»Das ist schon ein ziemlicher Aderlass«
Interview: Max Ongsiek
Brandenburgs Landesregierung hat jüngst einen Rekordhaushalt von mehr als 34 Milliarden Euro für die kommenden zwei Jahre verabschiedet. Vielen Beratungsstellen für Schwangere droht aber die Schließung. Wie passt das aus Ihrer Sicht zusammen?
Die Mittel für die Schwangerschaftskonfliktberatung sind von der Politik einfach nicht weiter dynamisiert worden. Wir hatten gehofft und erwartet, dass die Landesregierung hier mehr Geld in die Hand nimmt. Das ist nicht passiert. Jetzt muss man aber wissen, dass es eine Richtlinie gibt, nach der das Haushaltsbudget alle zwei bis drei Jahre angepasst wird. Das findet jetzt nicht statt. Das heißt, die Kostensteigerungen bei den Trägern, die ja gerade im Personal- wie Sachkostenbereich erheblich sind, führen am Ende zu einer Kürzung. Da wir die Vergütung unserer Berater aber deutlich anheben müssen, führen wir mit der Landesregierung schon länger Gespräche. Denn das sind hochspezialisierte Fachkräfte – Sozialarbeiter oder auch Psychologen –, die sich ihre Jobs aussuchen können.
Welche Aufgaben übernehmen diese Beratungsstellen?
Neben der Schwangerschaftskonfliktberatung geht es um das gesamte familiäre Leben, dessen Probleme bei uns auf den Tisch kommen. Das ist sowohl vielseitige aufsuchende Arbeit, als auch individuelle Beratung. Teilweise geht es um Fragen rund ums Arbeitsrecht, oder auch Trauerberatung, beispielsweise bei Totgeburten. Bei der Konsultation von migrantischen Familien kommt auch die notwendige Sprachbefähigung der Fachkräfte hinzu. Insgesamt reden wir im Moment über Vollzeitstellen von 55 Fachkräften für Brandenburg. Das Land hat einen Schlüssel von einer Beratungsperson auf 40.000 Einwohner gesetzlich festgeschrieben. Für uns ist das ein Mindestwert.
Das Schwangerschaftskonfliktgesetz verpflichtet das Land, eine flächendeckende, wohnortnahe und niedrigschwellige Beratung für schwangere Frauen mit Problemen sicherzustellen. Welche rechtlichen Konsequenzen hätte die Nichterfüllung für die Landesregierung?
Noch erfüllt Potsdam die Verpflichtung. Nur werden wir eben die Schlüsselzahlen deutlich verfehlen. Wir als Sozialverbände müssen jetzt aber schauen, wie wir mit der neuen Situation umgehen. Eventuell kann eine Klage geführt werden. Aber das ist im Moment noch eine Debatte, denn einen Klärungsbedarf haben wir im Grunde gar nicht mehr. Es geht schlichtweg um die nötige Finanzierung, die in diesem Haushalt offensichtlich nicht einkalkuliert wurde.
Die Verbände fordern eine Erhöhung im Haushaltsplan von fünf auf 6,6 Millionen. Wie kommen Sie auf diese Summe?
Die ergibt sich aus der Höhergruppierung der Berater, die wir dringend benötigen. Dazu kommen die Sachkostenpauschalen, die angehoben werden müssen. Ansonsten werden wir Ende des Jahres Schließungen sehen. Das sind keine leeren Drohungen. Die Träger – zum Beispiel die Diakonie – sind jetzt schon davon abhängig, ob vom Land eine finanzielle Verbesserung kommt oder nicht. Das ist schon ein ziemlicher Aderlass. Am Ende bedeutet das für Frauen und Familien definitiv längere Wege zu ihren Beratungsterminen.
Gibt es konkrete Reaktionen aus der Landesregierung?
Es gibt eine Diskussion, wie der Schlüssel zu interpretieren ist. Ist 1:40.000 wirklich auf die gesamte Bevölkerung anwendbar? Ist der regional unterschiedlich zu bewerten? Es gibt auch eine Diskussion darüber, inwieweit die Beratung stärker digitalisiert werden kann. Oder ob eine Beraterin auch für mehr Beratungen verpflichtet werden kann. Das hat aber alles seine Grenzen. Wir reden hier über wirklich hochsensible Themen und sehr komplexe Familienkonstellationen. Die ganze Bildungsarbeit fällt jetzt schon zum Teil hinten runter, weil die Zeit einfach überhaupt nicht dafür da ist.
Wie geht es weiter?
Jetzt müssen wir erst einmal verhindern, dass es weitere Schließungen gibt. Für die Sozialverbände wäre es fatal, wenn sich kompetente Mitarbeiter andere Jobs suchen müssen, weil die Träger nicht mehr finanziell durchhalten.
Andreas Kaczynski ist Sprecher der Brandenburger Wohlfahrtsverbände sowie Vorstand von Der Paritätische, Landesverband Brandenburg e. V.
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