»Es wird kaum an Langzeiteffekte gedacht«
Interview: Gitta Düperthal
Mit dem sogenannten Hochschulpakt 2026 bis 2030 könnten an hessischen Hochschulen drastische Kürzungen drohen. Deshalb rufen die GEW, Landes-ASten-Konferenz und Verdi für diesen Mittwoch zu Protestaktionen von Beschäftigten und Studierenden der Universität Kassel und der TU Darmstadt auf. Sind die Kürzungen politisch zugeschnitten?
Ziel der Landesregierung sollte sein, die Betreuungsverhältnisse zu verbessern. Doch das Personal ist meist der größte Faktor, wenn gespart wird. Oft trifft es befristete Stellen willkürlich: Wo der Vertrag gerade ausläuft, wird die Stelle erst mal nicht wieder besetzt. Studierende erhalten weniger Unterstützung. Wir Gewerkschaften hatten 2024 mit dem Land vereinbart, dass die Hochschulen mindestens 400 unbefristete Vollzeitstellen bis Ende 2030 schaffen müssen. Dafür muss der hessische Finanzminister Alexander Lorz von der CDU die Weichen stellen.
Der Hochschulpakt, bei dem der finanzielle Rahmen von 2021 bis 2025 für die 14 Hochschulen in Hessen vereinbart wurde, läuft jetzt aus. Budgets bis 2030 werden neu verhandelt. Im Pakt wird zudem die Stoßrichtung festgelegt, worauf sich einzelne Hochschulen fokussieren sollen. Aktuell soll wegen bundesweit rückläufiger Steuereinnahmen gespart und gekürzt werden.
Den Alltag der hessischen Hochschulen prägten bereits überfüllte Lehrveranstaltungen, veraltete Infrastruktur und befristete Beschäftigungsverhältnisse: Der Allgemeine Studierendenausschuss der TU Darmstadt beklagt chronische Unterfinanzierung.
Mittelkürzungen schlagen nach unten durch: mit der möglichen Folge, dass Studiengänge geschlossen werden müssen, es weniger Studierende an Hochschulen geben könnte. Langfristig wäre davon auszugehen, dass es beispielsweise weniger ausgebildete Lehrkräfte an Schulen geben wird.
Welche Konsequenzen ziehen Sie?
Wir müssen den Protest jetzt auf die Straße tragen und sichtbar machen, dass ein Kaputtsparen der Hochschulen langfristig zum Problem wird, sonst können die wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen wie der Fachkräftemangel nicht gelöst werden. In Sachsen beklagte die »Konferenz Sächsischer Studierendenschaften« Einsparungen bei Lehrbeauftragten sowie auch bei Mitteln für Inklusion und Gleichstellung. In Berlin gibt es Kritik an Kürzungen, die Beschäftigte und Studierende treffen; nun mobilisieren wir auch in Hessen dagegen.
Wer verhandelt mit dem hessischen Wissenschaftsminister Timon Gremmels von der SPD, und wie transparent läuft das?
Die Hochschulleitungen verhandeln. Sie haben ihr Fachpersonal dabei. Gewerkschaften und die Personalräte an den Hochschulen sind nicht beteiligt. Hochschulintern wird pauschal informiert, nicht im Detail. Genau das ist aber wichtig, um zu wissen, wo gespart werden soll. Fraglich ist zudem, welche Hochschule wie viele Drittmittel einwerben kann, um die Finanzierung zu sichern.
Verschiebt das die Lehre nicht in eine problematische Richtung: von der öffentlichen Finanzierung und einer daraus resultierenden Unabhängigkeit hin zu mehr Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen Interessen?
Es muss mit Drittmittelgeldern kalkuliert werden. Und: Bei den im Mai beschlossenen Exzellenzclustern war zu sehen, dass Geistes- und Sozialwissenschaften kaum berücksichtigt werden.
Gremmels weist auf der Webseite des Ministeriums auf »große finanzielle Herausforderungen« hin und beteuert, die Sorgen und Nöte der Hochschulen ernst zu nehmen. Wie schätzen Sie das ein?
Fragt sich, inwieweit sich die SPD als der kleinere Partner in der CDU-geführten Regierungskoalition durchsetzen kann. Bei der CDU heißt es meist: Hauptsache Sparen. An problematische Langzeiteffekte im Bildungsbereich wird kaum gedacht. Gewerkschaften und die Landes-ASten-Konferenzen mobilisieren jetzt: Diesen Mittwoch werden die Aktiven in Kassel und Darmstadt gegen Kürzungen protestieren, am nächsten Mittwoch in Gießen. Dort haben die Studierenden zum Bildungsstreik aufgerufen. Wir fordern mehr Transparenz bei den Verhandlungen. Der Landeshaushalt darf nicht auf Kosten der Studierenden und Beschäftigten an den Hochschulen konsolidiert werden. Hochschulen dürfen nicht kaputtgespart werden.
Simone Claar ist stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen
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