»Asien steht an der Elbe«
Von Erhard Korn
Der Ausbruch des Koreakriegs vor 75 Jahren erwies sich als »Chance« und »unverhoffter Glücksfall« für Konrad Adenauer und den von ihm angestrebten Aufstieg der gerade gegründeten Bundesrepublik.¹ »Die Erlangung der Souveränität als Folge der Wiederaufrüstung« benannte er als sein oberstes Ziel, und die Notwendigkeit der Wiederbewaffnung begründete er mit einem ständig wiederholten Bedrohungsszenario, für das ihm der Koreakrieg als Blaupause diente. Schon am Tag nach Kriegsausbruch erging von Generals George P. Hays, dem stellvertretenden amerikanischen Hochkommissar für Deutschland, die »massive« Aufforderung, »angesichts der Ereignisse in Korea sofort mit den Planungen und vorbereitenden Maßnahmen zur Aufstellung einer deutschen Verteidigungstruppe zu beginnen«.² Der Koreakrieg wurde zum Katalysator der Remilitarisierung, die zwar schon vorbereitet war, aber ohne ihn nur schwer hätte durchgesetzt werden können.
Die Vorgeschichte des Koreakrieges war kein Thema für Adenauer. Dabei erweckten selbst beim US-Außenminister Dean Acheson die ständigen provokativen Angriffe aus dem Süden wie der Überfall auf nordkoreanisches Gebiet am 4. Mai 1949, bei dem 500 Menschen starben, den Eindruck, der rechtsextreme Präsident Rhee Syngman habe den Krieg und das Eingreifen der Schutzmacht USA provoziert.³ Am 25. Juni 1950 überschritt die »Volksbefreiungsarmee« die Demarkationslinie.
Mit der Situation in Deutschland, das versucht hatte, Europa zu unterwerfen, hatte jene des jahrzehntelang versklavten Korea nur oberflächliche Ähnlichkeit, nämlich die 1945 erfolgte Teilung. Die alliierten Besatzungsmächte hatten jedoch bis 1950 ihre Truppen von der Halbinsel in Ostasien abgezogen, so dass der am 25. Juni 1950 eskalierende Bürgerkrieg eine innerkoreanische Auseinandersetzung zu sein schien. Im Süden war zudem eine Guerillabewegung aktiv, zu deren Gunsten die nordkoreanische Volksbefreiungsarmee intervenierte.
Der Kern dieser Volksbefreiungsarmee entstand aus Koreanern, die im Rahmen der chinesischen »Roten Armee« am Befreiungskampf gegen Japan teilgenommen hatten. Nach deren Vorbild führten die Volkskomitees im sowjetischen Einflussbereich oberhalb des 38. Breitengrads eine Landreform durch und entmachteten die japanischen Kollaborateure, was den linken Kräften Popularität verschaffte. Die Besitzenden und Hunderttausende Kollaborateure aus Verwaltung und Armee wanderten nach Süden ab.
Umgekehrt stützte sich das von den USA etablierte Regime Rhees im Süden auf durch die japanische Besatzungsmacht geschulte Kräfte und übernahm deren brutale Methoden, so dass sich ein extrem repressives und korruptes System entwickelte, wie es die Literaturnobelpreisträgerin Han Kang beschrieb.⁴ In den Augen vieler Koreaner war von Rhee Syngman nur eine Fremdherrschaft durch eine andere ersetzt worden, zumal der US-Militärgouverneur John R. Hodge 1945 die entstandenen Selbstverwaltungsorgane auflöste und im Süden auch eine dringend notwendige Bodenreform blockierte.
Schon im Mai 1946 begann im Süden die Verfolgung der vielgestaltigen Opposition mit dem Verbot ihrer Zeitungen und der Verhaftung von Führern der Gewerkschaften und Bauernvereinigungen. Im Oktober 1948 löste eine Meuterei in Suncheon einen Aufstand aus, dem sich ein großer Teil der regionalen Bevölkerung anschloss. Die Armee »säuberte« mühevoll die Städte, aber die Rebellen führten in den Bergen der südlichen Region einen Guerillakrieg. Die »Südkoreanische Partei der Arbeit« setzte nun auf eine nur partiell erfolgreiche Politik des bewaffneten Widerstands in befreiten Gebieten – ein Vorspiel zum Koreakrieg 1950 bis 1953, der als Klassenkampf um die Landreform begann, sich zum Bürgerkrieg ausweitete und schließlich zum internationalen Konflikt eskalierte.
