Dialog in kritischer Phase
Von Tim Krüger
Der Dialogprozess zwischen der AKP/MHP-Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) scheint bereits vor der Sommerpause des türkischen Parlaments an Fahrt aufzunehmen. Noch in dieser Woche sollen im Rahmen laufender Sondierungsgespräche zwischen dem Parlamentspräsidenten Numan Kurtulmuş (AKP) und allen Fraktionen im Abgeordnetenhaus erste entsprechende Absichtserklärungen über die Einrichtung einer parteiübergreifenden Kommission zur Überwachung des Prozesses und zur Demokratisierung der Türkei abgeben werden.
Zudem soll nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur ANF in der kommenden Woche ein erneuter Aufruf seitens des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan erfolgen, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel İmralı inhaftiert ist. Der Aufruf soll sich an die bewaffneten Kräfte der Partei im Nordirak richten und konkrete Schritte hin zu einer Waffenniederlegung einleiten. ANF wie auch türkische Medien berichten von einer bevorstehenden Zeremonie, bei der eine Gruppe von Guerillakämpfern symbolisch ihre Waffen niederlegen wird. Der Dialogprozess zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bewegung tritt somit in den kommenden Wochen in eine kritische Phase.
Begonnen hatte der Prozess nach der parlamentarischen Sommerpause im vergangenen Jahr, als der MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli unerwartet den Abgeordneten der linken, prokurdischen Dem-Partei die Hand schüttelte. Abschließend forderte der MHP-Chef Öcalan dazu auf, vor dem türkischen Parlament zu sprechen und die Auflösung der Partei zu verkünden. Die daraufhin eingeleiteten Gespräche zwischen Öcalan und der türkischen Regierung unter Vermittlung der Dem-Partei führten am 27. Februar zu einem Aufruf Öcalans an seine Partei, in dem er ihre Auflösung sowie die Niederlegung ihrer Waffen forderte. Vom 5. bis 7. Mai folgte ein Kongress der PKK, auf dem dies auch formell beschlossen wurde.
Bereits in seinem Aufruf betonte Öcalan, dass »die Niederlegung der Waffen und die Auflösung der PKK in der Praxis eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage« erfordern werden. Bisher hatte sich die türkische Regierung mit konkreten politischen Schritten abseits reiner Absichtserklärungen zurückgehalten. Dies könnte sich mit der Einrichtung der parteiübergreifenden parlamentarischen Kommission ändern.
Die Kofraktionsvorsitzende der Dem-Partei, Gülistan Kılıç Koçyiğit, forderte bereits vergangene Woche, dass diese Kommission »nicht nur auf dem Papier« existieren, sondern »mit breiter gesellschaftlicher und politischer Beteiligung« zu arbeiten beginnen solle. Koçyiğit ging insbesondere auf die Situation von politischen und schwerkranken Gefangenen ein, die zu Tausenden in türkischen Gefängnissen selbst über das Absitzen ihrer Haftzeit hinaus festgehalten werden. Ihre Freilassung und die Verbesserung ihrer Haftbedingungen sind eine zentrale Forderung der PKK im Dialogprozess.
Zwar scheint die Waffenniederlegung der sogenannten Volksverteidigungskräfte (HPG) in den kommenden Wochen nur von symbolischer Bedeutung zu sein. Dennoch ist sie ein erneuter Versuch der kurdischen Bewegung, den Prozess weiter voranzubringen. Nach Informationen der türkischen Ausgabe der Internetzeitung Independent werde die Gruppe nach der Zeremonie ohne Waffen wieder in die Berge des Nordirak zurückkehren. Aus Sicht der HPG ein notwendiger Schritt. Noch vor wenigen Tagen hatten sie von Angriffen der türkischen Armee unter anderem mit chemischen Waffen berichtet.
Die Gespräche rund um den Prozess waren in den vergangenen Wochen teils ins Stocken geraten. Ob dies, wie in vielen türkischen Medien zu lesen war, an der Verschärfung des Konfliktes zwischen Iran und Israel lag, bleibt unklar. Deutlich wurde jedoch, dass dieser die türkische Regierung nicht ganz unbeeindruckt gelassen hat. So erklärte Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Istanbul und Teheran würden das gleiche Schicksal teilen, und betonte erneut die Notwendigkeit, die innere Einheit zu stärken. Ein Narrativ, das seit Anfang des Dialogprozesses immer wieder von seiten der türkischen Regierung vorgebracht wird.
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