Vom Dienst zur Pflicht
Von Fabian Linder
Seit Monaten fordern die militaristischen Hardliner von Union und SPD einen »neuen Wehrdienst«. Am Montag machte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seinem in Regierungskreisen vorgelegten Gesetzentwurf ernst. In dem an den Spiegel durchgestochenen Papier wird definiert, wie der freiwillige Dienst an der Waffe für potentielle Rekruten zunächst attraktiver und bei Bedarf per Beschluss von Kabinett und Bundestag auf eine Rückkehr zur Wehrpflicht umgestellt werden soll. Bereits Ende August soll das Kabinett darüber befinden, damit die neue Regelung schon 2026 wirksam werden kann.
Diese sähe, so der Spiegel, vor, den monatlichen Sold von Freiwilligen an das Gehalt von Zeitsoldaten anzupassen. Gehofft werde, dass man sich nach dem Basisdienst von sechs Monaten für längere Zeit verpflichten werde. Wehrdienstleistende sollen demnach etwa 2.000 Euro netto monatlich erhalten. Ziel sei, die aktive Truppenstärke um 80.000 auf 260.000 Soldaten zu erhöhen und neben den aktuellen 100.000 Reservisten weitere 100.000 Freiwillige zu gewinnen, auf die bei einer militärischen Eskalation zurückgegriffen werden kann.
Menschen ab dem Jahrgang 2008 erwarte künftig ein Fragebogen, der Interesse an und Eignung für den Dienst an der Waffe erheben soll. Männer müssten diesen beantworten. Frauen werde es zur Wahl gestellt. Ab 2027 werde die erhoffte Bereitschaftserklärung eine verpflichtende Musterung ergänzen, um Interessierte zu einer freiwilligen Verpflichtung zu bewegen und im Ernstfall zu verpflichten. Letzteres, die Wehrpflicht, soll das Parlament einsetzen können, wenn es den »kurzfristigen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist«.
Das Ringen der Bundeswehr nach Nachwuchs führt seit einigen Jahren zu immer aggressiverer Werbung an Schulen. Das belegte am Dienstag abermals die Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag. Demnach habe sich die Anzahl der Besuche von Jugendoffizieren im Klassenzimmer seit 2020 verdreifacht. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Nicole Gohlke, kritisierte diese zunehmende Präsenz der Bundeswehr scharf. Es sei »kein Beitrag zur Aufklärung, sondern schlichtweg der Versuch, das Image der Streitkräfte aufzupolieren und gezielt junge Menschen – teils sogar Minderjährige – für den Dienst an der Waffe zu gewinnen«, so die Bildungspolitikerin.
Umstritten ist das Thema allerdings auch in Pistorius eigener Partei und Fraktion. Ein entsprechender Antrag der Jusos an den SPD-Parteitag Ende Juni konnte nur mit Mühe abgewendet werden. Die veränderte und beschlossene Fassung entspricht dem, was nun in den Plänen umgesetzt werden soll. Man wolle »keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft« seien. Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung von wehrpflichtigen jungen Menschen, wie es weiter hieß, gaben Pistorius einen Spielraum in den Verhandlungen mit der Union.
Von deren Fraktion bekommt Pistorius außerdem vielfach Rückendeckung. Sie drängt darauf, die Möglichkeit zur Pflicht schnell in ein Gesetz zu bringen. Auch sein Parteikollege und Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, begrüßte die Debatte über eine Rückkehr zur Wehrpflicht am Sonntag ausdrücklich. Angesichts der »veränderten Sicherheitslage in Europa« werde »nichts anderes übrig bleiben«. Allerdings monieren Reservistenverbände die absehbaren Probleme mit der konkreten Umsetzung des sogenannten Aufwuchses von Truppenstärke und Reservistenschar: Es fehlen nicht nur Personal, sondern auch Unterkünfte und Material.
Mit Lettland zeigte sich am Dienstag auch ein europäischer NATO-Partner wohlwollend gegenüber der Militarisierung der BRD und den Anstrengungen für eine kriegstüchtige Bundeswehr. Staatspräsident Edgars Rinkēvičs teilte mit, dass er »die Entwicklung der deutschen Streitkräfte voll und ganz« unterstütze. »Dies liegt im Interesse der Sicherheit ganz Europas«, war er sich sicher.
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Leserbrief von Ludger Klus aus 19273 Groß Kühren (9. Juli 2025 um 19:08 Uhr)Kriegsdienst? – Sagt nein! – Wir machen nicht ihre Drecksarbeit! Für grenzenloses und vorbehaltloses Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz! Jetzt die Petition unterschreiben! Internetseite: openpetition.de/!qnmdb Gegen das (Un)Recht der Mächtigen, für eine rechtsgleiche Durchsetzung des Völkerrechts: Krieg ist Krieg. – Mord ist Mord. Völkermord ist Völkermord!