Vor dieser Eskalation hatte Stalin zunächst gewarnt. Man solle »nur zurückschlagen, aber nicht angreifen, um nicht in der Weltöffentlichkeit in die hassenswerte Position des Aggressors zu geraten«.⁵ Kim Il Sung allerdings konnte die sowjetische und die chinesische Führung im April 1950 überzeugen, dass der Volksaufstand im Süden erfolgreich sei und es nur eines »Rippenstoßes« bedürfe, damit das Regime zusammenbreche, wie sich Nikita Chruschtschow erinnerte.⁶ Dies schien sich zunächst auch zu bewahrheiten, denn innerhalb weniger Tage wurde Seoul erobert und die südkoreanische Armee befand sich in Auflösung.
Mit einer US-amerikanischen Intervention sei nicht zu rechnen, glaubten auch Stalin und Mao Zedong. Dies war allerdings ein fataler Irrtum, denn nach dem Freundschaftsvertrag Chinas mit der Sowjetunion hatten die USA 1950 nicht nur Taiwan, sondern auch Vietnam und Korea in ihre »Sicherheitszone« einbezogen. Auf die Offensive aus dem Norden antworteten die USA umgehend mit einem Bombenkrieg und dem Einsatz von Napalm. »Innerhalb von etwa drei Jahren (haben wir) jede Stadt in Nordkorea und auch in Südkorea niedergebrannt«, so der verantwortliche General Curtis LeMay. Die USA wollten Korea »bestrafen«, um die UdSSR abzuschrecken⁷, und verschärften ihre Eindämmungspolitik hin zum »Roll back«, überschritten in der Gegenoffensive den 38. Breitengrad und näherten sich der chinesischen Grenze. Durch das so provozierte Eingreifen Chinas, den Aufmarsch der 7. US-Flotte in der Taiwanstraße und die Drohung des US-Präsidenten Harry S. Truman und des Oberbefehlshabers Douglas MacArthur, China mit Atomwaffen anzugreifen und zu erobern, erhöhte sich die Gefahr eines Dritten Weltkriegs.
»Neue Wehrmacht«
In ihrem ersten internationalen Abkommen hatte die Bundesregierung 1949 erklärt, »mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern«.⁸ Dem völlig überraschten Bundeskabinett verkündete der häufig autoritär agierende Adenauer im August 1950, dass er gegenüber dem amerikanischen Hochkommissar John Jay McCloy und den Westmächten die Bereitschaft erklärt habe, sich mit 150.000 Soldaten an einer westeuropäischen Streitmacht zu beteiligen. Begründet wurde dies in einem Memorandum mit der »Entwicklung im Fernen Osten«, die »innerhalb der deutschen Bevölkerung Beunruhigung und Unsicherheit ausgelöst« habe. Niemand im Kabinett kannte den genauen Inhalt des Memorandums, doch nur Innenminister Gustav Heinemann trat deshalb zurück und engagierte sich in der entstehenden Friedensbewegung.
Nach den »Vereinigten Stabschefs« wurden Adenauers Vorschläge auch durch die Außenministerkonferenz am 12. September 1950 positiv aufgenommen. Schon fünf Jahre später, am 12. November 1955, konnte der gerade zum Verteidigungsminister ernannte Theodor Blank die Gründung der »neuen Wehrmacht« feiern. Hinter der Rednertribüne prangte ein riesiges Eisernes Kreuz, und auch die meisten Teilnehmer trugen diesen Orden der alten Wehrmacht.
