Nur der Kuchen ist gegessen
Von Gisela Sonnenburg
Kuchen kann Kunst sein. Sogar, wenn er längst gegessen ist. Die türkische Künstlerin Ayşe Erkmen, die in Berlin und Istanbul lebt, hat es vorgemacht: Für die Ausstellung »It’s Just a Matter of Time« im Palais Populaire in Berlin, die auf der Sammlung der Deutschen Bank beruht, kreierte sie eine buttrig gefüllte Biskuitrolle nach altem Rezept. Es dokumentiert den griechischen Einfluss auf die türkische Küche. Der leckere Kuchen ist längst gegessen, er wird auch nicht nachgeliefert. Dieser Verlust spielt etwas nach: Das Rezept ist nämlich heute in der Türkei fast vergessen, es war ein Relikt aus ungeliebter Zeit. Erinnerte es doch an den griechisch-türkischen Krieg (1919–1922), als etwa die Stadt Izmir griechisch besetzt war.
Die verschwundene Süßigkeit trifft einen wunden Punkt: Der Weltfrieden ist heute so weit entfernt, wie er es damals war. Der Kuchen mag gegessen sein, aber die Frage nach dem Frieden bleibt. Auch eine Arbeit von Max Beckmann, dem Expressionisten, der viele Jahre in Berlin lebte und 1950 in New York starb, hat mit Krieg und Frieden zu tun: Das Blatt »Der Traum vom Krieg« aus der Serie »Tag und Traum« (1946) zeigt einen Leichenwagen mit totem Helden in antiker Kluft, und ein Schild am Wagen warnt: »I come back« (»Ich komme zurück«). Nicht der Held, sondern der Krieg wird wiederkehren.
Künstler aus allen Epochen haben sich mit Krieg beschäftigt, viele haben vor ihm gewarnt. Umsonst. Ein weiteres Werk von Beckmann wirkt in diesem Sinne fast fatalistisch: Sein Blatt »König und Demagoge« suggeriert, Tod und Leben der anderen seien nur ein Spiel für jene, die an der Macht sind. In diese Kerbe stößt auch die Bodeninstallation von Nancy Lupo aus dem Jahr 2023, die den Schock des Krieges thematisiert. Die Schuldfrage wird ja meist nicht mal gestellt, wenn es um tödliche Auseinandersetzungen zwischen Staaten geht. Zumal es meistens ein Krieg der Herrschenden ist.
Der Ausstellungstitel »It’s Just a Matter of Time« (»Es ist nur eine Frage der Zeit«) spielt aber nicht nur auf den Krieg an. Auch das Thema Geld passt dazu: Achtzehn Spardosen im Schweineformat sind von Wisrah C. V. da R. Celestino unter dem simplen Titel »Pigs« (»Schweine«) aufgestellt. Und Martin Kippenberger befand 1986 mit einer malerischen Collage auf Hotelbriefpapier schlicht: »No problem – no problème«. Er meinte alles, was eigentlich nicht okay ist. Es ist ja auch allerhand, womit Menschen sich ohne zu murren arrangieren, sogar mit falschem Französisch wie im Kippenberger-Bildtitel.
Trotzdem wächst Poesie auch aus den ernsthaftesten Angelegenheiten. Stichwort Ausgrenzung, Stichwort Vernichtung. »For, In Your Tongue, I Cannot Fit« (Denn in deine Sprache passe ich nicht) heißt eine Installation von Shilpa Gupta. Hundert Bücher hat sie in Rotguss nachgestaltet und in Glasvitrinen plaziert. Diese Bibliothek lenkt die Gedanken auf die Fragilität von Literatur. Fand doch in Laufnähe zum Ausstellungsort – dem ehemaligen Operncafé – die größte Bücherverbrennung der Nazis am 10. Mai 1933 auf dem heutigen Bebelplatz statt.
Christos »Wrapped Reichstag« in einem Entwurf von 1984 hingegen zeigt, dass Kunst die Dinge verwandeln kann. Zumindest vorübergehend. Die Zeichnung vermittelt auch, wie wunderbar utopisch aufgeladen die Kunstszene damals war. Und doch blieb das Telefon viel zu oft still: »Abonné absent« (Abwesender Teilnehmer) heißt es, wenn ein Stuhl, ein Tisch mit Rollen und ein altes Telefon mit Wählscheibe zusammenkommen und gemeinsam schweigen. Wie im Aufbau von Marianne Berenhaut. Sie will so an die Deportierten im Dritten Reich erinnern – und erfasst mit ihrer Installation von 2006 dennoch die ganze zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Einer hat schon alles hinter sich. »Untitled (Loverboy)« von 1989 bezieht sich auf die AIDS-Toten des ausgehenden letzten Jahrhunderts. Félix González-Torres lässt für sie transparenten blauen Stoff als Vorhang wehen – und erinnert so an die zärtlichen Momente mit verstorbenen Liebhabern. Es gibt kaum schönere Erinnerungen, um an den Tod zu gemahnen.
»It’s Just a Matter of Time«, Palais Populaire, Berlin-Mitte, Unter den Linden 5, bis 18. August 2025
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