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Aus: Ausgabe vom 16.07.2025, Seite 2 / Inland
Regressive Asylpolitik

»Wir müssen immer wieder Fakten liefern«

NRW: Flüchtlingsrat Köln warnt vor Asylgesetzen der Bundesregierung und sieht Versuche, Recht zu beugen. Ein Gespräch mit Mariella Lampe
Interview: Gitta Düperthal
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Hat viel vor: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf der Regierungsbank im Bundestag (Berlin, 10.7.2025)

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, CSU, erhöht den Druck auf Behörden, Menschen in sogenannte sichere Herkunftsstaaten abzuschieben. Das vom Innenministerium dafür entworfene Gesetz soll die Entscheidung über die Liste jener Staaten künftig der Regierung überlassen und diene deshalb der »staatlichen Handlungsfähigkeit«, sagte Dobrindt am Donnerstag im Bundestag. Ist das der Zweck des Asylrechts?

Mehr als die Hälfte der Abschiebehaftfälle sind rechtswidrig, Gerichte kassieren sie anschließend wieder. Staatliche Handlungsfähigkeit ist durch Gesetze eingeschränkt. Es ist verständlich, dass das der Regierung nicht passt. Gesetze sind allgemeingültig. Sie auszusetzen und im Fall von Gruppen, die einem selber unlieb sind, mit Rechtsverordnungen zu umgehen, ist ein Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien. Dem Entwurf muss der Bundestag noch zustimmen.

Was folgt aus den jüngsten Debatten mit Blick auf Betroffene?

Beschlossen und vom Bundesrat bestätigt wurde die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre. Jahrelang geführte Verfahren von Minderjährigen, die ihre Eltern nachholen wollten, sind gestrichen worden. Für viele ist das eine furchtbare Nachricht, und es könnte die Trennung von den Eltern für immer bedeuten. Selbst wenn Pässe bereits vorhanden sind, werden Verfahren plötzlich beendet, werden Visa nicht mehr erteilt. Bislang sollten maximal 1.000 Menschen im Monat kommen dürfen, was erstmals 2024 ausgeschöpft wurde: Das sind nur acht Prozent der Anträge auf Familiennachzug insgesamt. Das Recht auf Nachzug gilt nicht für Geschwister, sondern bei Minderjährigen nur für die Eltern. Für sie ist es deshalb oft sowieso eine schwere Entscheidung.

Wir befürchten, die Liste sogenannter sicherer Herkunftsländer könnte ausgeweitet werden, ohne Fachkundige anzuhören. Dabei muss dringend nach Faktenlage entschieden werden! Schließlich sieht das vergangene Woche eingebrachte Gesetz vor, Menschen in Abschiebehaftverfahren den erst 2024 eingeführten Anspruch auf öffentlich bestellten Rechtsbeistand zu entziehen.

Wie bewerten Sie das?

Die Regierung will für den Moment Handlungsmöglichkeit signalisieren und kann es veranlassen. Aber Gerichte können es wieder kassieren, vermutlich zu einem Zeitpunkt, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nachgelassen hat. Es verletzt die Grundrechte einiger weniger Menschen. Das Vorgehen insgesamt wirft aber ein schlechtes Licht auf den Zustand unserer Demokratie.

Frei nach Martin Niemöller: Als sie die Asylsuchenden holen kamen, schwieg ich, denn ich war kein Asylsuchender?

In der Tat. Im Fall von Migrantinnen und Migranten ist beispielsweise bereits der Datenschutz aufgelöst worden – warum dann nicht auch für weitere gesellschaftliche Gruppen? Es ist der Versuch, das Recht zu beugen.

Nach Afghanistan abzuschieben, setzt voraus, dass die Bundesregierung sich mit den Taliban auf Gespräche einlässt.

Die Gefahr ist: Um die Abschiebung weniger hundert Menschen durchzusetzen, legitimiert sie ein Unrechtsregime, das Menschen vorschreibt, was sie zu sagen, zu denken und wie sie sich zu verhalten haben. Es wird oft so hingestellt, als wären wir dafür, kriminellen Menschen Straffreiheit zu gewähren. Uns geht es in Wahrheit darum, dass der Rechtsstaat nicht ausgehöhlt werden darf.

Wie wirkt es sich aus, wenn die AfD-Fraktion Dobrindts Vorstößen zustimmt?

Kalkuliert man ihre Zustimmung ein, setzt von ihr geforderte Politik um, stellt man sie hin, als sei sie eine normale Volkspartei und nicht gesichert rechtsextremistisch. Indem man sie zur Mehrheitsbeschaffung nutzt, stellt man das in Abrede. Menschen, die Gewalt ausüben wollen, sei es gegen Geflüchtete oder auch queere Menschen beim CSD (Christopher-Street-Day, jW), könnten sich so bestätigt sehen.

Was können Nichtregierungsorganisationen dem entgegnen?

Im Fall von Abschiebungen ist die öffentliche Meinung gespalten. Wir NGOs müssen immer wieder Fakten liefern, damit die gesellschaftliche Debatte nicht emotionalisiert wird. Um gehört zu werden, brauchen wir die Medien.

Mariella Lampe ist Mitarbeiterin des Kölner Flüchtlingsrats e. V.

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