»Unter größter Diskretion« war schon seit 1947 in Gesprächsrunden unter Duldung und bald Förderung durch die britische und amerikanische Militärverwaltung auf die Restauration der Wehrmacht hingearbeitet worden. Die USA nutzten in ihrer »Historical Division« und in der BND-Vorgängerorganisation »Organisation Gehlen« systematisch die Kompetenzen Tausender am Ostfeldzug beteiligter Generäle für ihre eigenen Planungen und überprüften so gleichzeitig, ob und wie diese Offiziere für den Aufbau eines westdeutschen »Wehrbeitrags« verwendet werden könnten.
Auch Adenauer band die Generäle früh in seine Planungen ein und holte im Mai 1950 Gerhard Graf Schwerin ins Kanzleramt, wo er unter der Tarnbezeichnung »Zentrale für Heimatdienst« die operativen Vorarbeiten für die Remilitarisierung koordinierte, in enger und täglicher Abstimmung mit US-General Hays, dem Stellvertreter des Hohen Kommissars. Ein Ergebnis war die streng geheime »Himmeroder Denkschrift« als »Magna Carta« der künftigen »neuen Wehrmacht«: Die »Militärelite des Ostfeldzugs« entwickelte darin ganz in der Tradition des Russlandfeldzugs das Konzept eines »mobilen Expeditionsheeres« von zunächst 250.000 Mann mit der Fähigkeit offensiver »Verteidigung« auf dem Gebiet des Gegners, ergänzt durch den Einsatz von Atombomben im gegnerischen Hinterland.⁹
An die Verbrechen des Vernichtungskriegs im Osten allerdings wollten die darin verstrickten Generäle nicht erinnert werden. Sie verlangten erfolgreich die Beendigung der »Diffamierung des deutschen Soldaten« einschließlich der Waffen-SS, die Freilassung der Kriegsverbrecher und eine Ehrenerklärung für die Wehrmacht – sowohl vom Kanzler als auch von den USA.
In der »Himmeroder Denkschrift« wurden auch der fehlende »Wehrwillen« sowie die fehlende Bereitschaft, »Opfer zu bringen« beklagt, und »Maßnahmen zur Umstellung der öffentlichen Meinung« verlangt. Als Sofortmaßnahme sollte mit der »geistigen Vorbereitung« unter Einbeziehung von Presse, Rundfunk und Film begonnen werden. Die Erziehung des Volkes, besonders der Jugend, solle Verständnis für die Pflichten der »Notwehr« wecken.¹⁰ Davon mussten die Generäle Adenauer nicht überzeugen. »Asien steht an der Elbe«, hatte er schon im Oktober 1945 gewarnt und als Grundmuster seiner Politik die Verteidigung des »Abendlands« gegen den »Bolschewismus« hervorgehoben.
Verteidigung des Abendlands
Die hinter den Kulissen geplante »neue Wehrmacht« setzte eine Überwindung der »Ohne-mich-Stimmung« voraus. Die Blockade Berlins 1948 bis 1949, gedacht als Mittel, um Verhandlungen über die in der Londoner Konferenz beschlossene westdeutsche Staatsgründung doch noch zu erzwingen, wurde von Adenauer dargestellt »als Griff nach Berlin, das dem sowjetischen Machtbereich einverleibt werden sollte«.¹¹
Tief verankerte Angstgefühle vor dem »Erbfeind im Osten« konnten genutzt werden, so dass amerikanische Forderungen nach Nutzung des militärischen Potentials der Westzonen zur »Verteidigung der Freiheit« auch öffentlich diskutiert werden konnten und Zustimmung in den Leitmedien fanden. In keiner Rede jedoch thematisierte Adenauer den Vernichtungsfeldzug der Wehrmacht, der doch gerade eine solche »Versklavung« Osteuropas zum Ziel hatte, und knüpfte bedenkenlos an die Sprechweise des Naziregimes an, die den Feldzug legitimieren sollte.
