Solisteuer auf Alterseinkünfte
Von Wolfgang Pomrehn
Ein nicht geringer Teil der Rentnerinnen und Rentner lebt am Rande des Existenzminimums. Etwas über ein Viertel von ihnen hat weniger als tausend Euro im Monat zur Verfügung, heißt es beim Statistischen Bundesamt. Mehr als zwei Drittel dieser besonders schlecht Versorgten sind Frauen. 19,4 Prozent der Personen ab 65 gelten offiziell als armutsgefährdet, wobei bei Frauen die Quote um einige Prozentpunkte höher ist.
Nun schlägt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) vor, die Renten ein wenig umzuverteilen. Eine moderate Belastung der höheren Renten könne die Armutsrate unter den Senioren auf 14 Prozent absenken, hat eine neue Studie der Berliner Ökonomen ergeben. Konkret wurden zwei Ansätze für eine Umverteilung unter den Rentnerinnen und Rentnern untersucht, die Jüngere nicht belasten würden. Zum einen könnten die Rentenansprüche anders verteilt werden, was aber aus rechtlichen Gründen nur für zukünftige Ansprüche eingeführt werden könnte.
Die Studienautorinnen und -autoren favorisieren daher zum anderen, die Alterseinkünfte mit einer Steuer zu belasten, einem »Boomer-Soli«, wie sie es nennen. Über einem Freibetrag von 1.000 Euro könnten, so ihr Modell, alle Einkommen aus Renten, Betriebsrenten, Beamtenpensionen und wahlweise auch aus Vermögen besteuert werden. Die so erzielten Mittel sollten dann dafür eingesetzt werden, die niedrigsten Renten anzuheben. Würde hingegen allein im System der gesetzlichen Rente umverteilt, so die Studie, blieben die erheblichen anderen Einkünfte unberücksichtigt und der Effekt relativ gering. Tatsächlich spiele für den besonders wohlhabenden Teil der Bevölkerung jenseits von 67 die gesetzliche Rente nur eine relativ geringe Rolle. »Die Rentenpunkte in der gesetzlichen Rente sind kein guter Indikator für ein hohes oder niedriges Haushaltseinkommen – von daher wäre es wenig zielgenau, nur innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung umzuverteilen«, meint DIW-Rentenexperte Maximilian Blesch, der zu den Autoren der Untersuchung gehört.
Das Modell, allein innerhalb der gesetzlichen Rente umzuverteilen, geht auf eine Empfehlung des von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenrats für Wirtschaft zurück, der in dessen Jahresgutachten 2023/24 zu finden ist. Die DIW-Autorinnen und -Autoren rechnen im Gegensatz dazu vor, dass in ihrem Modell mittlere Alterseinkommen deutlich weniger belastet würden, die hohen und höchsten dafür um so mehr. Insbesondere, wenn auch das Einkommen aus Vermögen herangezogen wird. Erwerbseinkommen wurden in keiner der untersuchten Varianten besteuert.
Der Hintergrund der Überlegungen: Das System der Rentenversicherung gerate in seiner bisherigen Form zunehmend unter Druck, weil die Zahl der Rentner stark zunimmt. Nach und nach werden demnächst die geburtenstarken Jahrgänge 1960 bis 66 in den Ruhestand gehen. 1964, auf dem Höhepunkt des Babybooms, wurden in Ost und West 1,362 Millionen Babys geboren, 2024 waren es hingegen nur noch knapp 760.000. Allerdings ist die Demographie nicht das einzige Problem der Rentenkasse. Auch auf der Einnahmeseite sieht es schlecht aus, weil zum einen Beamte nicht und die besonders gut Verdienenden nur bis zur Bemessungsgrenze einzahlen. Zum anderen gibt es nach wie vor einen großen Niedriglohnsektor. Nach Zählung des Statistischen Bundesamtes waren in ihm im vergangenen Jahr 6,3 Millionen Menschen beschäftigt. Derweil haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Rentenniveau bis 2031 stabil zu halten, wofür die Beiträge erhöht und auch die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt aufgestockt werden müssten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (18. Juli 2025 um 07:17 Uhr)Es ist schon seltsam, dass dieser frontale Angriff auf die Leistungsgesellschaft ausgerechnet von rechts kommt und noch dazu der Sturm der Entrüstung eher einem Windhauch gleicht. Bislang war doch klar, dass ein Beamter mit seinen 3.000 bis 5.000 Euro ja doch in seinem Leben fünfmal soviel geleistet hat wie eine Kassiererin mit ihren 1.000. Geschweige denn all die Rentner, die sich Wohneigentum vom Munde abgespart haben, um nun ein zusätzliches Ruhestandseinkommen von 7.000 bis 9.000 Euro aus Mieten einzustreichen. Das ist doch nicht gerecht! Wo kommen wir denn da hin!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ingrid S. aus Mutterstadt (18. Juli 2025 um 03:05 Uhr)Dass das Rentenumlagesystem immer weniger funktioniert, liegt in erster Linie daran, dass von dem produzierten Mehrwert immer weniger in die Taschen der Produzenten, sprich Arbeiter, und entsprechend weniger in die Rentenkasse fließt. Oder anders ausgedrückt: Nicht die Demographie ist das Problem, sondern die Verteilung des Mehrwerts.
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