50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
Gegründet 1947 Sa. / So., 23. / 24. September 2023, Nr. 222
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50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe 50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
50 Jahre Putsch in Chile

50 Jahre Putsch in Chile

Im Jahr 2023 jährt sich der faschistische Putsch in Chile zum 50. Mal. Anlässlich dieses Ereignisses plant die Tageszeitung junge Welt eine Veranstaltungsreihe. Es werden der eingeschlagene sozialistische Weg durch die Unidad Popular und den Präsidenten Salvador Allende gewürdigt, der Putsch durch General Augusto Pinochet unter Anleitung und Finanzierung durch die USA sowie der Widerstand dagegen in Erinnerung gebracht. Vielfache Bezüge zu heutigen Entwicklungen werden hergestellt. Den Höhepunkt fand unsere Reihe mit einem Konzert im Gedenken an den chilenischen Musiker Victor Jara. Einige weitere Veranstaltungen sind noch in Planung.

Die Veranstaltungen unserer Chile-Reihe finden Sie unten:
Alle Veranstaltungen in der Maigalerie der jungen Welt werden auch per Livestream auf jungewelt.de übertragen.

  • · Blog

    Die Mahnung der 5.000

    Norman Philippen

    »Was bleibet aber, stiften die Dichter«, meinte Hölderlin. Für diese These spricht, dass taggenau 50 Jahre nach der bestialischen Hinrichtung des chilenischen Liedermachers Víctor Jara 500 Leute ins Berliner Kino Babylon kamen und bewiesen, dass Faschisten unliebsamen Sängern zwar die Zunge herausreißen, aber nicht damit rechnen können, so auch deren Lieder verklingen zu lassen. So sehr die Ermordung Jaras vor einem Halbjahrhundert internationale Empörung erzeugte, die den Widerstand gegen die Pinochet-Schergen befeuerte, so sehr entzücken des Unvergessenen lebendige Texte und Melodien noch heute sein weltweites Publikum.

    Nachdem jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder Hölderlins Prophezeiung mit Franz Josef Degenhardt zum Motto des Abends »Nichts ist vergessen und niemand« einleitend erweitert und Jeremy Corbyn seinen Videogruß mit der kämpferischen Botschaft »the working class is back« geschlossen hatte, wurde jedenfalls noch fast vier weitere Stunden ausgiebig applaudiert. Den Applaus wert waren zunächst und während des Abends wiederholt die chilenische Sängerin Aruma Itzamaray und der Berliner Liedermacher und Theatermusiker Tobias Thiele als Duo Yarawi. Da Thiele nicht nur des Genossen Jaras Texte so fein vorzutragen weiß wie er seine Duettpartnerin auf der Gitarre und dem Klavier begleitete, sondern auch noch super Spanisch spricht, war er als Moderator und Übersetzer bestens besetzt. Schotten versteht er auch so gut, dass selbst der Teil des Publikums, dem es anders ging, alles mitbekam, was der Singer-Songwriter Calum Baird auf der Bühne sagte, wenn er nicht zur Gitarre sang. Dass an Schlaf in diesen friedlosen Zeiten manchmal kaum zu denken ist, besang er im Titel »4 a.m.«. Mit Brecht beschwor er die Unabdingbarkeit des Überlebensmittels Kunst und setzte auf und erzeugte »beauty in the worst of times«, in der »The ever willing soldier« leider immer noch zu selten desertiert. Nach den fünf Liedern Culums folgten sieben des populären argentinisch-deutschen Musikers Pablo Miró, der schon als Elfjähriger von Jara geprägt wurde, dessen Lieder »wunderbare Antibiotika gegen jeden Blödsinn, den man machen kann« seien, und den er eine herausragende »ethische Figur des Liedermachens« nannte. Es habe eine erfreulich »ironische Seite«, dass heute noch so viele »mehr oder weniger Empörte« zu Víctor Jaras Gedenken zusammenfinden. Auch Miró sang teils Songs von Jara (so »Manifiesto«), teils eigene Kompositionen wie das Julian Assange gewidmete Lied »Für Julian«. Aufgrund anhaltenden Applauses folgte als Zugabe noch »Was wir sind«.

    Am Klavier begleitete Thiele dann Aruma Itzamaray für einen Song, rezitierte Jaras »Der Pflug« (»El Arado«) und übersetze sodann die Ansagen Yaima Orozcos. Die kubanische, traditionelle musikalische Genres der Insel mit zahlreichen weiteren Rhythmen der Welt fusionierende Komponistin, Sängerin und Gitarristin wusste das Publikum mit ihrer hellen Stimme und Ausstrahlung wohl zu bezaubern und kam um eine Zugabe ebenfalls nicht herum.

