»Wir müssen neoliberale Politik kritisieren«
Interview: Marc Bebenroth
Seit 2005 arbeiten Sie im House of Latin America, kurz HOLA, in Teheran daran, die Solidarität mit den Völkern Kubas, Venezuelas und anderer Staaten jener Region zu befördern, die ständiger Aggression und Einmischung durch den US-Imperialismus ausgesetzt sind. Wie stark ist die Solidarität in die andere Richtung, seit das israelische und das US-Militär iranische Wohngebiete sowie Atomanlagen bombardiert haben?
Während dieser jüngsten brutalen Bombardements standen Länder wie Kuba, Venezuela, Nicaragua und Bolivien – Mitglieder der ALBA (Bündnis »Bolivarianische Allianz für Amerika«, jW) – fest an der Seite Irans. Regierungsvertreter aus Kuba und Venezuela sind sogar zusammen mit einfachen Bürgern auf die Straßen in Havanna und Caracas gegangen, um ihre Solidarität mit unserer Nation zum Ausdruck zu bringen.
Hierzulande sprachen Politiker von einer iranischen Bevölkerung, die die Führung satt habe und für Demokratie sowie Bürgerrechte kämpfen müsse – Stichwort »Regime-Change«. Wie verbreitet ist diese Stimmung?
Angesichts ihrer miserablen Bilanz in Sachen Frieden und Menschenrechte fehlt europäischen Regierungen die moralische oder politische Autorität, dem Iran Ratschläge zu erteilen. Der deutsche Regierungschef behauptete sogar, Israel habe mit dem Angriff auf Iran auch Deutschlands Drecksarbeit erledigt! Ist das nicht ein klares Beispiel für imperialistische Arroganz? Selbstverständlich haben wir Probleme. Aber wer hat das Recht, sich mit diesen Problemen zu befassen: das iranische Volk oder die Regierungen der USA und Europas, die oft die Ursache für unsere größten Probleme – zum Beispiel die illegitimen und ungerechten Sanktionen – sind?
Wer sind die Menschen, die sich bei Ihnen engagieren?
Sie haben verschiedene politische Hintergründe. Während die meisten unserer Mitglieder junge revolutionäre Muslime sind, haben wir unter uns auch revolutionäre Sozialisten – mich selbst eingeschlossen. Die Leute bewundern die Widerstandsbewegungen in Lateinamerika. Sie halten Figuren wie Fidel Castro und Hugo Chávez in hohem Ansehen für deren unerschütterliche Hingabe für die internationale Solidarität mit unterdrückten Völkern.
Verteidigen Sie die Regierung und religiöse Führung oder bewahren Sie sich ihren eigenen, linken Standpunkt?
HOLA ist keiner bestimmten politischen Partei oder Fraktion in der vielfältigen politischen Landschaft Irans zugehörig. Meine persönliche Haltung, die von anderen geteilt wird, ist: Wir verteidigen die Islamische Republik Iran von ganzem Herzen gegen die imperialistische Aggression. Zugleich ist es unsere revolutionäre Pflicht, die neoliberale Politik zu kritisieren.
Stellen sich die Arbeiterorganisationen an die Seite der politisch-religiösen Spitze des Landes, oder kämpfen sie primär für bessere materielle Bedingungen?
Einerseits haben kämpferische Arbeiterverbände ihre Unterstützung für die Führung der Islamischen Republik zum Ausdruck gebracht, insbesondere im Zusammenhang mit der ausländischen Aggression seitens der USA und Israels. Diese Stimmung wird oft durch ein Gefühl des Nationalstolzes und der Einheit gegen äußere Bedrohungen genährt und führt zu großen Demonstrationen, bei denen die Arbeiter öffentlich ihre Treue zum obersten Führer und den revolutionären Idealen bekräftigen.
Andererseits konzentrieren sich die iranischen Arbeiter auch immer mehr auf ihre Klasseninteressen und setzen sich für bessere Löhne, sichere Arbeitsplätze und bessere Arbeitsbedingungen ein. Streiks und Proteste machen häufig auf wirtschaftliche Missstände aufmerksam, was darauf hindeutet, dass es zwar eine starke Strömung politischer Loyalität, aber auch eine dringende Forderung nach sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit innerhalb der Arbeiterschaft gibt.
Diese doppelte Ausrichtung verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen die Arbeiter konfrontiert sind, wenn sie ihre Klasseninteressen mit breiteren politischen Narrationen in Einklang bringen wollen. Die Situation ist nach wie vor dynamisch, und es besteht ein ständiger Konflikt zwischen diesen beiden Aspekten der Arbeiterbewegung im Iran.
Hamid Shahrabi ist Mitbegründer und Koordinator des House of Latin America (HOLA) in der iranischen Hauptstadt Teheran
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Norlys Perez/REUTERS04.03.2024
»Niemals mitschuldig«
- Sadra Company/WANA (West Asia News Agency)/REUTERS14.06.2023
Gegen US-Hegemonie
- Ramon Espinosa/AP Photo/picture alliance24.08.2019
»Trump ist ein Imperialist im klassischen Sinne«
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Von Siedlern zu Tode geprügelt
vom 15.07.2025 -
Souveränität ohne Souveränität
vom 15.07.2025 -
Druck auf Israel erhöhen
vom 15.07.2025 -
Pogromstimmung in Kleinstadt
vom 15.07.2025 -
Selenskij optimiert Regierung in Kiew
vom 15.07.2025