Perspektive Altersarmut
Von Gudrun Giese
Die Altersrente reicht allein oft nicht für den Lebensunterhalt. So mussten in diesem März nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) rund 742.400 Rentner zusätzlich die »Grundsicherung im Alter« beziehen. Gegenüber dem Vorjahresmonat waren das gut 23.000 mehr Menschen.
Über diese nicht ganz aktuellen Zahlen berichtete am Dienstag Bild, da sich die BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht nun dazu äußerte. Sie bezeichnete die Entwicklung, wonach die Zahl der auf Grundsicherung im Alter angewiesenen Senioren von 569.865 im März 2021 bis heute um mehr als 172.500 angestiegen sei, als Skandal. »Altersarmut ist ein Megaproblem in unserem Land«, sagte sie laut Bild. Dabei bezieht längst nicht jeder Senior mit kleiner Rente ergänzende Leistungen: Denn insgesamt galten 2024 nach Destatis-Angaben 3,4 Millionen Rentner als arm, wobei vor allem die Rentnerinnen mit sehr wenig Geld über die Runden kommen mussten. 2005 lag die Zahl der armutsbetroffenen Rentner noch bei leicht unter zwei Millionen. Hinzu kommen viele Bezieher von Bürgergeld, die mit der Sozialleistung nicht alle zum Haushalt gehörenden Mitglieder satt bekommen. Nach einer Studie, die der Verein »Sanktionsfrei« in Auftrag gegeben und Ende Juni veröffentlicht hat, verzichtete jeder dritte Bürgergeld-Bezieher auf Essen, um andere dringend nötige Dinge finanzieren zu können. 54 Prozent der Eltern verzichten danach zugunsten ihrer Kinder auf Essen, berichtete dpa.
In Zukunft dürfte zudem der Anteil der armen Alten rasant nach oben gehen, denn inzwischen erreichen die ersten geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter. Viele derer, die zwischen 1957 und 1966 geboren wurden, können nicht mit durchgehend 35 und mehr Jahren der Vollzeitbeschäftigung und entsprechend üppigen Konten bei der Rentenversicherung aufwarten. Kein Wunder, dass nahezu drei Viertel der Erwerbstätigen die Frage verneinen, ob die gesetzliche Rente im Alter für sie reichen wird. Das ergab eine Umfrage von Yougov im Auftrag der Postbank unter 2.069 Beschäftigten. Mehr als die Hälfte der Befragten, genau 54,3 Prozent, wäre bereit, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten, um den eigenen Lebensstandard zu halten. Die meisten könnten sich eine Teilzeitbeschäftigung bis zum Erreichen des 70. Lebensjahres vorstellen. Knapp zwanzig Prozent gaben jedoch an, dass sie nur unter der Voraussetzung weiterarbeiten würden, dass sie dann mehr verdienen könnten. Eine Erwerbstätigkeit über das Erreichen des Renteneintrittsalters hinaus lehnte ein Drittel in der Befragung ab. Die »schwarz-rote« Bundesregierung hat bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung angekündigt, mit steuerlichen Anreizen die Weiterarbeit der Senioren zu fördern.
Dass die Bundesregierung zudem mit Steuermitteln die gesetzliche Rente stabilisiert, wie es auch Bundessozialministerin Bärbel Bas (SPD) mit der Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2031 plant, finden 63 Prozent der Ende Mai von Yougov Befragten richtig. Zugleich zweifeln aber auch 57,3 Prozent daran, dass das Rentenniveau mit Steuergeld langfristig stabil gehalten werden kann. Statt dessen bevorzugen fast siebzig Prozent eine Förderung ihrer privaten Altersvorsorge mit Steuermitteln. Aktien oder Fonds sollten ihrer Meinung nach auch schon für Kinder und Jugendliche förderfähig sein. Tatsächlich hatte der frühere Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zur Zeit der Ampelkoalition bereits eine »Aktienrente« vorbereitet, so dass Teile der Rentenversicherungsbeiträge an die Börsen gebracht würden, wie es ähnlich etwa in den Niederlanden, Großbritannien, Schweden oder den USA schon länger üblich ist. Dabei wäre es viel besser, die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung anzuheben, so dass die gut und besser Verdienenden mehr in die Kasse zahlen würden, und außerdem auch Sozialversicherungsbeiträge auf hohe Kapitalerträge und Vermögen zu erheben. So ließe sich die gesetzliche Rente wirklich stabilisieren. Doch ein solcher Ansatz dürfte auch in der aktuell regierenden Koalition nicht konsensfähig sein.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (9. Juli 2025 um 06:36 Uhr)Diese Bundesregierung gibt den älteren Menschen ein Gefühl – ihr seid nutzlos, kostet nur Geld, welches wir lieber in die Rüstung stecken würden. Es ist so beschämend für eines der reichsten Länder der Welt. Offensichtlich gilt der Artikel 1 des Grundgesetzes nichts mehr im Handeln dieser Regierung. Menschen, die es sich nicht einmal mehr leisten können, ihr tägliches Brot zu sich zu nehmen, die sich den letzten Bissen für die Kinder vom eigenen Mund absparen. Wie lange wollen wir es uns noch gefallen lassen, dass hunderte Milliarden für Rüstung ausgegeben werden, aber ältere Menschen Flaschen sammeln gehen müssen, oder anders gesagt, in purer Existenzangst leben? Menschen, die ihr Leben lang aufs Alter hingearbeitet haben und in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Denn die Rente ist keine Wohltat des Staates, es ist der Zugriff dieser Menschen auf ein lange angespartes Guthaben. Das sollte man nie vergessen! Der Staat sieht es jedoch als »sein« Geld an, will es hochriskant zumindest zum Teil an die Börse bringen. Doch was passiert damit, wenn es solche Situationen an den Finanzmärkten gibt wie 2009/2010? Dann ist das Geld einfach mal weg. Und es ist genau so verpulvert, wie das Geld welches Herr Spahn für sinnlose und überteuerte Maskenkäufe zweckentfremdet hat, es ist genau so weg wie das Geld, welches in horrende Militärausgaben gesteckt wird, es ist genau so weg, wie das Geld, welches in Subventionen gesteckt wird wie das Dienstwagenprivileg. Und es ist genau so weg wie das Geld, was der Steuerzahler für den Schuldendienst für diese riesigen »Sondervermögen« aufbringen muss. Und wer marschiert bei diesem Raubzug am kleinen Mann und der kleinen Frau in der ersten Reihe? Die Sozialdemokratie! Bebel, Liebknecht und die anderen Gründerväter dieser Partei drehen sich im Grabe um.
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