Ein Mann will durch die Wand
Von Knut MellenthinBis zum 10. März muss die Bundesregierung entscheiden, ob sie die Treuhandverwaltung über die beiden deutschen Tochtergesellschaften des russischen Staatskonzerns Rosneft verlängert. Es wäre schon das dritte Mal seit der Verhängung dieser Strafmaßnahme wegen des Ukrainekrieges am 16. September 2022.
Formal ist es das Wirtschaftsministerium und persönlich dessen Chef Robert Habeck von den Grünen, das die Verlängerung anordnen müsste. Aber real fällt die Entscheidung auf Regierungsebene in der Diskussion zwischen verschiedenen Teilen des Apparats, wobei vermutlich Bundeskanzler Olaf Scholz das letzte Wort hat. Und da ist man sich zwei Wochen vor Ablauf der Frist offenbar noch nicht einig. Das Handelsblatt sprach am Donnerstag sogar ausdrücklich von »Streit« in der Bundesregierung. Habeck wirbt zwar unüberhörbar und scheinbar unbeirrt für eine Enteignung der Rosneft-Töchter, aber er stößt damit angeblich »im Bundeskanzleramt und im Bundesfinanzministerium auf Widerstand«. Das behauptet zumindest das Handelsblatt und beruft sich dabei auf »Informationen aus Regierungskreisen«. Das ist zwar die denkbar schwächste Beweislage, aber das Gerücht kann trotzdem stimmen und klingt plausibel.
Im Handelsblatt stand dazu am Donnerstag: »Das Bundeskanzleramt fürchtet Vergeltungsmaßnahmen der russischen Seite in Form von Enteignungen deutscher Unternehmen in Russland. Das Finanzministerium hält eine Verlängerung der bestehenden Treuhandschaft für den besseren Weg. Im Haus von Christian Lindner (FDP) verweist man außerdem auf mögliche Entschädigungsansprüche der Russen in beträchtlicher Milliardenhöhe.«
In diesem Zusammenhang berichtete das Handelsblatt, wieder nur unter Berufung auf »Informationen aus Regierungskreisen«, Vertreter des Bundeskanzleramts und des Wirtschaftsministeriums hätten sich »vor wenigen Tagen« in Istanbul mit Rosneft-Generaldirektor Igor Setschin getroffen, um Alternativen zur Enteignung »auszuloten«.
Dass der Mutterkonzern sich mit allen juristischen Mitteln gegen eine Enteignung wehren wird, ist spätestens seit Anfang des Monats klar, als diese äußerste Zwangsmaßnahme vom Wirtschaftsministerium gewollt rücksichtslos ins öffentliche Gespräch gebracht wurde. Als Reaktion erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am 8. Februar laut TASS: »Wir schließen nichts aus, um unsere Interessen zu verteidigen und illegalen Schritten entgegenzutreten.« Damit ist auch deutlich, dass Rosneft in diesem Konflikt auf die volle Unterstützung von Präsident Wladimir Putin rechnen kann.
Möglicherweise zur Stärkung Habecks im Streit mit Scholz und Lindner sickerte aus dem Wirtschaftsministerium ein auf Mittwoch datiertes internes Alarmpapier an mehrere Medien durch: Ohne Enteignung der Rosneft-Töchter bestünde »ein hohes Risiko von Versorgungsengpässen«, besonders bei Diesel und Heizöl, »im Osten und im Süden Deutschlands«, wird dort behauptet. Begründet wird diese Spekulation mit der Befürchtung, dass sich unter anderem Erdöllieferanten zurückziehen würden, wenn Rosneft an den Raffinerien in Schwedt (54 Prozent), Karlsruhe (24 Prozent) und Neustadt an der Donau (28,6 Prozent) beteiligt bleibt. Wie realistisch das ist, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass das Wirtschaftsministerium unter Habecks Führung alles unternommen hat, um eine toxische Stimmung gegen jede wirtschaftliche Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen aufzubauen.
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