Zuckerbrot und Peitsche
Von Nick Brauns
Eine Delegation der prokurdischen Dem-Partei ist am Montag vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan in seinem Präsidentenpalast in Ankara empfangen worden. Thema der einstündigen Unterredung, an der auch Geheimdienstchef İbrahim Kalın teilnahm, war der laufende Friedensprozess mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Das Gespräch könne »historische Bedeutung« für den politischen Dialog in der Türkei haben, hatte PKK-Gründer Abdullah Öcalan den Dem-Abgeordneten Pervin Buldan und Mithat Sancar am Vortag bei einem Besuch auf der Gefängnisinsel İmrali mit auf den Weg gegeben. »Während des Treffens wurde betont, dass der gegenseitige Wille, den Prozess voranzubringen, weiterhin besteht«, erklärte die Dem-Partei im Anschluss an das Gespräch mit Erdoğan, ohne auf Details einzugehen.
Während die PKK im Mai das Ende des bewaffneten Kampfes und ihre Auflösung angekündigt hat, sind von seiten des türkischen Staates bislang noch keinerlei praktische Schritte wie etwa eine Amnestie erfolgt. Lediglich die Einrichtung einer Parlamentskommission zur kurdischen Frage wurde angekündigt. Dagegen hat die Guerilla für die zweite Wochenhälfte eine Waffenniederlegung durch eine Gruppe ihrer Kämpfer in der nordirakischen Provinz Sulaimanija angekündigt.
Allerdings gehen in der Kurdistan-Region des Irak die Angriffe der türkischen Armee auf Guerillastellungen weiter. Bei den Militäroperationen sind nun ein Dutzend Soldaten ums Leben gekommen. Sie sollen bei der Durchsuchung einer zuvor als Krankenstation der Guerilla genutzten Höhle mit Methangas in Berührung gekommen und anschließend in einem Krankenhaus verstorben sein, behauptete das Verteidigungsministerium am Montag. Methangas ist nicht giftig, kann aber in hoher Konzentration zu Sauerstoffmangel und Erstickung führen. Da es dann extrem leicht entzündbar ist, sind Todesfälle mit Methangas etwa in Bergwerken in der Regel auf Explosionen zurückzuführen. Wahrscheinlicher erscheint es, dass die Soldaten Opfer unsachgemäßen Gebrauchs von eigenen chemischen Kampfstoffen wie etwa Chlorgas wurden, das regelmäßig in die Tunnelsysteme der Guerilla geleitet wird. Die Regierung wirkt aber bemüht, den Tod der Soldaten als Unfall erscheinen zu lassen und von einem möglichen Kampfeinsatz abzulenken. Ohne den Vorfall zu hinterfragen, kondolierte auch die Dem-Partei: »Diese Verluste machen uns alle zutiefst traurig. Die Kosten des anhaltenden Konflikts und der fehlenden Lösung werden von der gesamten Gesellschaft getragen.«
Dass es der Regierung bei dem von ihr als Weg zu einer »terrorfreien Türkei« bezeichneten und bislang vor allem in Geheimgesprächen mit Öcalan und der Dem-Partei vorangetriebenen Prozess primär um Befriedung und Herrschaftssicherung geht, zeigt sich indessen an ihrem Umgang mit der kemalistisch orientierten Oppositionspartei CHP. Nach den jüngsten Festnahmen der Oberbürgermeister von Antalya, Adana und Adıyaman unter Korruptionsvorwürfen am Sonnabend befinden sich jetzt acht CHP-Stadtoberhäuter hinter Gittern. Auf diese Repression reagierten CHP und Dem-Partei am Sonntag mit einer gemeinsamen Pressekonferenz ihrer Vorsitzenden Özgür Özel und Tülay Hatimoğulları. »Man will uns gegeneinander ausspielen. Aber wir stehen zusammen gegen antidemokratische Eingriffe«, wandte sich Özel gegen Versuche der Regierung, das Verhältnis zwischen den beiden Oppositionsparteien zu stören. Und Hatimoğulları machte deutlich: »Demokratie und Frieden sind untrennbar. Wer das eine ohne das andere will, wird beides verlieren.«
Gegen den bereits im März verhafteten und seines Amtes enthobenen Oberbürgermeister von Istanbul und Präsidentschaftskandidaten der CHP, Ekrem İmamoğlu, hat die Staatsanwaltschaft zu Wochenbeginn ein weiteres Verfahren eingeleitet. Der Politiker soll sein Diplom an der Universität Istanbul in den 1990er Jahren »durch Täuschung erworben und sich an der Straftat der Urkundenfälschung beteiligt haben«, so der Vorwurf. Die Universität hatte İmamoğlus Diplom bereits für ungültig erklärt. Ein Hochschulabschluss ist aber Voraussetzung für die Kandidatur zum Staatspräsidenten.
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