Klinikplanung für die NATO
Von Susanne Knütter
So sieht es aus, wenn Agenturen eins zu eins als »Faktenblatt Medien« getarnte Handzettel der Politik übernehmen: »Die Millionenmetropole wird militärisch angegriffen, auf den Straßen wird gekämpft. Kliniken fallen deswegen aus, gleichzeitig sind aber viele Verletzte zu versorgen – was dann?« fragte die Deutsche Presseagentur am Donnerstag. Es seien »düstere Szenarien«, auf die sich der Berliner Senat gemeinsam mit der Bundeswehr und zwölf Kliniken der Hauptstadt mit ihrem Rahmenplan »Zivile Verteidigung Krankenhäuser« »detailliert« vorbereitet habe. Düster jedoch ist zunächst einmal der Faktengehalt der Szenarien, mit denen der Senat die Militarisierung der Krankenhäuser rahmt sowie rechtfertigt und die von den bürgerlichen Medien aufgegriffen werden: Nach dem Einmarsch in die Ukraine sei ein weiterer Vormarsch Russlands Richtung Europa zu befürchten.
Düster auch, dass man nicht viel erfährt. Zwei Jahre Arbeit stecken angeblich in dem Plan zur medizinischen Gesundheitsversorgung in »Krisen- und Notlagen«, der nun den Leitungen der Berliner Kliniken vorgestellt wurde und der erste seiner Art bundesweit sei. Das komplette Papier bleibe aus Sicherheitsgründen unter Verschluss. Mitgeteilt hat der Senat lediglich, um welche Fragen es grob geht: Wie lässt sich verhindern, dass für den Klinikbetrieb Dienstleistungen und Lieferketten ausfallen? Wie lassen sich Patienten im Ernstfall verteilen? Gibt es auch ausreichend Notstrom, Sanitätsmaterial und Arzneimittel? Es geht außerdem um »besondere Verletzungsmuster« sowie Krankenhaus- und Katastrophenschutzübungen. Die schlimmsten Szenarien, die angenommen werden: erhöhtes Patientenaufkommen bei gleichzeitig ausfallender Infrastruktur und wegbrechenden Ressourcen; eine kriegerische Auseinandersetzung in Berlin; die vollständige Evakuierung der Hauptstadt.
Entgegen aller Erfahrungen mit Personalmangel und Überlastung des Gesundheitswesens während der Pandemie findet die Berliner Gesundheitsministerin Ina Czyborra (SPD), Deutschland und Berlin hätten »ein sehr gut ausgestattetes und funktionierendes System, um Katastrophen, Unfälle, Naturgefahren oder Kriminalität zu bewältigen«. Aufgrund »der veränderten Gefährdungslage« sei es aber notwendig geworden, »die zivile Verteidigung stärker auszubauen«. Im besten Fall tue Berlin damit etwas, »was uns in Friedenszeiten nützt und vor Angriffen schützt, weil wir stark aufgestellt sind«.
Dem widerspricht der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ). Die Militarisierung des Gesundheitswesens stärke eben nicht die Versorgung zu Friedenszeiten, heißt es in seiner aktuellen Broschüre »Wir werden Euch nicht helfen können«. Im Interesse der Bundeswehr liege ein Ausbau des Gesundheitswesens, »soweit er militärischen Zwecken dient«. Die Planungen des Gesundheitssystems würden sich »noch weniger an den tatsächlichen Bedarfen der Bevölkerung orientieren«. Anstatt Stärkung droht eine »Unterwerfung ziviler Versorgungsstrukturen unter das Militär und dessen Zielsetzung«. Das könnte etwa die Förderung von Weiterbildung besonders in kriegsrelevanten Fachgebieten bedeuten, zum Beispiel Kriegswunden und Traumatherapie. Am Krankenhaus Köln-Merheim wird bereits eine unterirdische 14stöckige Intensivstation geplant. Vor dem Hintergrund der Krankenhausreform könnte eine Pflicht zu zivil-militärischen Übungen dazu führen, dass eher Krankenhäuser bestehen bleiben, deren Verkehrsanbindung sie für NATO-Planung relevant machen.
Aus Sicht des VDÄÄ werden die Begriffe Krisenmedizin, Katastrophenmedizin und Kriegsmedizin bewusst miteinander vermischt. Dabei ist es ein Unterschied, »ob wir als Beschäftigte im Gesundheitswesen bei einer Naturkatastrophe oder einem zivilen Großschadensereignis helfen oder ob wir im Rahmen einer aktiven Beteiligung Deutschlands an einem Krieg instrumentalisiert werden«.
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