Dabei wusste man, dass es keine militärische Bedrohung der Bundesrepublik durch die Sowjetunion gab und es der UdSSR nur um die Behauptung ihres »Satellitenbereichs« ging, wie Reinhard Gehlen, Meister der Subversion und damals Berater Adenauers und Chef der »Organisation Gehlen«, 1971 in seinen Erinnerungen bekannte.¹² Seit der Öffnung der Archive etwa des Politbüros der SED steht fest, dass Stalin einen Sicherheitsgürtel und nicht eine militärische Offensive anstrebte. Erst nach der Entscheidung für die Wiederbewaffnung der BRD innerhalb der NATO wies er 1952 die SED-Führung an, die kasernierte Volkspolizei in eine Armee umzugestalten.¹³
Doch in der Öffentlichkeitsarbeit der Union diente das Vordringen nordkoreanischer Truppen über den 38. Breitengrad als »Lehrfilm« für das Vordringen von Einheiten der DDR-Volkspolizei über die »Zonengrenze«. Was heute in Korea geschehen sei, könne sich morgen in Europa wiederholen, schrieb die Stuttgarter Zeitung am 27. Juni 1950, die FAZ sah Korea als »Modellfall für Deutschland«, die Frankfurter Rundschau als »Lehrbeispiel«.¹⁴
Beim Bundesparteitag der CDU im Oktober 1950 malte Adenauer das Schreckbild eines russischen Angriffs, nach dem die Deutschen zu »Sklavenarbeit« verdammt würden, einem »Sowjet-Russland mit seinen Trabanten, seinen fünften Kolonnen und den ihm blind gehorchenden kommunistischen Parteien, hochgerüstet, überall in der Welt das Feuer schürend, Religion und Christentum, europäische Sitten und Kultur, Freiheit und Würde vernichtend«. Auf der anderen Seite stünden die Westalliierten, »entschlossen, alles für den Frieden zu tun«, aber »bereit, ihre Rüstung aufs äußerste zu verstärken, um auf diese Weise den von Sowjet-Russland drohenden Angriff zu verhindern«.¹⁵
Vorbild Korea?
Um dieses Schreckensszenario zu verstärken, überzeichnete Adenauer das militärische Potential der Sowjetunion in teilweise grotesker Weise und rechnete das westliche Potential herunter. So sprach er im Memorandum von 3.000 bis 6.000 Düsenjägern der UdSSR, später wurde die Zahl vom Bundeskanzleramt auf 300 bis 600 reduziert. Eine ähnliche Irreführung betrieb er auch bei Umfang und Bewaffnung der »Bereitschaften« in der DDR, die 1952 zur Kasernierten Volkspolizei entwickelt wurden.¹⁶ Es gebe schon »Volkspolizeipanzerdivisionen« in den tatsächlich nur schwachen und schlecht ausgerüsteten Einheiten. Die Stärke der Kasernierten Volkspolizei von ca. 40.000 »steigerte« er auf 150.000 bis 300.000 Mann, deren Aufgabe es sei, nach dem Vorbild Koreas die Westalliierten aus der Bundesrepublik zu vertreiben, die »Regierung der Bundesrepublik zu beseitigen und Westdeutschland mit der Ostzone zu einem satellitenartigen Staatengebilde zu vereinigen«.¹⁷ »Offengesagt: Ich kann nicht sehen, wie die Volkspolizei einen SED-Kreuzzug gegen Westdeutschland führen wollte«, kritisierte unter der Hand sogar Bundespräsident Theodor Heuss. Dagegen verschwieg Adenauer das Potential der seit 1950 kasernierten und bewaffneten »Hilfswilligen« der drei Westmächte im Umfang von etwa 90.000 Mann.¹⁸
»Ausgelöst oder begleitet würden derartige Befreiungsaktionen« mit Aufmärschen der »straff organisierten FDJ und einer aktiven fünften Kolonne«, die Sabotageakte begehen solle und »die Regierungsgewalt den aus der Ostzone kommenden Funktionären in die Hände spielen solle«. Dem friedlichen Pfingsttreffen der FDJ 1950 in Berlin unterstellte die Regierung, Teil eines solchen Umsturzversuchs zu sein – sogar US-Panzer fuhren auf. 1951 wurde die FDJ von der Bundesregierung verboten, da die von ihr organisierte Volksbefragung gegen die Remilitarisierung dazu bestimmt sei, »die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu untergraben«.
