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Aus: Ausgabe vom 15.07.2025, Seite 8 / Inland
Aufnahmeprogramm Afghanistan

»Das Gutachten ist ein letzter Warnschuss«

Pro Asyl sieht Regierung zur Einhaltung von Zusagen gegenüber Afghanen verpflichtet. Ein Gespräch mit Peter von Auer
Interview: Yaro Allisat
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»Afghanische Frauen fordern Befreiung«: Teilnehmerinnen einer Protestkundgebung zum Internationalen Frauenkampftag auf dem Berliner Oranienplatz (8.3.2025)

Ein neues Gutachten von Pro Asyl kommt zu dem Schluss, dass die Bundesregierung sich strafbar macht, wenn sie gefährdete Afghanen im Stich lässt, die von der BRD eine Zusage im Rahmen des Aufnahmeprogramms erhalten haben. Was ist der Kontext des Gutachtens?

Aktuell sind rund 2.300 Afghanen in Pakistan, die über verschiedene Aufnahmeprogramme der Bundesregierung nach langjähriger Prüfung Zusagen erhalten haben. Diese Menschen haben sich damit nach Islamabad begeben, weil es in Afghanistan keine Botschaft gibt, um das Visumverfahren zu machen, und ihnen dort Verfolgung droht. Dort harren sie nun seit Wochen, teils sogar Jahren, aus.

Wir haben überlegt, direkt Strafanzeige gegen die Bundesregierung zu stellen. Das Gutachten ist ein letzter Warnschuss. Der von uns beauftragte Strafverteidiger ist darin zu dem Schluss gekommen, dass die Bundesregierung sich auf jeden Fall strafbar macht, wenn Menschen bereits abgeschoben worden sind. Bei drohender Abschiebung ist die Strafbarkeit noch strittig.

Das Ende dieser Aufnahmeprogramme hatten CDU/CSU bereits im Wahlkampf angekündigt. Welche Folgen für die Betroffenen gehen mit der Umsetzung einher?

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, dass sie alle Aufnahmeprogramme aussetzen wollen. In dem Zuge hat die Regierung die Prüfung weiterer Zusagen gestoppt. Auch die Visumverfahren für Menschen wurden gestoppt, die bereits Zusagen haben und in Islamabad auf die Entscheidung warteten. Die Regierung schaut jetzt, ob das alles zurückgenommen werden kann. Die Betroffenen sind dadurch in einer sehr volatilen Lage. Der Aufenthalt in Pakistan ist bisher durch sogenannte Schutzbriefe von der deutschen Bundesregierung sichergestellt. Wer so einen Schutzbrief hat, soll nicht nach Afghanistan abgeschoben werden. Wenn Deutschland nun an den Aufnahmezusagen nicht mehr festhält, wird auch Pakistan nicht mehr an den Schutzbriefen festhalten und die Personen nach Afghanistan abschieben, wo ihnen Verfolgung durch die Taliban droht. Das sind zum Beispiel Richter, LGBTQ-Personen oder deutsche Ortskräfte (Menschen, die im Zuge der 20 Jahre langen Besatzung Afghanistans durch NATO-Truppen Hilfsdienste für die Bundeswehr verrichteten, jW).

Das Verwaltungsgericht Berlin hat über einen Eilantrag einer afghanischen Familie entschieden, dass die BRD verpflichtet ist, die Visa zu erteilen, wenn bereits eine Aufnahmezusage besteht.

Es ist zu erwarten, dass die Regierung hier in Beschwerde gehen wird. Das Urteil bekräftigt aber, dass die Aufnahmezusagen verbindlich sind.

Denken Sie, solche Gutachten und Urteile führen dazu, dass die Betroffenen schneller aufgenommen werden?

Die Bundesregierung wird alles daran setzen, gerichtlich dagegen vorzugehen. Wie bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über Zurückweisungen an der deutsch-polnischen Grenze wird die Regierung wohl auch hier sagen, es sei nur eine Einzelfallentscheidung. Wir haben nun jedoch das Gutachten und werden die Regierung im Zweifelsfall also strafrechtlich verfolgen.

Behörden halten Menschen in Abschiebehaft, die nach Afghanistan verbracht werden sollen. Haben Gutachten und Urteile auch Einfluss auf diese Fälle?

Diese Menschen haben eine negative Entscheidung im Asylverfahren erhalten. Es soll ihnen also keine Verfolgung in Afghanistan drohen. Und sie wurden hier für schwere Straftaten verurteilt. Die entscheidende Frage für eine Abschiebung ist daher, ob diese Personen in Afghanistan ihre Existenzgrundlage sichern können. Wir beobachten seit Monaten, dass die Schutzquote für Afghanen in den Keller geht, auch die prekäre humanitäre Lage wird also nicht einmal mehr für ein Abschiebungsverbot herangezogen. Hinzu kommt die Anwendung einer sogenannten Robustheitsrechtsprechung. Unterstellt wird: Wer hier Straftaten begeht, sei »robust« genug, um in Afghanistan überleben zu können. Das ist ein vollkommen absurdes Vorgehen, wenn man sich anschaut, welch enorme Strafen in Afghanistan für verschiedene Straftaten verhängt werden.

Peter von Auer ist Jurist und rechtspolitischer Referent bei Pro Asyl e. V.

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