Befindlichkeiten bei der GEW
Von Susanne Knütter
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat über die Jahre viel für ihr Image als Bildungsgewerkschaft getan. Und auch der 30. ordentliche Gewerkschaftstag, der am Sonnabend zu Ende ging, sollte das untermauern. Die gut 420 Delegierten bekräftigten in verschiedenen Anträgen die Forderung nach einem inklusiven Bildungssystem, das Chancengleichheit für alle Menschen sichert. Die Antragsdiskussion um den Einsatz für »eine Schule für alle« am Freitag allerdings hat gezeigt, dass dafür auch Widerstände innerhalb der Gewerkschaft überwunden werden mussten. So drehte sich eine der wenigen lebhaften Debatten der GEW-Vollversammlung um die Ablehnung des zweigliedrigen Schulsystems, einschließlich des Gymnasiums.
Der Antrag des Hauptvorstandes zu den schulpolitischen Positionen konstatierte, die GEW befinde sich in »einem bildungspolitischen Diskurs, in dem von mehreren Seiten das Gymnasium für unantastbar erklärt wird«. Aber die »gelegentliche Einschätzung von vollständig gleichberechtigten und gleichwertigen Schulen in beiden Säulen ist bislang wissenschaftlich nicht nachweisbar«. Im Gegenteil, der Übergang vom dreigliedrigen zum zweigliedrigen Schulsystem schreibe die Probleme der »schulformspezifischen Privilegien« fort und verhindere »die Weiterentwicklung der Inklusion«. Die »GEW lehnt daher die Zweigliedrigkeit ab«. Das war zuviel für die Gymnasiallehrer.
Die Kollegen an Gymnasien fühlten sich von der Formulierung angegriffen, wendeten die Vertreter der Bundesfachgruppe Gymnasien ein. Eine Lehrerin aus Rheinland-Pfalz forderte die Solidarität und Unterstützung der Kollegen: Jede Schulform habe ihre Probleme und eigenen Kämpfe auszutragen. Dass der Antrag die Gymnasien so »explizit und alleinig« für die Problemlage verantwortlich mache, schwäche die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort, besonders in den Personalräten. »Dass wir zufällig an Gymnasien gelandet sind, heißt nicht, dass wir dieser Schulform huldigen.« Man setze sich auch dort für ein Umsteuern im Sinne der Gewerkschaft ein. Ein weiterer Kollege forderte »›eine Schule für alle‹ nicht gegen die Gymnasien, sondern mit den Gymnasien«.
Es wurde deutlich, dass der Widerstand der Gymnasiallehrer in der GEW sich nicht zuletzt aus dem Kampf mit dem konkurrierenden Philologenverband um Personalratsplätze speist. Der Philologenverband, der am liebsten zum »Gymnasium der 50er Jahre zurück« möchte, sei zwar weitgehend untätig. Er hat aber offenbar Einfluss auf die Köpfe.
Die Befürworter der Formulierung ließen derartiges Taktieren nicht gelten und machten klar: Bei der Rolle der Gymnasien im gegliederten Schulsystem handelt es sich um eine Zustandsbeschreibung, die konservative Kräfte so nicht hinnehmen wollen. Und es seien auch hier konservative Kräfte. »Aber die GEW ist nicht konservativ«, sagte ein Mitglied der Antragskommission aus Bremen. Ein Gesamtschullehrer aus Niedersachsen verstand die Befindlichkeiten seiner Kollegen nicht: »Ich wäre dafür, dass diese Schulform (kooperative Gesamtschule) angegriffen würde zugunsten etwas Besserem.« Und er wies auf die »besondere Bedeutung von Gymnasien in der Pyramide der Begabungstheorie« hin. »Sie steht ganz oben.« Es ist »die einzige Schulform, die es in allen 16 Bundesländern gibt«. Daneben gibt es andere Schulformen aller Art, »deren Bestand immer mal wieder angegriffen wird, wenn es nötig ist – zugunsten der Schulform Gymnasium«.
Die friedenspolitischen Anträge wurden trotz zunächst gegenteiliger Beteuerung gar nicht behandelt, sondern an den Hauptvorstand verwiesen. Die wiedergewählte GEW-Vorsitzende wiederholte zwar noch einmal die Forderung: »Wir brauchen mindestens 130 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen sowie jährliche Investitionen in das Bildungswesen in Höhe von mindestens zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts.« Aber eine weitergehende Kritik, wie sie z. B. in einem Antrag aus Hessen formuliert wurde, der den Teil der Grundgesetzänderung ablehnte, der die grenzenlose Aufrüstung ermöglicht, wurde nicht beschlossen. Gelegenheit ihn zu diskutieren gab es am Ende nicht.
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