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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 4 / Inland
Qual der Verfassungsrichterwahl

Banales Brosius-Brimborium

Kulturkampf um Richterkandidatin reißt nicht ab. Sondersitzung des Bundestags vom Tisch
Von Niki Uhlmann
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Kein gerader Weg zur roten Robe für Brosius-Gersdorf: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts bei der Verkündung des Urteils zu US-Drohneneinsätzen via Ramstein (Karlsruhe, 15.7.2025)

Es blieb nicht bei haltlosen Plagiats- und »Linksextremismus«-Vorwürfen. Die liberale Bundesverfassungsgerichtsanwärterin Frauke Brosius-Gersdorf wird inzwischen auch bedroht, aufgrund einer rechten Schmierkampagne ist sie für einige offenbar zur Reizfigur geworden. Unterdessen reißt das politische Spektakel nicht ab, fechten die Bundestagsparteien trotz Sommerpause weiter um Richterposten sowie Wählergunst, während andere munter auf den Kulturkampf aufspringen oder sich um die Demokratie sorgen.

Nachdem der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl bei seiner Sonntagspredigt Falschinformationen über Brosius-Gersdorfs Position zu Abtreibungen verwendet hatte, um zu illustrieren, »in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten« würden, sah sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, genötigt, die Wogen zu glätten: »Diese Frau hat es nicht verdient, so beschädigt zu werden«, sagte er der Augsburger Allgemeinen am Mittwoch abend. »Zu viele Profiteure« gebe es bei »diesem Kulturkampf«, der dem politischen Prozess letztlich schade. Ob auch sein Kollege gemeint war, bleibt Spekulation.

Dass man »anerkannte Leute«, obwohl sich der Richterwahlausschuss auf sie geeinigt hatte, angestachelt durch einen »rechten Mob« derart diskreditiere, sei »in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht vorgekommen«, kritisierte Grünen-Chef Felix Banaszak das Taktieren der Union gegenüber den Sendern RTL und ntv am Donnerstag und befand: »hochnotpeinlich«. »Das Kalkül der Unionsführung ist, dass Frau Brosius-Gersdorf«, mutmaßte er, »sturmreif geschossen wird und den Rückzug antritt«.

Implizit gab ihm der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gleichentags recht, indem er auf die Nachfrage der Bild, ob Brosius-Gersdorf »überhaupt noch mal antreten« solle, zu Protokoll gab, dass »es dafür am Ende keine Mehrheit« geben dürfte. Er finde es »okay«, dass die SPD vorerst an ihrer Kandidatin festhalte, solange man in der Sommerpause zusammenkomme »und am Ende eine gute Entscheidung« treffe. Für das »Verfassungsgericht braucht es nicht nur eine juristische Kompetenz, sondern auch ein hohes Maß an Neutralität«, schloss er sich dem Geraune an.

Schließlich haben Union und SPD eine Sondersitzung des Bundestags ausgeschlossen, um die die Grünen förmlich gebettelt hatten. Wie auf einem dpa vorliegenden Schreiben der Parlamentarischen Geschäftsführer Steffen Bilger (CDU) und Dirk Wiese (SPD) an die Grünen-Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge hervorgeht, sei das Verfassungsgericht voll arbeitsfähig, bestehe also »keine Dringlichkeit«. Hoffentlich macht auch der Kulturkampf Sommerpause.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Hans Christoph S. aus Frankfurt am Main (18. Juli 2025 um 11:04 Uhr)
    Ich muss kein Fan des deutschen Staats, seiner Justiz oder der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf sein, um zu erkennen, dass es hier um sehr viel mehr geht. Es gelingt einer faktischen Sperrminorität von AfD und CDU-Fraktionsmitgliedern, einen Rechtsruck innerhalb der herrschenden Regierungskoalition zu erzwingen. Das ist deshalb ein Schritt auf dem Weg der Faschisierung, als dabei die bürgerlich-demokratischen Gewaltenteilungsstandards offen und frech unterlaufen werden sollen. Das wird erreicht, indem man unverschämt mit »alternativen Fakten« operiert hat. Dieser Vorgang hat darüber hinaus Versuchsballoncharakter. Erreicht werden soll doch offensichtlich, dass eine viel allgemeinere Drohkulisse aufgebaut wird: Jederzeit kann künftig die »Spahn-Fraktion« in der CDU eine mögliche Stimmabgabe mit der AfD andeuten, damit alle anderen parieren. Die »Brandmauer« verläuft damit inzwischen mitten durch die CDU-Fraktion. Wenn die SPD-Bundestagsfraktion sich das gefallen lässt, macht sie sich zum Steigbügelhalter dieser Entwicklung. Schon einmal haben die deutsche Bourgeoisie und ihre Parteien einschließlich der SPD versucht, Faschisten »einzurahmen«, sie durch Zugang zur Staatsmacht zu »entzaubern« usw. Es ist bekannt, wie das endete. Sollte es in der SPD nach wie vor Antifaschist:innen geben, ist damit für sie jetzt der Zeitpunkt gegeben, ein Ultimatum zu stellen: Entweder ist Schluss mit dieser Art von Spahn-Manövern, oder es ist Schluss mit dieser Regierungskoalition. Die Uhr tickt.

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