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Leserbrief von Peter Groß (10. Juli 2025 um 15:38 Uhr)Weiß in Deutschland die Jugend nicht, was Krieg bedeutet? Ich hörte von der Kriegsgeneration des Zweiten, teils Ersten Weltkriegs in den 60er Jahren, von Vietnamveteranen auf der Flucht nach Schweden, die unisono Geschichten von Billionen Schmeißfliegen, Madenbefall, Leichenfraß. Von Hofhunden und verwilderten oder Wildtieren, die Nachbarn fraßen, von Wildschweinen, die Knochen brachen. Ganze Nahrungsketten änderten sich, und wir wissen eben nicht, welche biologischen Folgen Krieg im auftauenden Permafrost mit sich bringt. Welche Epidemien folgen. Von Soldaten, die den Verstand, vom Zitterpaul und seinen Kameraden, die ihre Sprache verloren, zu Stotterern wurden, oder die vom Zittern am ganzen Körper befallen wurden. Dazu gibt es eine kurze Dokumentation des SWR: »Dark Science – Experimente an deutschen Soldaten«. Auf Soldatenblogs, ob Russland oder der Ukraine, aber auch Gaza werden die schrecklichsten Bilder geliefert. Ein Aufschrei gegen den Kriegswahn. Ich weiß, dass dieser kurze Text Grenzen überschreitet. Haben wir aber nicht die Pflicht zur Wahrheit, bevor unsere Jugend in den Schützengräben der Welt von Ungeziefer, Sackratten oder Krätze befallen an der Welt verzweifelt. Wie lautet die Antwort nach der Rentenversorgung eines zwanzigjährigen im Rollstuhl ohne Arm, ohne Beine, mit nur einem halben Gesicht. Wie lautet die Antwort nach medizinischen Hilfsmitteln, die von den gesetzlichen Krankenkassen immer weiter gekürzt werden. Es gibt zahllose Romane, die das Elend der Soldaten beschreiben. Man darf auch einmal das Antikriegsmuseum besuchen, um eine Antwort zum Nein gegen den Kriegsdienst zu finden.
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Leserbrief von Peter Groß (9. Juli 2025 um 13:07 Uhr)Wer bekommt Post von Pistorius? Eine Frage, die nicht beantwortet wird. Die nicht einmal gestellt wird. Sind das gleichberechtigt Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, die möglicherweise Erdoğan wählen und ihre politische Heimat bei den Grauen Wölfen haben? Sind das in Deutschland geborene Kinder von Migranten, die sich kürzlich einbürgern ließen? Werden sie, sofern sie eine militärische Grundausbildung in ihrem früheren Heimatland absolvierten, als Reservisten eingezogen. Gehören Kriegsflüchtlinge dazu, die immerhin noch im Zivildienst Verwendung finden könnten? Werden Zivildienstleistende finanziell gleichgestellt? Immer bedeutete Kriegsdienst die Zunahme von Alkohol- und Drogenkrankheit oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Wer muss die Rehabilitation finanzieren? Wieder nur das Kollektiv der gesetzlich Pflichtversicherten? Gehören dazu ehemalige Kindersoldaten, deren Status nicht geklärt ist, die vielleicht als ehemals Staatenlose, möglicherweise als inzwischen Eingebürgerte mit 18 Jahren die Einrichtungen der Kinder- und Jugendpflege zu Hunderten verlassen müssen und wohnungslos vor dem finanziellen Nichts stehen?
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Leserbrief von Jerik Hübner aus Hildesheim (10. Juli 2025 um 19:15 Uhr)Alle Männer und Frauen, die nach dem 31. Dezember 2007 geboren sind, weil diese (Männer) noch nicht 18 sind, können sie verpflichtet werden. Alle, die schon jetzt 18 plus sind oder vorm Gesetz in Kraft treten 18 werden sind nicht mehr betroffen und dürfen rechtlich auch nicht mehr verpflichtet werden, da dort das Rückwirkungsverbotsgesetz wirkt und der Vertrauensschutz aus dem GG (Art.103 Absatz 2 GG) also ab 2008 ist Wehrpflicht auch später noch möglich, bis sie ihr 25. Lebensjahr erreicht haben. Also klar rechtlich definiert, sicherlich hätte Pistorius gerne noch Jahrgang 2007,6,5,4 gehabt zur Erfassung/Musterung. aber dies ist rechtlich nicht mehr möglich, deswegen 2008. Ja, wird auf jeden Fall interessant, ob oder eigentlich wie lange es dauert, bis – falls eine richtige Pflicht kommt – diese vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird aufgrund von Diskriminierung. Dies wird sicherlich spätesten bei einer richtigen Wehrpflicht nur für Männer geschehen, deswegen wird auch so vorsichtig mit Fragebogen/Musterung gespielt. Menschen die eine Wehrpflicht in einem anderen Land schon abgeleistet haben und einen entsprechenden Nachweis bringen können, wenn sie noch unter 25 sind und nach dem 31. Dezember 2007 geboren sind, können diesen sicherlich einrechnen und werden befreit. Der Staat wird alle Sozialversicherungsabgaben in einem Wehrdienst für die Zeit übernehmen. Das Risiko besteht, dass es mehr Suizide und Drogen-/Alkoholabhängige geben wird, vor allem falls, was unwahrscheinlich ist, eine reine Männerwehrpflicht kommen würde. Wichtig zu wissen ist, keiner darf nachträglich, wenn er oder sie jetzt schon über 18 ist, gezwungen werden. Erst ab Jahrgang 2008 plus. Eine Pflicht wird es wahrscheinlich, falls die Rekruten nicht reichen, erst ab 2010 Jahrgang geben. Aber dafür gibt es keine Garantie, auch ein 2008 geborener kann in Zukunft bis zum 25. Lebensjahr noch verpflichtet werden. Dies ist aber politisch und wirtschaftlich/gesellschaftlich äußerst unwahrscheinlich. Es wird eher Jg. 2009, 10 … treffen.
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Leserbrief von Peter Groß (11. Juli 2025 um 10:06 Uhr)Obwohl manches unbeantwortet blieb. Danke für die ausführliche Antwort, die zeigt wie umfangreich »Leserbriefe« neben des redaktionellen Angebots für den öffentlichen Meinungsaustausch genutzt wird.
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