Zur Untermauerung eines drohenden Bürgerkriegsszenarios zitierte die Regierung Aussagen etwa der »Nationalen Front«. Diese waren 1950 geprägt von einer extensiven Befreiungsrhetorik für das »kolonisierte« Westdeutschland und zogen selbst Parallelen zwischen dem Widerstand »von Patrioten« wie der KPD gegen die Teilung in Deutschland und in Korea: »Korea lehrt, dass eine solche Marionettenregierung, wie in Südkorea oder in Bonn, früher oder später vom Willen des Volkes hinweggefegt wird.«¹⁹ In Wirklichkeit kam die »Nationale Front« in der Bundesrepublik über Deklamationen kaum hinaus. Trotzdem wurde sie, ebenso wie die FDJ, von einer politischen Justiz als »hochverräterisches Unternehmen« kriminalisiert und, wie schließlich auch die KPD, verboten.
Der »Organisation Gehlen« (ab 1956 BND) kann nicht verborgen geblieben sein, dass die DDR in die Rüstungsplanungen des »Ostblocks« nicht einbezogen war, da Stalin noch bis 1952 auf eine Einigung mit den Westmächten hoffte und keineswegs ein Vordringen nach Westdeutschland plante. Im Gegenteil: »Stalins Deutschlandpolitik war gesamtdeutsch angelegt. Dabei war die kommunistische Machtergreifung in Deutschland kein operatives Ziel.« So brachte es Wilfried Loth nach der Auswertung der Archive von SED und sowjetischem Außenministerium auf den Punkt. Erst 1952 gab Stalin die Perspektive eines geeinigten, neutralen, demokratischen, aber nicht sozialistischen Deutschlands auf, für das er sogar bereit gewesen war, die DDR zu »opfern«. Erst Mitte 1951 empfahl der sowjetische Generalstab, die DDR in das integrierte Rüstungsprogramm und auch die Kasernierte Volkspolizei in die Planungen für eine Abwehr eines Krieges einzubeziehen, »entfesselt von aggressiven imperialistischen Kräften des Westens«.²⁰
Westalliierte rüsten auf
Mit der »neuen Wehrmacht«, wie die Bundeswehr zunächst genannt wurde, waren nicht alle Alliierten zufrieden. Insbesondere in der Bevölkerung Frankreichs war die Skepsis groß. Gleichzeitig allerdings suchte die Regierung in Paris amerikanische Unterstützung beim Versuch, ihre Kolonialherrschaft über Vietnam wieder herzustellen. Dagegen wehrte sich die »Liga für die Unabhängigkeit Vietnams« Viet Minh unter Ho Chi Minh, die einen Befreiungskampf gegen die japanische Besatzung und die Truppen des mit Japan verbündeten Vichy-Frankreich geführt und am 2. September 1945 die Unabhängigkeit Vietnams proklamiert hatte. In einem erbittert geführten Guerillakrieg brachten die Viet Minh der Kolonialmacht im Herbst 1950 spektakuläre Niederlagen bei, die die »besten französischen Truppen in Vietnam« banden.
