Gegründet 1947 Montag, 25. August 2025, Nr. 196
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 10.07.2025, Seite 7 / Ausland
Iran

Zwischen Bomben und Diplomatie

Iran: Neue Todeszahlen veröffentlicht. Hinweise auf Gespräche mit den USA verdichten sich
Von Luca Schäfer
2025-07-08T145544Z_1626726147_RC2B4FACZJ3G_RTRMADP_3_IRAN-NUCLEA
Das israelische Bombardement Irans hat größere Zerstörungen angerichtet, als Teheran zugeben will (17.6.2025)

Auf dem BRICS-Gipfel Anfang der Woche blieben nicht nur die Plätze von Wladimir Putin und Xi Jinping frei, sondern auch der Sitz des iranischen Präsidenten Massud Peseschkian. Das hat Gründe: Nach dem zwölftägigen Dauerbombardement durch Israel und die USA im Juni steht die Theokratie zwar nicht vor ihrem Ende, wohl aber vor den Trümmern ihrer geopolitischen Relevanz. Infolge des israelischen Angriffskriegs ist die iranische Verteidigung »strategisch geschwächt«: Radarstationen wurden beschädigt, das S-300-Flugabwehrraketensystem wurde weitgehend ausgeschaltet. Große Teile der Infrastruktur liegen darnieder, fast die gesamte Führungsriege der Revolutionsgarden wurde liquidiert.

Auch auf den Präsidenten selbst soll Israel einen Attentatsversuch unternommen haben. Das sagte dieser in einem Interview mit dem US-Moderator Tucker Carlson am Montag. Peseschkian zufolge bombardierte Israel ein Gebiet, in dem er ein Treffen abhielt – allerdings ohne Erfolg. Nicht zuletzt sind die humanitären Folgen des Kriegs verheerend. Laut einem vom iranischen Fernsehen am Montag ausgestrahlten Interview mit Said Ohadi, dem Leiter der iranischen Stiftung für Märtyrer- und Veteranenangelegenheiten, liegt die Todesopferzahl des Kriegs bei 1.060. Sie dürfte allerdings aufgrund der vielen Schwerverletzten weiter steigen, warnte Ohadi. Im Ausland ansässige Organisationen gehen sogar von noch höheren Todeszahlen aus.

Unter den Angriffen mit den höchsten Opferzahlen war derjenige am 23. Juni auf das Evin-Gefängnis in Teheran, wie ein Bericht der New York Times nahelegt. Bei dem Bombardement, das Zellentrakte, angrenzende Gebäude sowie medizinische Einrichtungen traf, wurden mindestens 71 Personen getötet, darunter angeblich zahlreiche Transgenderpersonen, die dort inhaftiert waren. Die israelische Propaganda versuchte, die Attacke als Schlag gegen die iranischen Repressionsorgane und Akt der Befreiung zu verbrämen. Abgesehen von den vielen Toten, führte der Angriff dazu, dass Hunderte Gefangene in einer schlecht organisierten Evakuierung in andere, stark überfüllte Haftanstalten gebracht wurden. Dies berichtete die in Evin inhaftierte Sayeh Seydal laut Washington Post ihrer Familie Ende Juni in einem Telefonat. Die neuen Haftbedingungen würden einen »schleichenden Tod« bedeuten.

Bisher hat der Krieg auch nicht zum von Israel und den USA erhofften Regimewechsel geführt. Die Theokratie versucht eher, mit einem Ausbau der Repressalien den Status quo zu wahren. So gibt es Berichte über eine hohe Zahl an Verhaftungen. Gleichzeitig treibt Teheran die Ausweisung der rund 3,5 Millionen im Land lebenden Afghanen voran. Das Land, das als eines der größten Aufnahmeländer für Geflüchtete weltweit galt, hatte bereits Anfang des Jahres Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung zur Ausreise aufgefordert. Zunehmend seien Afghanen nicht nur Anfeindungen aufgrund der miserablen Situation ausgesetzt, sondern auch wegen des Verdachts der Spionage für Israel, berichten Rückkehrer. Allein im Juni verließ rund eine halbe Million Menschen das Land.

Der BRICS-Gipfel in Rio de Janeiro, an dem Außenminister Abbas ­Araghtschi stellvertretend für den Präsidenten teilnahm, war hingegen ein diplomatischer Sieg für Teheran. In einer Erklärung verurteilte das Bündnis, in dem Iran seit Januar 2024 Vollmitglied ist, die Militärschläge. Einziger Wermutstropfen: Aufgrund divergierender Interessen – insbesondere zwischen China und Indien – und taktischer Zurückhaltung vor ausufernden US-Zöllen fehlte eine namentliche Nennung der Aggressoren. Andeutungen Peseschkians im Interview mit Carlson scheinen sich unterdessen zu bewahrheiten, denn es zeichnen sich Nachkriegsgespräche zwischen den USA und Iran ab. Auch Steve Witkoff, der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, sprach von einem möglichen Treffen in der kommenden Woche. Die Gespräche könnten unter katarisch-omanischer Vermittlung in Oslo stattfinden. Allerdings dürften diese schwierig werden, schließlich ist das Vertrauen der Iraner erschüttert, waren sie doch inmitten der letzten Verhandlungen angegriffen worden.

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Auch im Iran bombardierte die israelische Luftwaffe zivile Einri...
    30.06.2025

    »Weder Iran noch Israel sollten Atommacht sein«

    Iran: US-Angriff auf nukleartechnische Anlagen stärkt Kräfte im Land, die nach atomarer Bewaffnung rufen. Ein Gespräch mit Mohssen Massarrat
  • Die Demonstranten auf den Straßen von New York lassen sich nicht...
    24.06.2025

    Legendenbildung in Washington

    Nach US-Angriff auf Iran: Trumps Entscheidung »dokumentiert«. Warnung vor »Schläferzellen«
  • Global verständlich: Bildnisse der beiden Kriegsverbrecher Netan...
    23.06.2025

    Scharfe Kritik aus Lateinamerika

    US-Angriff auf iranische Atomanlagen: Linke Staatschefs verurteilen Aggression und fordern Diplomatie

Mehr aus: Ausland

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro