»Der Sieg per Erstschlag ist eine Illusion«
Interview: Gitta Düperthal
Führende Militärs, Chefs von Rüstungskonzernen und Vertreter staatlicher Institutionen haben sich zwei Tage lang in Wiesbaden im Rhein-Main-Congress-Center zur »Landeuro« versammelt. Was ist der Zweck dieser am Donnerstag zu Ende gegangenen europäischen Militärkonferenz zum Thema »Landstreitkräfte«?
Per Selbsterklärung geht es darum, mit modernen Waffensystemen auf die demnach veränderte Sicherheitslage zu reagieren. Man befördert so die Bedrohung, die vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgeht.
Sie hatten sich unter dem Motto »Kriegsbereitschaft verhindern! Nein zur Aufrüstungskonferenz Landeuro« vor dem Kongresszentrum versammelt. Was war da los?
Weil das Stattfinden der Konferenz erst drei Tage zuvor bekannt wurde, hatten wir kaum mobilisieren können. Etwa 80 Aktive demonstrierten dort mit einem Banner mit der Aufschrift »Waffen führen nicht zum Frieden, sondern nur Verhandlungen« – ein Zitat von Albert Einstein. Ein enormes Polizeiaufgebot war vor Ort. Bezeichnend ist, dass die Konferenz just an dem Datum stattfand, an dem vor 80 Jahren die USA den ersten Atombombentest in der Wüste New Mexicos starteten. Das war am 16. Juli 1945.
Der Veranstalter hatte rund 80 Firmen und bis zu 1.700 Teilnehmer aus aller Welt eingeladen. Zu den Ausstellern zählen Rüstungsindustriekonzerne wie Bombardier Defense, Lockheed Martin und American Rheinmetall. Will man die deutsche Gesellschaft weiter Richtung Militarisierung führen?
Der Veranstalter ist eine Lobbygruppe der US-amerikanischen Streitkräfte. Sie wollte vermutlich zeigen: Schaut mal, was wir so alles können und haben. Tenor schien zu sein, aus der Grundlogik (des Kalten Kriegs, jW) herauszukommen, wonach wer zuerst schießt, als zweiter stirbt. Man gibt sich der Illusion hin, durch einen Erstschlag siegen zu können, weil der Gegner direkt in die Knie geht.
Die anvisierte Teilnehmerzahl wurde übrigens nicht erreicht. Am Mittwoch morgen sahen wir mitnichten weit über 1.000 Teilnehmende zum Haupteingang hineingehen. Das ist allerdings kein Grund zur Freude. Beständig wird die Gesellschaft an die zunehmende Militarisierung herangeführt.
Welche Rolle spielt, dass Wiesbaden einer der Hauptstützpunkte von US-Militärs in der BRD ist und deren Mittelstreckenraketen dort stationiert sind?
Wiesbaden ist Sitz des Hauptquartiers des US-Heers in Europa und Afrika, des 56. US-Artilleriekommandos sowie des NATO-Ukraine-Hauptquartiers. Es ist brandgefährlich, dass sich die militärische Logistik hier befindet. Die Verantwortlichen versuchen gar nicht, die Welt friedlich zu organisieren, also Handelsbedingungen und vertragliche Beziehungen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern sie setzen auf militärische Konfliktlösung.
Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD plant, der Ukraine alte Militärausstattung zur Verfügung zu stellen und sie durch moderne, aus den USA einkaufte Technologie zu ersetzen – um unsere »Fähigkeitslücke« zu schließen, so der Jargon. Aus unserer Sicht ist das eine hysterisch eskalierende Reaktion!
Einerseits beklagen deutsche Regierungspolitiker, wie unzuverlässig die USA unter Präsident Donald Trump seien. Andererseits begibt man sich mit aus den USA steuerbaren Mittelstreckenraketen in Abhängigkeit. In welcher Rolle sehen Sie die Bundesregierung?
So ist es. Pistorius will beides: Er will eigenständig aufrüsten und er will das Raketenwerfersystem »Typhoon« aus den USA anschaffen, das von der BRD aus weit nach Russland schießen kann. Die USA könnten das Waffensystem nach Belieben zurückhalten oder auch einsetzen. Die BRD oder Europa, die so selbst zu einem militärischen Angriffsziel würden, müssten nicht gefragt werden.
Wie hat man die Stadt Wiesbaden und die Bevölkerung über die Konferenz informiert?
Unzureichend. Die Erstschlagoption, die hier eingebracht wird, ist völkerrechtlich und globalpolitisch abzulehnen. Wiesbaden ist der Friedensinitiative »Mayors for Peace« beigetreten. Alle politischen Entscheidungsträger müssen die Notwendigkeit erkennen, die Stimmen der Zivilgesellschaft ernst zu nehmen und Probleme mit rationalen sowie diplomatischen Mitteln zu lösen.
Manon Tuckfeld ist Mitglied des Wiesbadener Bündnisses gegen die Raketenstationierungen
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