Vietnam sei, so der französische Präsident, ein Eckpfeiler der westlichen Verteidigung in Asien und dem Nahen Osten, dessen Fall ganz Asien und Nordafrika dem Kommunismus überlassen würde. Ähnlich schrieb der US-Außenminister John Foster Dulles 1954 an den britischen Premier Winston Churchill: »Wenn Indochina den Kommunisten in die Hände fällt, können die Folgen für unsere globale Position katastrophal sein.« Gemeint ist auch die koloniale Position Großbritanniens, das selbst in schweren Auseinandersetzungen steckte, etwa in Kenia, wo 1950 der »Mau-Mau-Aufstand« begann, und auf der Malaiischen Halbinsel, wo sich die »Malayan Peoples’ Anti-Japanese Army« seit 1948 gegen die Re-Kolonisierung wehrte und die Briten einen ihrer »wichtigsten Rohstofflieferanten« bedroht sahen. Die von den USA verlangte massive britische Aufrüstung auf Kosten der Sozialprogramme veranlasste die Labour-Regierung, auch von Westdeutschland zu verlangen, die »Bürden der Rüstung« mitzutragen, da Deutschland sonst »unsere Märkte« erobern würde.²¹
Nach dem Ausbruch des Koreakriegs akzeptierten die Regierungen in Paris und London bei der Außenministerkonferenz im September 1950 die von den USA vorangetriebene Nutzung des militärischen Potentials Westdeutschlands. Erste Schritte dazu ging Großbritannien selbst, als es im Juni 1950 die »40.000 Mann starken deutschen Arbeitseinheiten bei den britischen Besatzungstruppen kasernierte« und bewaffnete.²²
Der französische Ministerpräsident René Pleven präsentierte im August 1950 mit dem ausdrücklichen Verweis auf Korea das Konzept einer Einbindung deutscher Kontingente in eine europäische Armee, dem der Bundestag im November 1950 im Grundsatz zustimmte. Diese Pläne zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurden allerdings 1954 von der französischen Nationalversammlung abgelehnt, und die USA nutzten dies zur beschleunigten Einbindung der Bundesrepublik in die NATO, deren Oberbefehl die »neue Wehrmacht« unterstellt wurde. Mit der Gründung der Bundeswehr 1955 sah sich dann Adenauer am Ziel einer wenigstens eingeschränkten Souveränität der BRD innerhalb des westlichen Bündnisses.
Remilitarisierung
Dieser Rückblick zeigt deutlich, dass der öffentliche Diskurs nicht geprägt war von einer nüchternen Analyse der sowjetischen Ziele, die nach den verheerenden Folgen des Vernichtungskriegs vom Bedürfnis nach Sicherheit geprägt waren. Genauso wenig berücksichtigt wurden die Eigeninteressen kolonisierter Länder. Statt dessen wurden die Befreiungsbewegungen als Handlanger eines angeblich aggressiven Sowjetimperialismus diffamiert. Ängste bis hin zur Hysterie wurden geschürt, die einen kritischen Blick auf die Interessen der eigenen Staatsführung erschwerten. Diese nutzte die Panikmache zur Durchsetzung eigener machtpolitischer Ziele.
Innenpolitisch wirkte die Strategie der »Containment policy« als Katalysator einer Rechtsentwicklung, die sich in der Wahl der »Falken« Churchill 1951 und Eisenhower 1952 manifestierte. In der Bundesrepublik stärkte die Remilitarisierung jene militärischen, wirtschaftlichen und politischen Eliten, die eng mit dem Naziregime verbunden waren und alle Machtmittel, auch bewusste Irreführung, nutzten. Geschwächt und eingeschüchtert, ja kriminalisiert wurden nicht nur jene Kräfte, die nach 1945 auf eine soziale und demokratische Neuordnung hofften, sondern die ganze Friedensbewegung, die zunehmend mit dem aggressiv bekämpften Kommunismus identifiziert wurde: Kommunisten erkenne man daran, dass jedes zweite Wort bei ihnen »Frieden« heißt.
Anmerkungen
1 Arnulf Baring: Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. München 1971, S. 148
2 Gunther Mai: Westliche Sicherheitspolitik im Kalten Krieg. Der Korea-Krieg und die deutsche Wiederbewaffnung 1950. Boppard 1977, S. 113
3 Bernd Stöver: Geschichte des Koreakriegs. München 2013, S. 52
4 Erhard Korn: »Hilfe aus der Vergangenheit. Hang Kang erzählt von der Diktatur und der Geschichte des Widerstands in Südkorea«, junge Welt, 5.2.2025
5 Shen Zhihua: Mao, Stalin und der Koreakrieg. Frankfurt am Main 2017, S. 18
6 Stöver, a. a. O., S. 55
7 Roland G. Foerster u. a.: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956. München 1982, S. 288
8 Detlef Bald: Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955–2005. München 2005, S.18
9 Ebd., S. 29
10 Himmeroder Denkschrift des militärischen Expertenausschusses, S. 4 und 48, https://www.bundeswehr.de/resource/blob/5216326/77501d50befc687d9502723b2060a2b0/himmeroder-denkschrift-data.pdf
11 Wolfgang Benz: Die Gründung der Bundesrepublik. München 1984, S. 78
12 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. München 1991, S. 30 und 58
