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Aus: Ausgabe vom 08.07.2025, Seite 6 / Ausland
Ukraine-Krieg

Moskau dominiert Luftkrieg

Ukraine: Russische Angriffswelle auf Charkiw. Selenskij verspricht »Hunderttausende« US-Drohnen
Von Reinhard Lauterbach
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Russland und die Ukraine setzen ihre gegenseitigen Drohnenangriffe auf Ziele an der Front und im Hinterland fort. In der Nacht zum Montag trafen etwa russische Drohnen mehrere Wohnhochhäuser im ostukrainischen Charkiw. Dadurch wurden nach Angaben des örtlichen Bürgermeisters 43 Menschen verletzt, darunter mehrere Kinder. Weitere Angriffe gab es auf Odessa, Mikolajiw, Cherson und Saporischschja. Hier wurde unter anderem ein Gebäude der Universität getroffen. Die ukrainische Seite sprach von insgesamt 101 russischen Drohnen, von denen drei Viertel abgeschossen oder abgelenkt worden sein sollen. Bilder von den Einschlägen in Charkiw am Montag morgen lassen daran zweifeln. Man sieht auf den Videos, wie russische Drohnen im Abstand weniger Sekunden auf ein und dasselbe Objekt niedergehen.

Nach Berichten der Leute, die diese Videos hochgeladen haben, war das Ziel des Angriffs die lokale Wehrersatzbehörde. Solche Angriffe mit dem erkennbaren Ziel, die ukrainische Mobilisierung zu stören, sind zuletzt verstärkt gemeldet worden. Es scheint, dass sich die russischen Drohnenpiloten dabei auch auf Hinweise aus der ukrainischen Bevölkerung stützen können. Die Wehrersatzbehörden sind bei vielen Menschen aus naheliegenden Gründen verhasst. Auf russischen Webseiten heißt es, Ukrainer fänden Wege, die Geokoordinaten der Ämter an die russische Seite weiterzugeben, teilweise mit Zusätzen wie: »Da habt ihr was in Krementschuk!«

Beide Seiten sind dabei, die Drohnenkriegführung stark auszuweiten. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij verkündete in seiner abendlichen Videobotschaft am Sonntag, er habe mit einem Unternehmen aus den USA die Lieferung von »Hunderttausenden« Kampf- und vor allem Abfangdrohnen vereinbart. Sie solle schon bald beginnen. Einstweilen hat aber offenbar Russland an dieser Front die Initiative. Das aus Großbritannien finanzierte Portal Kyiv Independent meldete am Wochenende, dass die Zahl der auf die Ukraine abgefeuerten russischen Drohnen im Juni mit 5.337 einen Rekordstand erreicht habe: um 30 Prozent mehr als noch im Mai. Im Jahresvergleich gegenüber dem Juni 2024 sei dies eine Steigerung auf das 14fache gewesen. Die in der Ukraine bekanntgegebenen Zahlen von 1.275 russischen Drohnen allein am Wochenende schlossen dabei offenkundig auch die Angriffe an der Front mit ein.

Die ukrainischen Versuche, die angreifenden russischen Drohnen abzufangen, werden dabei immer verzweifelter. In der vergangenen Woche war einer der US-amerikanischen F-16-Jagdbomber beim Versuch, die »siebte Drohne des Einsatzes« abzuschießen, abgestürzt. Der Pilot im Rang eines Oberstleutnants kam ums Leben und wurde posthum zum »Helden der Ukraine« ernannt. Unklar blieb, ob die Maschine durch Splitter der getroffenen Drohne oder von der eigenen Flugabwehr getroffen wurde. Am Wochenende kam in der Ukraine der Vorschlag auf, vorhandene zivile Leichtflugzeuge etwa aus der Landwirtschaft zur Drohnenabwehr umzurüsten. Experten für Luftabwehr warnten vor diesem Schritt: Solche kleinen Flugzeuge seien auf dem Radar nicht von angreifenden Drohnen zu unterscheiden und liefen besonders im Dunkeln große Gefahr, von der eigenen Flugabwehr getroffen zu werden.

Auch die Ukraine verstärkt ihre Drohnenangriffe auf Ziele in Russland. Allein in der Nacht zum Montag wurden nach Angaben des Moskauer Bürgermeisters Anatoli Sobjanin 93 gegnerische Drohnen im Anflug auf Moskau und andere Ziele abgeschossen. Wenn man ebenso wie im ukrainischen Fall eine Verlustquote von etwa 75 Prozent unterstellt, läuft das auf eine geschätzte Gesamtzahl von 120 auf Russland abgefeuerten Drohnen hinaus. Eine davon, die durchkam, traf offenbar im Hafen von Ust-Luga nahe St. Petersburg einen Ammoniaktanker und setzte ihn in Brand. Die Drohnensituation führt regelmäßig zu großen Behinderungen im innerrussischen Flugverkehr. Im Moskauer Flughafen Scheremetjewo vertrieben sich die Wartenden offenbar am Wochenende die Zeit damit, gemeinsam patriotische Lieder wie »Katjuscha« zu singen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (8. Juli 2025 um 15:25 Uhr)
    In Prenzlauer Berg im Bezirk Pankow steht der Wasserturm als für Flachländische eindrucksvolle Erhebung. Im Inneren suchten die Tausenden Schutz vor den unsinnigen Bombenmassakern von 1941 bis 1945 gegen die stinknormalen Menschen in Berlin. Was stand auf dem Hügel? Ein Bataillon mit Fliegerabwehrkanonen, sogenannte Flaks, mit FuMGs (Funkmessgeräten) und Nachtsichtstrahlern. Mitten im Wohngebiet. – Ich bin am Kollwitzplatz aufgewachsen. Sie haben die Kanonen zwischen den Wohnhäusern versteckt? Wer aber würde mitten im Plattenbauland in Kiew neue Drohnenfabriken bauen, wenn jeder Abschuss wie 1944 bis 1945 in Pankow wo genau Schaden anrichtet? Mit PATRIOT kann weit außerhalb Kiews jeder Angriff abgewehrt werden. Aber: Lasst uns eine Drohnenfabrik auf einen Staudamm bauen! - Wichtig: Der gewählte Präsident der Russländischen Föderation heißt im Tagesschaujargon jetzt russischer Machthaber. Bibi Netanjahu darf vor der sogenannten UN-Generalversammlung trotz internationalem Haftbefehl auftreten! – Aufrechte Demokratische stellen klar: Diese Gestalt steht für den Genozid in Gaza. Wir wenden uns von dieser erzreaktionären und völkermordenden Herrschaftsclique in Israel grundsätzlich ab!

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