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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 4 / Inland
»Neuer Wehrdienst«

Pistorius prescht vor

Ministerium: »Neuen Wehrdienst« sofort umsetzen. Militärisches soll »Vorfahrt« haben. Linke will »bessere Arbeitsbedingungen« für Soldaten
Von Kristian Stemmler
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»Wenn du Krieg willst, bereite Krieg vor« – Boris Pistorius am Freitag in Brüssel

Schon während der Koalitionsverhandlungen hatten Unionspolitiker für die Wiedereinführung der Wehrpflicht getrommelt, nun prescht die SPD mit ihrem Modell vor. Zwar ist in dem Entwurf ein überarbeitetes Modell für den »Neuen Wehrdienst« fixiert worden, dieser basiert aber – zumindest vorerst – auf Freiwilligkeit. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der sein Amt im neuen Kabinett höchstwahrscheinlich behalten darf, warb am Freitag gegenüber dpa dafür. Sein Ministerium gehe davon aus, »dass wir mit einem attraktiven Wehrdienst genügend Freiwillige gewinnen werden«. Das relativierte der Minister aber im selben Atemzug: »Sollte das eines Tages nicht der Fall sein, wird zu entscheiden sein, einzuberufen.« Im März 2011 setzte der Bundestag die Wehrpflicht aus – knapp 55 Jahre nach ihrer Einführung.

Bereits im November hatte Pistorius einen Gesetzentwurf zur Einführung des »Neuen Wehrdienstes« vorgelegt, mit dem vor allem die »Wehrerfassung« forciert und eine »starke personelle Reserve« aufgebaut werden sollte. Nach »schwedischem Vorbild« sollten alle jungen Menschen, die mit Erreichen des 18. Geburtstags »wehrfähig« werden, künftig online einen Fragebogen ausfüllen, in dem sie etwa nach ihrer körperlichen Fitness und ihrer Bereitschaft zum Wehrdienst gefragt werden. Die Bundeswehr soll die Fragebögen sichten und dann um die 10.000 Männer zur Musterung laden, um ihnen den Wehrdienst schmackhaft zu machen.

Wegen des Zerfalls der Ampelkoalition konnte dieses Vorhaben nicht mehr umgesetzt werden – das soll offenbar jetzt nachgeholt werden. Sein Haus habe in den vergangenen Monaten »weiter an den entsprechenden Grundlagen gearbeitet, so dass die nächsten Schritte gleich nach Bildung der nächsten Regierung folgen können«, erklärte Pistorius. Die Wiederaufnahme von »Wehrerfassung« und »Wehrüberwachung« seien erste geplante Schritte. Ziel sei es, noch in diesem Jahr mit dem »Neuen Wehrdienst« zu beginnen. Für den Anfang werde man »vermutlich rund 5.000 Wehrdienstleistende zusätzlich haben«, so der Politiker. SPD und Union seien sich einig, dass ein »Aufwuchs der Bundeswehr« sichergestellt werden müsse. Damit seien nicht nur die »stehenden Streitkräfte« (rund 180.000 Männer und Frauen) gemeint, »sondern auch die Reserve«. Ein Problem bleibe aber, dass es an Betten, Kasernen, Ausbildern und Material fehle.

»Kritik« an dem Modell kam von Heidi Reichinnek, Kochefin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Offenbar sei der Wiedereinstieg in eine allgemeine Wehrpflicht »das klare Ziel« von Union und SPD. Das sei »eindeutig der falsche Weg«. Wenn man die Bundeswehr für Nachwuchs attraktiver machen wolle, müsse man »Auslandseinsätze beenden und die Arbeitsbedingungen verbessern«, so Reichinnek. Dem Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr war die Freiwilligkeit ein Dorn im Auge. Dabei handele es sich um »ein einfaches Weiter-so« und reiche nicht aus, sagte Verbandspräsident und CDU-Politiker Patrick Sensburg am Donnerstag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Inzwischen habe man nämlich »alle abgeschöpft, die freiwillig zur Bundeswehr wollen«.

Pistorius machte zudem deutlich, dass der Koalitionsvertrag eine »gute Grundlage für die Bundeswehr« sei, der Erfolg sich jedoch in der Regierungspraxis zeigen müsse. Union und SPD haben sich darauf geeinigt, das Genehmigungs- und das Vergaberecht zu vereinfachen – auch bei Bauvorhaben. Militärisches soll in Zukunft oberste Priorität genießen. »Wir brauchen Vorfahrtsregeln für Fragen der nationalen Sicherheit und der Verteidigungsfähigkeit, die es uns erlauben, schneller und unkomplizierter zu bauen«, so der Minister. Die Entscheidung, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) zu stärken und den Geheimdienst mit mehr Befugnissen auszustatten, begrüßte er mit Blick auf die zukünftige Stationierung deutscher Soldaten an der NATO-Außengrenze: »Es geht um erweiterte und neue Befugnisse auch in Regionen, in denen wir bislang nicht waren.«

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  • Leserbrief von René Osselmann aus Magdeburg (14. April 2025 um 14:48 Uhr)
    Kriegstüchtigkeit und Kriegswirtschaft sind in aller Munde in dieser unserer Zeit und darum braucht es die Wehrpflicht, so ist das Gedankenspiel von unseren politischen Strategen wie auch vom Herrn Pistorius aus der SPD und der alte sowohl auch dann der neue Verteidigungs-Kriegsminster! Er redet von freiwilliger Basis bei der Wehrpflicht, aber ist es freiwillig, wenn Menschen diesbezüglich ein Formular ausfüllen sollen und dann entscheiden wird, ob Kriegsdienst oder nicht? Hier wird uns wohl nur etwas schmackhaft gemacht, was nicht schmackhaft ist, Kriegsdienst sollte niemals schmackhaft sein, denn es ist mit Sicherheit kein Spiel auf der Playstation, sondern kann schnell zu einem bitteren Ernst werden bis hin zu einem bitteren Ende und dieses Ende ist nicht wie auf der Konsole mit einer Reset-Taste!
  • Leserbrief von Klaus-Peter Häußer aus Neustadt-Glewe (12. April 2025 um 11:29 Uhr)
    Es müsste heißen: neuer alter Wehrdienst. Oder glaubt ihr denn ernsthaft, dass sich am feudal-bürgerlichen »Gewaltstaat« (Dühring) etwas ändern wird?
  • Leserbrief von B.S. aus Ammerland (11. April 2025 um 21:00 Uhr)
    Die Sozen und Linken als Wegbereiter des neuen Nationalismus. Da können sich die »Braunen Kämpen« in AfD, CDU/CSU, FDP und bei den NATO-Olivgrünen beruhigt zurücklehnen. Nothing can stop us now oder: der Geist aus der Flasche. Blattschuß- Boris kann den Hals nicht voll genug bekommen. Wahrscheinlich werden bald alle Strophen des Deutschlandliedes beim Schein der Fackeln abgeträllert. Geht es nach Pistorius, wird es doch einfacher sein, einen Großteil der Hartz-IV-Empfänger plus die Jugendlichen ohne Berufsabschluss als Kanonenfutter zu schangheien. Wer nicht will, wird kielgeholt. Und nicht zu vergessen: »heute gehört uns Deutschland und Morgen die ganze Welt«.

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