress die Warnungen der Wissenschaft und die Forderungen der Zivilgesellschaft ignoriert hat. Jetzt liegt es an Präsident Lula, seiner Verantwortung gerecht zu werden, sein Engagement für das Klima, die Menschen und die Umwelt unter Beweis zu stellen und den gesamten Text zu blockieren«, kommentierte die internationale Naturschutzorganisation WWF das Abstimmungsergebnis. »Noch ist es möglich, eine Tragödie beispiellosen Ausmaßes zu verhindern.«
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