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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 4 / Inland
Repression

Senat stellt sich taub

Berlin: Widerstand gegen verändertes Hochschulgesetz wächst vor Abstimmung im Abgeordnetenhaus
Von Max Freitag
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»Hände weg von Studentenrechten«: Demonstration gegen die geplante Gesetzesänderung (Berlin, 26.3.2024)

Studierende wehren sich, Gewerkschaften äußern sich ablehnend, Universitäten nehmen kritisch Stellung – die vom »schwarz-roten« Senat geplante Wiedereinführung des Ordnungsrechts scheint fast niemandem zu gefallen. Bei entsprechenden Verstößen würde Studierenden die Exmatrikulation drohen. Bemängelt werden unklare Begrifflichkeiten und der Aufbau einer Sonderstrafjustiz der Universitäten. Die Gesetzesnovelle, über die diese Woche abgestimmt werden soll, könnte sich damit als Waffe gegen studentischen Protest richten. Erst 2021 wurde diese Regelung als überholt abgeschafft. Nach dem Übergriff auf einen proisraelischen Studierenden wurde ihre Wiedereinführung zunächst von der AfD gefordert. Außer rechten Stimmen scheint der Senat keine Meinungen zu dem Thema berücksichtigen zu wollen.

Die zuständigen Gewerkschaften durften jedenfalls bisher nichts beitragen. Ein »Affront«, findet Jana Seppelt, Verdi-Landesfachbereichsleiterin für Hochschulen. Der Senat solle diese »hochschulpolitische Geisterfahrt« endlich beenden. Auch die GEW lehnt die Gesetzesänderung ab und befürchtet eine Kriminalisierung von studentischem Protest. Maxi Schulz (GEW-Jugend) kommentiert, dass das Gesetz für Studierende und Unibeschäftigte gleichermaßen schlecht sei und nennt dessen Durchsetzung in den Semesterferien »antidemokratisch«.

Diesen Vorwurf weist Marcel Hopp, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, auf Anfrage zurück. Wegen der angeblich »wachsenden Spannungen in den Hochschulen« habe es akuten Handlungsbedarf gegeben. Die Nichtanhörung der Gewerkschaften in der Ausarbeitung der Gesetzesvorlage findet Hopp nicht problematisch und verweist auf »exekutives Handeln« des Senats. Die GEW werde allerdings noch vor der Abstimmung im Abgeordnetenhaus sprechen dürfen. Da wolle die SPD dann »konkrete Änderungs- und Präzisierungsvorschläge« machen.

Der parlamentarischen Beschlussvorlage vom 2. April sind die Kritikpunkte der Hochschulleitungen und Studierendenvertretungen beigefügt. Einen Unterschied scheint das bisher aber noch nicht gemacht zu haben. So kritisieren die Universitäten die praktische Umsetzung des Vorhabens, wobei sie die Zielsetzung an sich unterstützen. So fordert zum Beispiel die FU, dass Exmatrikulationen erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung möglich sein sollen. Ferner bedauere man, dass den Hochschulen »im Anhörungsverfahren auch auf Nachfrage nicht mehr Zeit eingeräumt wurde«, so die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten. Die Landes-Asten-Konferenz, die sonst den Unileitungen eher kritisch gegenübertritt, beruft sich auf eine Aussage des FU-Präsidenten Günter Ziegler, der vor einer Sonderstrafjustiz gewarnt haben soll. In der TU-Stellungnahme wird vor einer »Universitäts-Justiz« gewarnt. Die Kunsthochschule Weißensee sieht den Weg bereitet für »repressive und autoritäre Politiken«, warnt vor »Einschränkung der Meinungs-, Versammlungs-, Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit«.

Dabei war das ursprünglich deklarierte Ziel des Gesetzes Antidiskriminierung und Opferschutz. Das bekräftigt auch SPD-Mann Hopp. Dafür braucht es laut Landeskonferenz der Frauenbeauftragten an Berliner Hochschulen aber »dringend eine Eingrenzung und nähere Bestimmung der Straftaten« im Gesetzestext. Das Ziel komplett verfehlt sieht der Zusammenschluss der Asten: »Empfehlung – Entwurf ablehnen!« In neun Punkten beanstanden sie etwa einen »unbestimmten, ausufernden Gewaltbegriff« oder die Gefahr, die Exmatrikulationen gerade für Studierende mit unsicherem Aufenthaltsstatus bedeuten. Denn für sie gilt: Ohne Einschreibung kein Aufenthalt.

Bemerkenswert ist, wie sehr sich die Kritiken überschneiden. Aber der Senat gibt sich unbeeindruckt. Auf Anfrage betont die Pressestelle der zuständigen Senatsverwaltung nur die »eingehende Beratung« mit den Unis – die Unterredungen scheinen also einseitig gewesen zu sein. Auch Hopp und seine Partei möchten an dem Vorhaben festhalten. Dagegen richtet sich die Kampagne »Hands off Student Rights«, in deren Rahmen diese Woche gegen das Gesetz demonstriert wird.

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