    Jaras letzte Zeilen, verfasst im heute nach ihm benannten Estadio Chile in Santiago de Chile, sind den 5.000 im Stadion Gefangenen gewidmet – und gingen, am Sonnabend vorgetragen, den 500 im Saal direkt in die Herzen. Schließlich sorgte der Liedermacher und Dichter Nicolás Rodrigo Miquea für starke Emotionen. Das gelang ihm, dem seine Musik politischer Aktivismus ist, durch drastische Sprachbilder wie dem »Tsunami aus Knochen« im Mittelmeer so gut wie durch seine leidenschaftliche Performance.

    Auch dieses – abermals ausverkaufte – Highlight der jW-Veranstaltungsreihe zum faschistischen Putsch in Chile von 1973 zeigt dessen so große wie leider auch hochaktuelle Bedeutung als historisches Ereignis mit bedrohlich permanentem Wiederholungspotential auf. So sollte verwundern, würde am kommend Sonnabend zur Finissage »Das Wandbild einer chilenischen Brigade und seine Entstehung« nicht die jW-Maigalerie wieder rappelvoll sein, zumal mit
    Amanda Jara, der Tochter Victor Jaras, und der Musikerin Yolanda Marvel zwei hochkarätige Gäste anwesend sein werden.

  • · Blog

    Victor Jaras Tochter Amanda Jara erstmals auf Vortragstour in Europa

    Förderverein Felsenkeller Leipzig
    Amanda Jara in Quintay, Chile

    Victor Jara Vive! Venceremos!

    Der Felsenkeller Leipzig initiiert vom 19.9.2023 bis zum 24.9.2023 eine Tour des Gedenkens mit Amanda Jara und Yolanda Marvel anlässlich des 50. Todestages des chilenischen Sängers Victor Jara.

    Vor 50 Jahren, am 11. September 1973, putschte in Chile das Militär gegen den demokratisch
    gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Die von Augusto Pinochet geführte
    und den USA protegierte Junta errichtete eine Militärdiktatur, die bis 1990 herrschte.
    Fünf Tage nach dem Putsch wurde der legendäre Folksänger, Theaterregisseur, Schriftsteller,
    Lehrer und Kommunist Victor Jara, der mit seiner Musik Präsident Allende unterstützt hatte,
    im Estadio Chile in Santiago von Putschisten gefoltert und im Alter von 40 Jahren brutal
    ermordet.

    Pinochets Mördern gelang es allerdings nicht, die Erinnerung an Víctor Jara auszulöschen. Das
    Stadion trägt heute seinen Namen und seine Lieder sind noch immer weit über sein
    Heimatland hinaus sehr lebendig.

    Anlässlich des 50. Jahrestages der chilenischen Tragödie besucht die Tochter des Künstlers
    Amanda Jara zusammen mit der Musikerin Yolanda Marvel die Bundesrepublik für eine Tour
    des Gedenkens. Auf Einladung des Felsenkellers Leipzig werden beide Frauen vom 19. bis 24. September in insgesamt sechs Städten (Frankfurt am Main, Hamburg, Chemnitz, Leipzig, Berlin und Cottbus) auftreten und erstmals gemeinsam in Deutschland an das bewegte Leben und reiche Schaffen von Víctor Jara erinnern. Der Blick geht dabei natürlich nicht nur zurück, sondern wird auch auf die aktuelle politische Situation im Land ausgerichtet, die nach dem gescheiterten Verfassungsreferendum im September 2022 sehr angespannt ist.

    Amanda Jara dazu: »Wir freuen uns sehr auf diese Tour. Nach dem Sturz Allendes war die
    Solidarität mit dem chilenischen Volk in der BRD, noch mehr aber in der DDR sehr groß. Das
    haben wir auch nach einem halben Jahrhundert keineswegs vergessen. Viele Landsleute
    fanden hier eine neue Heimat und leben mit ihren Nachkommen teilweise noch immer in
    Deutschland. Mit unseren Auftritten wollen wir aber natürlich vor allem das deutsche
    Publikum mit dem Werk meines Vaters und damit zugleich mit der revolutionären Geschichte
    und Gegenwart Chiles näher vertraut machen.«

    Die vom Förderverein Felsenkeller Leipzig initiierte Tour des Gedenkens von Amanda und
    Yolanda wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt und der Tageszeitung »junge
    Welt« als Medienpartner begleitet. Wie die lebendige Erinnerung an Rosa Luxemburg zählt
    ein waches Geschichtsbewusstsein zu den Markenzeichen des Hauses


    Presseanfragen:
    joerg.folta@felsenkeller-leipzig.com

    19.9.2023 Frankfurt/Main: um 19 Uhr im Haus am Dom, Domplatz 3
    20.9.2023 Hamburg: um 19.30 Uhr im Atelier Gausz, Gaußstraße 60
    21.9.2023 Chemnitz: um 19 Uhr im Soziokulturellen Zentrum Subbotnik, Vetterstraße 34a
    22.9.2023 Leipzig: um 18 Uhr im Felsenkeller, Karl-Heine-Straße 32 - ausverkauft
    23.9.2023 Berlin: um 17 Uhr in der Maigalerie der Tageszeitung junge Welt, Torstraße 6 - ausverkauft, Livestream unter jungewelt.de
    24.9.2023 Cottbus
    : um 18 Uhr im Café Zelig, Friedrich-Ebert-Straße 21

  • · Blog

    Entstehung eines Bildes

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    Zur Documenta 6 im Jahr 1977 in Kassel war ein 60 Meter langes und vier Meter hohes Wandbild der Brigade »Pablo Neruda« zu bewundern. Im Laufe der Gestaltung entstanden zahlreiche Skizzen und Entwürfe. Zu sehen sind diese nun anlässlich des 50. Jahrestages des Putsches in Chile in der Ausstellung »Das Wandbild der chilenischen Brigade ›Pablo Neruda‹ und seine Entstehung« in der Ladengalerie der jW in Berlin. Auf der Vernissage am Donnerstag referierten der Kulturpolitiker Gerald Warnke, die Kuratorin Paz Guevara und der Kunsthistoriker Carlos Gomes (Podium v. l. n. r.). Für Musik sorgte der Gitarrist Lautaro Valdes (vorn). (jW)

  • · Berichte

    »Da wurde enorme Schlagkraft entwickelt«

    Berlin: Ausstellung rekonstruiert Chile-Solidaritätsbewegung in der DDR und in der BRD. Ein Gespräch mit Sebastian Köpcke

    Interview: Nico Popp

    Am Montag wird im Berliner Kino Babylon aus Anlass des 50. Jahrestages des faschistischen Putsches in Chile die Ausstellung »El pueblo unido. Erinnerung an den 11. September 1973« eröffnet. Was genau erwartet die Besucher?

    Die Ausstellung wird zu den Öffnungszeiten des Kinos in den frei zugänglichen Räumen des Babylon gezeigt, also im Foyer und im Galerieraum. Wir können dort keine Originale zeigen, weil das wegen der Zugänglichkeit nicht versicherbar ist. Inhaltlich schauen wir nicht so sehr darauf, was am 11. September 1973 in Chile passiert ist. Diese Geschichte ist vielfach erzählt und dokumentiert worden. Uns hat interessiert, was danach im Rest der Welt geschah. Konkret: Was passierte in der Bundesrepublik und was in der DDR? Die Solidaritätsbewegung in der DDR hatte offiziellen Charakter und wurde zugleich für sehr viele Menschen zu einer wichtigen persönlichen Angelegenheit, die sich aus einer unmittelbaren Betroffenheit speiste. Letzteres war auch in Westdeutschland so, aber hier war die Solidarität Angelegenheit einer Gegenöffentlichkeit. Die Bundesrepublik spielte ja im Team Pinochet, wie man heute nachweisen kann. Und doch gab es im September 1973 schon nach wenigen Tagen in fast jeder westdeutschen Kleinstadt ein Chile-Komitee. Die haben Demonstrationen veranstaltet, Geld gesammelt und überhaupt erst die Aufnahme von Geflüchteten erzwungen. All das wird in der Ausstellung sichtbar.

    Indem Sie Dokumente dieser Solidaritätsbewegung zeigen?

    Ja. Wir haben da keine wissenschaftliche Ausarbeitung vorgelegt. Unsere Ausstellungstafeln sind knallbunt bestückt mit jeder Menge Material, das für sich spricht. Das wird jeweils ganz kurz mit ein paar Sätzen eingeordnet. Wir gehen davon aus, dass viele Besucher des Babylon, die dort auf unsere Ausstellung stoßen, schon einen politischen Kompass haben, um sich in der Problematik zurechtzufinden.

    Was ist denn mit Besuchern, die diese Ausstellung im Kino vorfinden, aber keinerlei Wissen über den Putsch mitbringen?

    Wir sind davon überzeugt, dass unser Konzept auch dann funktioniert, wenn Besucher kein Vorwissen haben.

    Lässt das Material aus Westdeutschland genauere Aussagen darüber zu, wer die Solidaritätsbewegung dort getragen hat?

    Das reichte von privatem Engagement, über die DKP, Gruppierungen, die aus der APO hervorgegangen waren, und linke Gewerkschafter bis hin zu Kirchenkreisen. Das war eine durchaus breite Bewegung. Man erkennt da auch, dass viele Menschen schon lange mit großen Hoffnungen das verfolgt hatten, was sich in Chile unter Allende entwickelte. Und um so größer war das Entsetzen, als man dann sah, mit was für einer Brutalität dieses Projekt zerstört wurde. Die Solidaritätsbewegung war auch recht lange lebendig – in einer analogen Zeit, in der es kein Internet, keine Handys und keine sozialen Netzwerke gab. Um so beeindruckender ist die enorme Schlagkraft, die damals entwickelt wurde.

    Haben Sie unterschiedliche Akzente in Ost und West ausgemacht?

    Für uns war eigentlich erstaunlich, wie nahe man sich da in den Inhalten war. Letztlich wollten wir da aber nichts bewerten oder gegeneinander ins Verhältnis setzen. Mit der Ausstellung wollen wir ganz konkret allen danken, die damals Solidarität gezeigt haben.

    Sie haben die Ausstellung auch mit Interviews von Zeitzeugen verknüpft. In welcher Form wurde das umgesetzt?

    Wir führen seit etwa einem Jahr diese Gespräche und wollen das auch weiterhin tun. In der Ausstellung stehen nun nicht überall Bildschirme, auf denen diese Interviews gezeigt werden. Wir haben diese Interviews auf unsere Webseite www.ok-projekt.de gestellt. Die kann man sich über QR-Codes erschließen. Aber das sind viele Stunden Material, die sich die wenigsten Besucher im Foyer des Babylon ansehen werden. Die Gespräche, durch die vieles sehr anschaulich wird, sind für uns ein Bestandteil der Ausstellung. Wir eröffnen sie am Montag mit einem kurzen Redebeitrag von Osvaldo Puccio, der 1973 in das Konzentrationslager auf der Dawson-Insel gesperrt wurde und dann bis 1984 in der DDR lebte. Nach dem Ende der Diktatur war er Minister, Botschafter und Präsident der Salvador-Allende-Stiftung. Im Anschluss gibt es eine filmische Wiederaufführung der Chile-Kantate »Mumien« der Kölner Politrockband Floh de Cologne aus dem Jahr 1974. Das ist unseres Erachtens ein Meisterwerk – ein Stück politischer Kunst mit einer sprachlichen Präzision, die man heute gar nicht mehr kennt.

    Sebastian Köpcke ist Gestalter, Autor und Fotograf; zusammen mit Claudia Opitz hat er die Ausstellung im Kino Babylon, die bis zum 25. Oktober gezeigt wird, realisiert

    Eröffnung: Montag, 11. September 2023, 18.30 Uhr, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin

  • · Berichte

    Die Geschichte gehört uns

    Volker Hermsdorf

    Chile erinnert an den faschistischen Staatsstreich gegen die gewählte Linksregierung unter Präsident Allende vor 50 Jahren

    Der von General Augusto Pinochet am 11. September 1973 angeführte Militärputsch war der Auftakt zum internationalen Siegeszug des Neoliberalismus. In Chile leitete er eine 17 Jahre dauernde faschistische Diktatur ein, in der Folter, »Verschwindenlassen«, Mord und Repression an der Tagesordnung waren. Um der Opfer zu gedenken, empfängt Chiles sozialdemokratischer Präsident ­Gabriel Boric an diesem Montag im Präsidentenpalast »La Moneda« zahlreiche Staats- und Regierungschefs. Dort nahm sich der sozialistische Präsident Salvador Allende vor 50 Jahren das Leben, nachdem die Putschisten das Gebäude gestürmt hatten.

    Absurderweise möchte Boric nun außer seinen Gästen und Vertretern antifaschistischer Parteien zum 50. Jahrestag auch ehemalige Unterstützer und bekennende Anhänger Pinochets für ein »Bekenntnis zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten« gewinnen. Damit beißt er bei den Rechten jedoch auf Granit, die den Staatsstreich rechtfertigen, statt ihn zu verurteilen. Während die Sympathiebekundungen für Folterer und Mörder folgenlos blieben, wurde eine Gruppe linker Studenten, die sich aus Protest dagegen eine Woche vor dem Jahrestag am Hauptsitz der unter Pinochet gegründeten Rechtspartei Unión Demócrata Independiente angekettet hatten, von Spezialeinheiten der Carabineros verhaftet. Bei der Festnahme kündigten die Aktivisten weiteren Widerstand unter dem Motto »Kein Vergeben – kein Vergessen« an.

    Das gelte auch für die Rolle der USA, die den Putsch vorbereitet und das faschistische Regime unterstützt hatten, um daraus ökonomischen Nutzen zu ziehen. Am Freitag übergaben der kommunistische Abgeordnete Luis Cuello und die Vorsitzende des Jugendverbandes der KP, Daniela Serrano, in der US-Botschaft ein Schreiben an Präsident ­Joseph Biden, in dem Schadenersatz für die Opfer des Putsches gefordert wird. Zwar spuke »das Gespenst Pinochets« noch immer in Chile, doch »auch Allende ist gegenwärtig«, kommentierte die spanische Journalistin Carmen Parejo Rendón auf RT dessen Präsenz im Alltag. Fast prophetisch hatte der gestürzte Präsident noch in seiner letzten Ansprache über Radio Magallanes am Morgen des Putsches optimistisch erklärt: »Man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen.«

  • · Berichte

    »Im ganzen Land wurden Lager errichtet«

    Annuschka Eckhardt

    Über Chile zum Zeitpunkt des faschistischen Putsches gegen die Regierung Allende und die Zeit danach. Ein Gespräch mit Günter Küpper

    Zum Zeitpunkt des Putsches des faschistischen Generals Augusto Pinochet gegen die Regierung der Unidad Popular und den gewählten Präsidenten Salvador Allende vor genau 50 Jahren arbeiteten Sie in der Botschaft der DDR in Santiago de Chile. Was bedeutet der 11. September für Sie?

    Es war ein einschneidender Tag. Ich habe den ganzen Putsch hautnah miterlebt, da ich zufällig wieder Nachtdienst hatte. Der Tag war schon insgesamt etwas unruhig, und ab zehn Uhr verdichteten sich die Hinweise, es könnte einen erneuten Putschversuch geben. Dem 11. September waren ja schon einige Anläufe vorangegangen. Ich hatte das Radio eingeschaltet und habe die ganze Nacht hindurch zugehört. Ich habe keine Minute geschlafen. Irgendwann kamen immer mehr Mitteilungen, dass von der Hafenstadt Valparaíso Seeleute auf die Hauptstadt Santiago zumarschieren. In den frühen Morgenstunden, so gegen vier, hieß es, es seien Panzer aus der Kaserne gefahren.

    Um sechs Uhr habe ich dann die Leitung informiert – das waren damals der Botschafter und der Handelsrat, dass es etwas Größeres sein könnte und sie zeitnah in die Botschaft kommen müssen. Ich erklärte ihnen, dass wir schnell handeln müssten, falls notwendige Maßnahmen zu ergreifen sind.

    Das klingt beängstigend! Was passierte dann?

    Am Vormittag ging alles Schlag auf Schlag: Erst waren Flugzeuge über Santiago zu sehen. Vom Botschaftsdach aus konnten wir sehen, wo die ungefähr hinflogen. Dann hörten wir die Einschläge in der Residenz von Präsident Allende, und in der »­Moneda«. Über das Radio wurde bekanntgegeben, dass Allende in »La Moneda«, dem Präsidentenpalast sei. Diese sei von Panzern umstellt, und es werde geschossen. Dann wurde von Pinochet der Befehl gegeben, Allende solle mit allen Mitarbeitern rauskommen. Allende hat als Staatspräsident alle Beschäftigten aufgefordert, sich den Putschisten zu ergeben und ist mit den Worten »mich kriegen sie nicht« drinnen geblieben. Kurz darauf wurde verkündet, Allende sei tot, er habe sich erschossen. Das war für uns eine furchtbare Mitteilung. Tragisch!

    Wie hat die Botschaft auf diesen Schock reagiert?

    Wir mussten natürlich reagieren und tausende Sachen in die Wege leiten. Das erste war: Wie sichern wir alle Mitarbeiter, und wie holen wir die Leute nach Santiago, die außerhalb sind? Dann die Frage: Wie können wir helfen? Wo müssen wir dafür hin – kommen die Autos überall hin? Es musste alles organisiert werden. Ich habe die gesamte Administration gemacht. Alles, was sich bewegte in der Botschaft, ging über meinen Tisch oder lief über meine Mitarbeiter.

    Die Regierung der Unidad Popular veränderte vieles zu der Zeit in Chile. Welche von Salvador Allendes Entscheidungen bewerten Sie aus heutiger Sicht als sinnvoll?

    Der ganze Zug, der in Bewegung gebracht wurde, war sinnvoll. Das war ein bisschen wie Kuba, das war ein bisschen Sowjetunion, das war ein bisschen von uns. Allende hatte Ahnung, er war ja schon zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat angetreten. Er war kein Neuling und wollte einen demokratisch sozialistischen Staat aufbauen. Doch er stand inmitten von Raubtieren: Die USA und ihre Handlanger waren überall. Deshalb musste sich die Unidad Popular durchkämpfen. In der ersten Phase, die ich bewusst erlebt habe in den Jahren 1972/73, gab es viele Erfolge und eine große Begeisterung im Land. Es wurde alles umgestaltet. Die Jugend lernte, die Studenten lernten. Die Menschen waren so begeistert.

    Auch außerhalb Chiles?

    Die westliche Welt konnte gar nicht so schnell reagieren, so rasant wie Chile sich veränderte und entwickelte. Was das Schlimmste für das Kapital war: Die beiden Kupferminengesellschaften der USA wurden verstaatlicht. Das war von Allende planmäßig vorbereitet worden, damit das Vermögen im Land bleiben konnte. Chile sollte den Chilenen gehören, das war sein Credo. Aus Sicht der Vereinigten Staaten war das schrecklich, denn sie nutzten Lateinamerika als Vorratskeller. Heute ist das für sie nicht mehr nur Südamerika, heute rauben sie Ressourcen weltweit. Damals war das also ein richtiger Schlag, davon mussten sich die USA erst mal erholen. Unmittelbar begannen sie, dagegen zu kämpfen, verbreiteten Lügen und haben die Leute aufgehetzt. Die CIA verteilte Gelder an Privatpersonen und Unternehmen für Aktionen gegen Allende. Es gab beispielsweise organisierte Straßenblockaden. Korrumpierte Lkw-Fahrer haben die Panamericana dicht gemacht und Reifen angezündet. Die ganzen sogenannten Streiks, die stattfanden, waren von den USA geplant und finanziert.

    Welche Auswirkungen hatten diese US-finanzierten Aktionen?

    Durch die Straßenblockaden und Streiks wurde auch in Santiago das Essen verknappt, die Verkehrsmittel wurden eingeschränkt. Mit unseren Diplomatenfahrzeugen war es uns noch möglich einzukaufen, was es in der Stadt sonst nicht mehr gab. In der Hauptstadt lebte ein Drittel der chilenischen Bevölkerung, und es hieß, wer Santiago in der Hand hat, hat das Land in der Hand.

    Das eigentliche Ziel der Reaktion war, Chaos zu verbreiten. Dadurch hatte die Junta dann die Möglichkeit, Allende zu unterstellen, er könne den Staat nicht leiten, und das Militär müsse einschreiten. Das war das Ziel der USA und ihrer Verbündeten. Die Reaktion der ganzen Welt richtete sich geballt gegen Chile und gegen die Solidarität mit Allendes Regierung. Diese Solidarität war zwar sehr groß, aber sie konnte den faschistischen Putsch nicht verhindern.

    Übrigens: Die Flugzeuge, die über Santiago flogen, waren von der BRD geschickte Luftakrobaten. Diese haben Aufnahmen gemacht, was wo bombardiert werden könnte. Davon habe ich Bilder, die Flugstaffel habe ich fotografiert. Ich bin im Nachgang des Putsches auch oft gefragt worden: »Habt ihr Waffen gehabt«?

    Und? Hatten Sie Waffen?

    Also, ich weiß bloß, dass der kubanische Botschafter ein MG hatte. Aber was soll sowas gegen Panzer bringen? Da hat unser Botschafter zu ihm gesagt »Lasst den Unsinn!« Und die Kubaner haben auf die DDR gehört. Aber was wäre gewesen, wenn wir Waffen gehabt hätten? Die Finnen haben immer gemutmaßt, wir hätten ein riesiges Arsenal Waffen in der Botschaft. Mein Freund, der finnische Vizekonsul, wollte immer wissen, was wir im Keller haben. Dann hat ihm ein Genosse von der Staatssicherheit den Keller mal gezeigt, damit sich das Thema endlich erledigt (lacht).

    Sie haben eben gesagt, dass es bereits vereitelte Putschversuche gegeben hatte. Hatten Sie denn in den Wochen und Tagen davor eine böse Vorahnung?

    Die Möglichkeit eines Putsches bestand immer. Das wussten wir, das wusste Allende, das wussten alle. Nur wie genau er angezettelt werden würde, das wusste niemand.

    Heute ist klar, dass die USA und der Auslandsgeheimdienst CIA ihre Finger im Spiel hatten. Was wussten Sie damals darüber?

    Wir wussten, dass die großen Konzerne, die in Chile sind, natürlich mit den USA zusammenarbeiten. Die Kupferminen wurden ja, wie gesagt, enteignet. Uns war natürlich auch klar, dass die USA das nicht so ohne weiteres hinnehmen würden. Wir haben damit gerechnet, dass sie darauf hinarbeiten würden – und hinarbeiteten –, Chaos zu verbreiten.

    Auf den Putsch folgte eine dreitägige Ausgangssperre …

    Wir hielten uns in der Botschaft und unserer Schule, außerdem in Wohnungen auf. Im Land wurde geschossen – Tag und Nacht: Pinochets Anhänger mussten jede Nacht ihre Gewehre leer schießen. Um unsere Botschaft herum waren Scharfschützen stationiert und konnten von dort aus den Hof des Gebäudes überwachen. Im »Notfall« hätten sie auch von dort oben in die Botschaft schießen können.

    Was hat die Militärjunta mit Kommunisten gemacht?

    Sie wurden eingesperrt und ermordet. Wenn wir in die Stadt gefahren sind, waren immer Leichen im Mapocho (Fluss durch Santiago, jW) zu sehen. Die haben die Leute ganz einfach umgebracht. Bei uns suchten Verfolgte, die mit dem Tod bedroht waren – das betraf Minister, Senatoren, Künstler sowie den Schwiegersohn von Erich Honecker – Schutz. Später kamen dann auch Menschen, die zuerst in Konzentrationslagern gefangen waren und irgendwie rausgekommen sind.

    Also sind Leute aus den Konzentrationslagern in die Botschaft als politische Geflüchtete gekommen?

    Ja. Die haben schreckliche Sachen erzählt! Im ganzen Land wurden Lager errichtet. Für mich ganz persönlich das dramatischste war die Ermordung eines unserer Fahrer. Den hatte ich eingestellt, ein ganz toller Typ. Er hatte ein Kleinkind, das war etwa ein Jahr alt. Eine Woche nach dem Putsch kam seine Frau, ganz in Schwarz, mit dem Kind zu mir. Sie hatte ihren Mann drei Tage lang gesucht und dann erschossen in einer Avenida gefunden, auf dem Mittelstreifen.

