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Aus: Ausgabe vom 24.02.2024, Seite 5 / Inland
Solarindustrie

Von Sachsen nach Arizona

Schweizer Solarhersteller schließt Werk in Freiberg und verlagert Produktion in die USA. 500 Arbeitsplätze betroffen. Linkspartei fordert »Green Deal« für Europa
Von Alexander Reich
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»Ohne Subventionen nicht konkurrenzfähig«: Endkontrolle eines Solarmoduls bei Meyer Burger in Freiberg

Die Schweizer Meyer Burger AG wird die Produktion von Solarmodulen im sächsischen Freiberg in der ersten Märzhälfte einstellen. Bis Ende April werde das größte Werk Solarmodulwerk in Europa mit derzeit 500 Beschäftigten geschlossen, heißt es in einer Unternehmensmitteilung vom Freitag. »Chief Operating Officer« Daniel Menzel erklärte: »All unsere Erfahrungen aus dem erfolgreichen Produktionshochlauf in Deutschland (…) werden wir nun nutzen, um die Solarmodulproduktion in den USA so schnell wie möglich hochzufahren.«

Mitte Januar hatte Meyer Burger der Politik ein irres Ultimatum gestellt: Sollten im Februar keine Staatsgelder zur »Herstellung eines fairen Wettbewerbs« fließen, sei Schluss in der Silberstadt. Am Freitag erklärte der Konzern, da sich die »deutsche Regierung« nicht zu Maßnahmen gegen »Marktverzerrungen« durch »Überangebot« und »Dumpingpreise« durchgerungen habe, sei die Werkschließung unausweichlich.

Ohne Subventionen sind Solarmodule aus Freiberg nicht konkurrenzfähig. Gleichwertige Paneele aus China kosten ein Viertel bis die Hälfte. Die Volksrepublik könnte mit ihren Kapazitäten längst die gesamte Welt versorgen, aber sowohl die USA als auch Indien haben ihre Märkte abgeschottet, um eine eigene Solarindustrie hochzupäppeln. Um so mehr Module aus China landen deshalb nun mit enormen Preisnachlässen in Europa.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) drängte die Bundesregierung am Freitag zur Bezuschussung von Solarkomponenten aus deutscher Produktion, was zuletzt unter dem Schlagwort »Resilienzboni« im Gespräch war. Allerdings flössen diese Boni fast ausschließlich an Meyer Burger, und aus welchem Topf das Geld kommen könnte, ist völlig unklar. Laut Branchenverband BSW-Solar wären jährlich um die 500 Millionen Euro nötig, und zwar 20 Jahre lang.

Linksparteichef Martin Schirdewan nahm die Werkschließung am Freitag zum Anlass, die Aussetzung der Schuldenbremse zu fordern: »Es braucht einen Resilienzbonus für die europäische Produktion.« Und die Publizistin Ines Schwerdtner, die bei der Europawahl für die Linkspartei kandidiert, sprach gegenüber jW vom »bitteren Resultat einer verfehlten Industriepolitik«. Die Menschen in der Region um Freiberg stünden »zum wiederholten Mal vor einem Scherbenhaufen«, so Schwerdtner. »Ich weiß nicht, wie man in der Politik ernsthaft glauben kann, dass man auf diese Art und Weise Akzeptanz für den Umbau der Wirtschaft schafft.«

Nach Ansicht Schwerdtners, die bis zum Sommer Chefredakteurin der deutschen Ausgabe des Jacobin-Magazins war, braucht Europa eine eigenständige Solarindustrie – schon für den Fall, dass »China in einigen Jahren nicht mehr willens sein sollte, den Ausbau der Solarstromerzeugung in Europa über Subventionen mitzufinanzieren«. Module aus China wären dann wohl auch ohne Fördergelder der KPCh billig genug, sollte man meinen, und es gäbe ja alternative Anbieter wie Indien. Aber Schwerdtner hält das für Träumerei: »Die Globalisierung, wie wir sie aus den Neunziger- und Nullerjahren kennen, ist vorüber. Die USA und China betreiben offensiv Industriepolitik und versuchen, Märkte für sich zu sichern. Europa muss darauf politische Antworten finden, und eine eigene Industriestrategie entwickeln.«

Das Beispiel Meyer Burger scheint ihren Befund zumindest für die USA zu bestätigen. Um aus den roten Zahlen zu kommen, bauen die Schweizer derzeit Werke in den Bundesstaaten Colorado und Arizona. »Langfristige Abnahmeverpflichtungen« sorgten dort für ein »hochprofitables Geschäftsmodell«, hieß es in der Mitteilung vom Freitag. Dazu kämen Steuergutschriften von 1,4 Milliarden Dollar, ein Kredit des US-Energieministeriums in Höhe von 200 bis 250 Millionen Dollar und einiges mehr. Da scheint es nachgerade vernünftig, dass die EU zum Subventionswettlauf mit ihrem großen Bruder gar nicht erst angetreten ist.

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