Die Krankheit der Deutschen
Von Jens Grandt
Dem Thema »500 Jahre Bauernkrieg« ist das jüngste Heft des thüringischen Literaturjournals Palmbaum gewidmet. Es steht unter der Frage: »Was ist und kann politische Literatur?« Es ist ein lesenswertes, weit über die Historie hinausreichendes Heft geworden. Alles, was ein gebildeter Citoyen heutzutage über den Bauernkrieg wissen sollte, erfährt er in meist kurzen Beiträgen. Bereichert durch Originaltexte wie Martin Luthers Schrift »Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern«, einen Auszug aus Thomas Müntzers »Fürstenpredigt« und die »Zwölf Artikel« der süddeutschen Bauern, an denen sich andere revoltierende Haufen orientierten.
Der Kritiker Achim Wünsche stellt die entscheidende Frage: Was gehen uns die Kämpfe vor 500 Jahren an? Er kommt in seinem brillanten Essay zu einer überzeugenden Antwort: Der absurd anmutende Streit um die Wahrheit unter Berufung auf dieselbe Glaubenslehre ist zeitlos. Stritten sich Luther und die Bauern über die Auslegung sowie weltliche Konsequenzen des Christentums, so der orthodoxe Marxismus-Leninismus mit dissidenten Widersachern, und – gleichnishaft – verfolgen heutige Parteien, die sich christlich nennen, eine »gewaltbereite aggressive Politik«, wie Papst Franziskus klagte. Wünsche fragt weiter: Waren die Kontroversen zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Geburtsstunde der Links- und Rechtsintellektuellen? In Thomas Müntzer erkennt er den Typus des Intellektuellen, »der die Welt von unten sieht«. Er »braucht keinen Besitz, kein Eigentum, um sich seiner selbst zu vergewissern, denn er lebt physisch und geistig von dieser Gemeinschaft, einer Kommune«. Luther hingegen sei ein Denker der Ordnung gewesen, der die Welt von oben betrachtete, ihre Einheit jedoch auseinanderbrechen sah. Ob er durch seine Reformation versöhnen wollte, wie Wünsche schreibt, sei dahingestellt. Missachtete Luther nicht das Gebot Jesu Christi, alle Menschen zu lieben, auch die Feinde? Statt dessen rief er dazu auf, die von der Ordnung Abtrünnigen zu »würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, der da kann …« Oder ist die christliche Lehre, wie sie praktiziert wurde, von vornherein eine Fessel um den Hals der Unterdrückten gewesen?
Die Brücke zur Neuzeit, ja, zur Gegenwart, schlägt Jens-F. Dwars, der die Hintergründe von Johann R. Bechers Gedicht »Riemenschneider« erhellt. Wer weiß schon, dass der Bildschnitzer Tilman Riemenschneider Bürgermeister von Würzburg war, dass sich der gesamte Stadtrat 1525 auf die Seite der Bauern stellte und nach der Niederlage gemeuchelt wurde? Riemenschneider kaufte sich frei und erhielt keine Aufträge mehr. Becher sieht in diesem Schicksal ein Gleichnis und fragt nach der Schuld der eigenen Genossen am Durchmarsch des Faschismus. Besserwisserei und Realitätsverlust der Linken hätten viele Deutsche in die Fänge der Nazis getrieben. In ähnlicher Weise gesteht Thomas Mann die Niederlage ein. Erschütternd, wie prägnant er das zwischen kultivierter Sinnlichkeit, Allmacht und Unterwürfigkeit oszillierende »deutsche Wesen« beschreibt, das seit Luther über Jahrhunderte von einer Katastrophe in die andere führte. Ein Werk wie der »Doktor Faustus«, meint Dwars, gibt »Lebenskraft, die man mit wachem Sinn abruft«.
Der Regisseur und Schriftsteller B. K. Tragelehn schildert die Bemühungen Bert Brechts, durch epische »Lehrstücke« beim Zuschauer kritisches Mitdenken anzuregen. Ein paar Mal hat es geklappt, dann verkam das Brecht-Erbe zu einem kunstgewerblichen Stil. Wilhelm Bartsch hingegen, Thüringer Autor und Übersetzer, rekapituliert, wie das Werk Arno Schmidts DDR-Künstler, insbesondere der sogenannten Sächsischen Dichterschule, in ihren Auffassungen bestärkt hat. So zurückgezogen der Bargfelder Ironiker lebte, in seiner Lyrik und Prosa versuchte er beharrlich, die »geduckten Verhältnisse« der Bundesrepublik aufzubrechen – und Volker Braun, Karl Mickel, Rainer Kirsch mussten sich ja auch oft genug wegducken. Literatur inspiriert Literatur und beflügelt dadurch die Rezeption.
Dass politisch scharfe Literatur Gegenrede erfährt, versteht sich, wie an Wolfgang Hilbigs »Die elfte These über Feuerbach« deutlich wird. Der Protagonist W. fährt unter der Bedingung zu einem Kolloquium, dass ihm »ein einziger sagbarer Satz über Utopie« einfalle. Und sofort weiß er, indem er sich auf die elfte Feuerbach-These von Karl Marx beruft, die Welt »zu verändern«: Es darf diesen Satz gar nicht geben. Da eine verwirklichte Utopie eitel Sonnenschein wäre, verliere sich das Denken und die Sprache. Angesichts des Schiffbruchs aller bisherigen Utopie negiert er generell das messianische Denken, das immer revolutionär ist, wie Jacques Derrida sagt. Der Begriff der Utopie ist bei Hilbig ein absoluter, der Wegsucher W. begibt sich dadurch in Widerspruch zur Feuerbach-These und zu sich selbst, ohne es zu merken.
Das Thema ist damit bei weitem nicht erschöpft. Wie immer wartet Palmbaum auch mit einem umfangreichen Teil aktueller Lyrik, Prosa, Essays und Kritiken auf.
Palmbaum 1/2025, Guartus-Verlag, Bucha bei Jena, 225 Seiten, 12 Euro
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