    Die meisten Mitarbeiter der Botschaft reisten ab, Sie aber blieben.

    Am 17. September 1973, knapp eine Woche nach dem Putsch, flog ein Flugzeug mit den führenden Mitarbeitern, dem Botschafter, Gesandten und politischen Mitarbeitern, nach Hause. Der Rest wurde am 23. September zurück nach Berlin geflogen. Ich musste bleiben, weil ich die Unterschriftsberechtigung in den chilenischen Banken hatte. Ich habe dadurch verfolgen können, wie Pinochet das Land verkauft hat. Er hat alles zu Geld gemacht: selbst das Wasser, die Wasserläufe wurden durch die Putschregierung verkauft.

    Gab es Ideen und Strategien der SED, auf den Staatsstreich zu reagieren?

    Na, wir haben die diplomatischen Beziehungen unterbrochen, weil ein DDR-Bürger misshandelt wurde. Damit wurden die Beziehungen weitestgehend eingestellt. Dann haben wir uns darum gekümmert, Verfolgte zu schützen und außer Landes zu bringen, die bei uns Asyl suchten.

    Wie viele Leute suchten Schutz in der Botschaft?

    Ich habe insgesamt 127 Personen betreut, die sich zu uns geflüchtet hatten. Mit den letzten sechs habe ich sieben Monate zusammengelebt, wie eine Familie. Darunter war Allendes Anwalt, es waren viele Kommunisten und Künstler. Die meisten der geflüchteten Chilenen konnten nach und nach in die DDR ausfliegen, und sie waren dort dann in Sicherheit. Mit den sechs bis zuletzt in der Botschaft Verbliebenen haben wir uns richtig angefreundet und hatten auch später in der DDR noch Kontakt.

    Günter Küpper war von 1972 bis 1977 Leiter der Administration in der DDR-Botschaft in Chile

  • Carlos Gomes (*1981) kam in Bonn zur Welt und lebt und arbeitet heute als Kunstwissenschaftler in Berlin. Aufgewachsen in einem progressiven Elternhaus, hat er einen Blick für besondere Themen. Nach seinem Buch »Lenin lebt. Seine Denkmäler in Deutschland«, hat er in sich in seinem neuen Buch den Zeugnissen zugewandt, die als Reaktion auf Pinochets Militärputsch entstanden – »CHILE 1973. Denkmäler und Wandbilder in DDR und BRD«, das im Juli im Verlag 8. Mai erschienen ist.

    In Vorbereitung der Ausstellung »EL PUEBLO UNIDO« im Berliner Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz ihres OK-Projektes hatten Claudia Opitz und Sebastian Köpcke Gelegenheit, mit Carlos Gomes zu sprechen. Das Video ist auf ihrem Youtube-Kanal zu sehen.

    Mehr Informationen: www.ok-projekt.de | www.chile1973indeutschland.org

    Der Bildband »CHILE 1973. Denkmäler und Wandbilder in DDR und BRD« ist im jW-Shop für 19.90€ erhältlich. Es gibt noch einige wenige Subskriptionsexemplare für . Die Subskriptionsausgabe ist auf 99 Exemplare limitiert. Sie ist vom Autor handsigniert. Zusätzlich erhält der Subskribent einen Farbdruck einer Vorarbeit aus der Werkstatt des chilenischen Malers Boris Eichin, der damals in Westdeutschland die Künstlerbrigade »Salvador Allende« mitgründete.

    Subskriptionsexemplar hier bestellen.

  • Die Brigaden »Pablo Neruda« und »Salvador Allende« vor dem gemei
    Die Brigaden »Pablo Neruda« und »Salvador Allende« vor dem gemeinsamen Wandbild in Kassel 1977

    Die Ausstellung in der Maigalerie präsentiert eine Auswahl seltener Kreide- und Bleistiftzeichnungen, Vorarbeiten und freien Gedankenskizzen sowie einen verkleinerten Nachdruck (12 m Breite) des Wandbildes.

    Paz Guevara* (Kuratorin Haus der Kulturen der Welt, Lehrbeauftragte Kunsthochschule Weißensee), Gerald Warnke* (Chile Solidaritätsbewegung der BRD), Carlos Gomes (Kunstwissenschaftler, Autor von Chile 1973 – Wandbilder und Denkmäler aus der DDR und BRD) sprechen zur Eröffnung der Ausstellung über die Entstehung und Motivation der Künstleraktion und die Bedeutung des Wandbildes in der Chilesolidarität auf der documenta 6, 1977 in Kassel.