13 Wilfried Loth: Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Göttingen 2007, S. 225 f.
14 Mai, a. a. O., S. 104
15 Klaus von Schubert: Wiederbewaffnung und Westintegration. Stuttgart 1970, S. 44
16 Ulrich Albrecht: Die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik. Köln 1980, S. 30
17 Benz, a. a. O., S. 178
18 Albrecht, a. a. O., S. 31
19 Mai, a. a. O., S. 94
20 Loth, a. a. O., S. 7, 224
21 Mai, a. a. O., S. 48
22 Ebd., S. 53
Erhard Korn schrieb an dieser Stelle zuletzt am 5. Februar 2025 über die südkoreanische Literaturnobelpreisträgerin Han Kang: »Hilfe aus der Vergangenheit«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (4. Juli 2025 um 13:40 Uhr)Eine Frage, Herr Korn: Wer ist mit amerikanischer Militärverwaltung (im Westteil Deutschlands) gemeint? Die der sogenannten Vereinigten Staaten von (Gesamt-)Amerika? Wir sollten hier nicht die Brzezinski-Propaganda von der einzigen Weltmacht unterstützen. Beschönigend/verharmlosend stellen Sie die Entwicklungs-/Entstehungsgeschichte der Bundeswehr dar. Sie lassen kursweisende Machtpräsentationen außen vor. Unvergessen – der versoffne Winston Churchill: »Wir haben das falsche Schwein geschlachtet.« (1947) – Was in Ihrem Beitrag nicht dargestellt wurde, sind die Unterschiede in den Entwicklungsniveaus zwischen dem südlichen und dem nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel: Der Süden war das Armenhaus, und die Boden- und weiteren Eigentumsreformen im Norden galten der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit der gesamten Halbinsel für zukunftsweisend und erstrebenswert. Die Folgen/Auswüchse der Bekämpfung solcher scheinbar antidemokratischen = kommunistischen Haltungen werden sogar in der kleinbürgerlichen Wikipedia dokumentiert: Stichwort »Massaker in Südkorea«. Was Ihnen, Herr Korn, alles bekannt ist. Und Sie sind im Recht, wenn Sie nicht nochmals wiederholen, dass der Norden Koreas von den Machthabenden der USA mit Vorsatz in die Steinzeit gebombt wurde (Denn was war den Ausgebluteten im größten Lande des Planeten, UdSSR, noch an Gegenwehr zuzutrauen?) und dabei 20 Prozent der Einwohner getötet wurden. Wie Sie sehr gut darstellen, existierte die bis heute beschworene westliche Werteallianz bereits vor dem 8. Mai 1945. Ein erstaunliches Buch zu den sogenannten Mau-Mau-Aufständen: »General Afrika« – über das Leben von Dedan Gethuri.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Max K. aus Steinheim an der Murr (7. Juli 2025 um 12:54 Uhr)Vielen Dank für die Rückmeldung, die anregt, bei der Begrifflichkeit aufzupassen - und natürlich Ihre intensive Lektüre. Die lange Vorgeschichte der Remilitarisierung konnte ich nur andeuten, da der Schwerpunkt bei der »Benutzung« des Koreakriegs durch die Adenauer-Regierung lag. Die positive Wirkung der Bodenreform in Nordkorea habe ich, scheint mir, kurz angesprochen. Auf die Bekämpfung der Linken in Südkorea vor und nach dem Krieg bin ich in einem vorhergehenden Beitrag ausführlich eingegangen: Hilfe aus der Vergangenheit Die Literaturnobelpreisträgerin Han Kang erzählt von der Diktatur und der Geschichte des Widerstands in Südkorea. www.jungewelt.de/artikel/493353.geschichte-südkoreas-hilfe-aus-der-vergangenheit.html
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