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Aus: Ausgabe vom 11.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Schule

Jens Spahn – Seine Versetzung stand nie in Frage

Von Pierre Deason-Tomory
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Ein Mann mit vielen Talenten: Jens Spahn (CDU)

Bischöfliche Kanaillenschule Ahaus / Berufsberatung, 9.7.1995

Sehr geehrter Herr Spahn, sehr geehrte Frau Spahn,

Ihr Sohn Jens wird nach Ende der Sommerferien in die elfte Klasse versetzt. Vor dem Eintritt in die Oberstufe haben die Eltern eines jeden Schülers Anspruch auf eine Einschätzung des priesterlichen Berufsberatungskollegs, die Sie hiermit erhalten.

Einige Vorbemerkungen. Jens erfreut sich in seiner Klasse großer Beliebtheit. Er lässt seine Tischnachbarn immer abschreiben. Gegen Bezahlung. Gegen sich selbst ist Ihr Sohn bei den Prüfungen sehr gewissenhaft. Er schwärzt alle angestrichenen Fehler in seinen Klassenarbeiten und gibt diese dann dem Lehrer in einem mit Geld gefütterten Umschlag zurück. Seine Versetzung stand nie in Frage. Herausragend ist seine Phantasie, Jens lügt sogar, wenn er nur die Uhrzeit vorlesen soll.

Trotz seiner Beliebtheit ist er nicht gesellig. In der großen Pause muss der Hof für ihn geräumt werden, weil er bei Annäherung beißt. Diese Sensibilität ist schon in der Grundschulzeit aufgefallen. Die Überschriften seiner Aufsätze über »Mein schönstes Ferienerlebnis« lauteten damals »Wie ich Opas Zähne in Chiliöl einlegte« oder »Wie ich die Straßenbahn zum Entgleisen brachte«.

Jens ist auf seine Weise populär, er sorgt dafür, dass sich seine Klassenkameraden nicht langweilen. Bei jedem Schulwandertag hat er, solange er noch mitkommen durfte, einen Waldbrand gelegt. Bei einem Zoobesuch ließ er die Affen raus und warf ein Hündchen ins Löwengehege.

Wie Sie sich vielleicht erinnern, dürfen wir Ihren Sohn seit der Reise nach Berlin im Herbst 1989 nicht mehr auf Klassenfahrten mitnehmen. Damals hat er, gerade neun Jahre alt, zunächst den Kindern vom Bahnhof Zoo Heroin verkauft. Anschließend, beim Tagesbesuch in Ostberlin, wurde er verhaftet, weil er den Zwangsumtausch mit Blüten bezahlt hatte.

Die Bundesregierung wollte ihn austauschen gegen drei Topspione, doch die DDR gab Jens ohne Gegenleistung heraus und legte noch drei Bürgerrechtler drauf – seine Mithäftlinge hatten mit Gefängnisrevolte gedroht, sollte er nicht sofort verschwinden. Bei der Übergabe am Grenzübergang Bornholmer Straße riss er sich los, rannte zur Brücke und brüllte: »Die Mauer ist weg! Folgt mir!« Daraufhin stürmten Tausende den Übergang, der Rest ist bekannt.

Neben seinen Verdiensten um die Einheit und seinen anderen Vorzügen müssen wir auch seine Defizite in Rechnung stellen. Wegen seiner Streiche wurden bislang drei seiner Klassleiter frühverrentet. Darunter die Kollegin U. Sie war hochschwanger, als ihr Jens ein Furzkissen auf den Stuhl gelegt hatte. Als sie sich setzte, bekam sie vor Schreck eine Frühgeburt. Im Klassenzimmer. Und weil Jens die Türe versperrt hatte, mussten seine Mitschüler mitansehen, wie er mit den Worten »Lasst mich da mal ran, ich werde mal Gesundheitsminister!« die Nabelschnur des Kindes mit dem Zirkel durchtrennt hat. Die meisten von ihnen sind seitdem in Behandlung.

Zusammengefasst: Die Karrieremöglichkeiten Ihres Sohnes Jens Spahn sind wegen seiner Talente und seiner charakterlichen Mängel leicht auszumachen. Das priesterliche Berufsberatungskolleg der Bischöflichen Kanaillenschule Ahaus rät ihm zu einer Laufbahn als CDU-Politiker. Da haben talentierte Arschlöcher Chancen. Wenn das scheitern sollte, kann er immer noch bei Blackrock anfragen.

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