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Aus: Ausgabe vom 18.06.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Antiamerikanismus

Von Ronald Weber
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Man kann ja trotzdem Cola trinken. Kundgebung gegen die Einmischungspolitik der USA und ihrer Unternehmen in Lateinamerika (Frankfurt am Main, 13.3.1982)

Ein Land ohne allgemeine Krankenversicherung; in dem bestimmte Erkrankungen Verschuldung bis ans Lebensende oder direkt den Tod bedeuten; in dem eine unregulierte Pharmaindustrie mittels Opiaten Hunderttausende in Abhängigkeit und Tod treibt; das Teile seiner proletarischen, insbesondere schwarzen, Bevölkerung wegsperrt und einem System der Zwangsarbeit unterwirft; in dem die Gewalt durch Schusswaffen zum Alltag gehört und jährlich Tausende sterben; das seit jeher an der barbarischen Todesstrafe festhält; in dem die Polizei für große Teile der Bevölkerung, insbesondere Schwarze und Latinos, lebensbedrohlich ist; das die gnadenlose, rücksichtsloseste Konkurrenz zum Maßstab seines Wirtschaftslebens erklärt; in dem Millionen Arme in Trailerparks und provisorischen Siedlungen leben müssen; das kein Tarifrecht kennt und keine gesetzlich garantierten Urlaubstage; in dem das Recht auf Abtreibung stark eingeschränkt ist und trans Personen offen diskriminiert werden usw. usw.

Ein Land, das auf eine horrende Geschichte rassistischer Gewalt zurückblickt, das auf Sklaverei und Völkermord an den Indigenen aufgebaut wurde und nicht erst in diesen Tagen, sondern stets und stetig, seine Nationalgarde gegen Streiks und Proteste der eigenen Bevölkerung einsetzt. Ein Land, das sich seit seinem Aufstieg im 19. Jahrhundert im Namen von »Freedom and Democracy« zu einem Hort des Antikommunismus und der Konterrevolution entwickelt hat; das mittels der Dominanz des US-Dollars und seiner weltumspannenden militärischen Präsenz zur führenden imperialistischen Nation, ja zum Welthegemon aufgestiegen ist (nach Totrüstung der Sowjetunion); dessen Interventionen, Putsche, Kriege und sonstigen aggressiven außenpolitische Handlungen, seien sie verdeckt (Stichwort: CIA) oder offen, hier auch nur ansatzweise aufzuzählen jeden Rahmen sprengen würde; dessen menschenverachtende Wirtschaftssanktionen Hunderttausende auf dem Gewissen haben usw. usw.

Dass es mit den Vereinigten Staaten von Amerika, dem selbst erklärten »Land of the Free«, nicht so weit her ist, wie allgemein und massenmedial vermittelt, weiß im Grunde genommen jeder. Das Ekel im Weißen Haus hätte es dazu nicht eigens gebraucht. Mit Donald Trump aber bekommt der Antiamerikanismus, der in den von den USA traditionell verheerten Weltteilen ohnehin anhaltend populär ist, wieder Zulauf.

Unter Antiamerikanismus wird gemeinhin eine »ablehnende Haltung gegenüber Gesellschaftssystem, Politik und Lebensstil der USA« verstanden. So definiert es der Duden. Die Bundeszentrale für politische Bildung fasst es schärfer. Antiamerikanismus ist ihr »die extreme und verächtliche Ablehnung der USA bzw. ihrer Politik, Kultur, Wirtschaft oder Gesellschaft«.

Ist also, wer die oben aufgezählten – politisch ja durchaus behebbaren – Missstände rundweg ablehnt, schon Antiamerikaner? Und sitzt der oder die somit im selben Boot mit konservativen Kulturkritikern (Stichwort: Hollywood), religiösen Fanatikern aller Couleur, die in den USA den »großen Satan« erkennen, oder Faschisten, denen die USA nicht weiß, nicht völkisch genug sind und hinter deren Amerikakritik, oft schlecht kaschiert, der Antisemitismus hervorlugt?

Mitnichten. Denn das weiß sogar die Bundeszentrale: Wenn die Kritik an den USA auf der Grundlage von Demokratie und Menschenrechten formuliert wird, kann von Antiamerikanismus nicht gesprochen werden. Oder anders formuliert: Vom Standpunkt des universalistischen, proletarischen Internationalismus ist es selbstverständlich geboten, die USA als fortgeschrittenste kapitalistische Nation der Welt und imperialistische Hauptmacht abzulehnen und sich mit ihren fortschrittlichen Kräften zu solidarisieren. Wird einem dann Antiamerikanismus vorgeworfen, so ist das einfach ein unlauteres Argument.

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