    *Paz Guevara (geboren in Santiago, Chile) ist eine Kuratorin, Autorin, Forscherin und Pädagogin, die sich für die Schaffung offener Räume interessiert. Sie ist Kuratorin für Ausstellungspraxis am Haus der Kulturen der Welt (HKW), Berlin. Sie ist Teil des kuratorischen Ensembles von Archive, Berlin, und Dozentin im MA Spatial Strategies an der Weißensee Kunsthochschule Berlin. Sie ist Ko-Kuratorin der Ausstellung O Quilombismo im HKW, Berlin, 2023; Kuratorin der Ausstellung Transition, Brücke-Museum, Berlin, 2021-22; Kuratorin des Projekts Afro-Sonic Mapping von Satch Hoyt, HKW, 2019; und Ko-Kuratorin von Parapolitics, HKW, 2017-18. Im Jahr 2016 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts Past Disquiet mit einer Untersuchung zur Solidaritätsbewegung. In diesem Zusammenhang arbeitete sie mit Gerald Warnke und Franz Lehmkuhl zusammen, sie führten gemeinsam die Veranstaltung "Antifaschistische Kunstbrigaden und Solidaritätsbewegung in den 1970er Jahren" im HKW, Berlin, und anschließend im Museo de la Solidaridad Salvador Allende in Santiago, Chile, durch.

    *Gerald Warnke ist Aktivist, Kulturpolitiker und Netzwerker. Im Rahmen der Antiimperialistischen Solidaritätsbewegungen der 1970er Jahre engagierte er sich besonders zu Chile und Vietnam, heute steht die Solidarität mit dem revolutionären Kuba im Mittelpunkt. Er realisierte thematische Filmreihen wie eine Woche proletarisch-revolutionärer Filme, eine Antifaschistische und eine Sowjetischen Filmwoche, Filme im antiimperialistischen Kampf und Filme aus der 3. Welt. Unmittelbar nach dem Militärputsch in Chile 1973 organisierte er eine Chilenische Filmwoche. Am Rande der documenta 6 in Kassel im Jahr 1977 organisierte er mit Unterstützung der Jugendbrigade Salvador Allende und deutschen Kunststudent*innen die Produktion eines Murales auf dem Theatervorplatz in Kassel, gemalt von der antifaschistischen Malerbrigade Pablo Neruda aus chilenischen Künstler*innen im Pariser Exil, darunter José Balmes, Gracia Barrios, Guillermo Nuñez. Seit Beginn der 80er Jahre ist er in der Friedensbewegung aktiv und engagiert sich in verschiedenen Bündnissen im Kampf gegen Neonazis.

    Musik: Lautaro Valdes (Chilenischer Künstler)

    Zur Finissage am Sonnabend, 23. September, werden Amanda Jara und Yolanda Marisol Palma zu Gast sein, weitere Informationen hier.

    Ort: Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin
    Einlass: 18 Uhr, Beginn: 19 Uhr
    Eintritt: 5 € Normalpreis/ 10 € Solipreis

    Um Anmeldung per E-Mail an maigalerie@jungewelt.de oder telefonisch unter 030/ 53 63 55 68 wird gebeten.

    Veranstaltung auch im Livestream unter jungewelt.de

  • documenta 6
    documenta 6, Wandbild Brigade »Pablo Neruda« und Brigade »Salvador Allende«

    Weitestgehend reizlos zeigte sich die documenta 6 im Jahr 1977 in Kassel. Vor den Toren jedoch zwischen Fridericianum und Orangerie, zum Unmut der Leitung, wurden die Besucher mit einem riesigen Wandbild der chilenischen Malbrigade »Pablo Neruda« konfrontiert. Im 60 Meter langen und fast 4 Meter hohen Bild finden sich als Hommage Motive der Brigade »Ramona Parra«, der wichtigsten Keimzelle der Bewegung der chilenischen Malkollektive gegen den faschistischen Putsch 1973 in ihrem Land.

    Im Prozess der Gestaltung entstanden über mehrere Tage hinweg viele Skizzen und Ideen, die schlussendlich zum Gesamtkunstwerk führten. Im Besonderen freuen wir uns sehr, eine Auswahl dieser seltenen Kreide- und Bleistiftzeichnungen, Vorarbeiten und freien Gedankenskizzen präsentieren zu können.

    Ausstellungszeitraum: 7. bis 23. September 2023
    Ort: Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin
    Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag von 13 bis 18 Uhr

    Am Sonnabend, 23. September, laden wir zur Finissage ein.

  • Victor_Jara_Konzert_1100_526px.png

    Chile, 16. September 1973. Faschisten ermorden den chilenischen Sänger und Kommunisten Víctor Jara. In seinem Gedenken veranstaltet die Tageszeitung junge Welt ein Konzert. Künstlerinnen und Künstler verschiedener musikalischer Traditionen werden das Publikum durch die chilenische Geschichte führen.

    Sonnabend, 16. September 2023
    19 Uhr (Einlass: 18 Uhr)
    Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, Berlin
    Eintritt: 25,00 Euro, ermäßigt: 13,00 Euro, Solidaritätspreis: 39,00 Euro

    Die Veranstaltung ist ausverkauft.

    Mit folgenden Künstlerinnen und Künstler:

    Calum Baird

    Nicolás Rodrigo Miquea

    Pablo Miró

    Yaima Orozco

    Duo Yarawi (Tobias Thiele & Aruma Itzamaray)

  • Eine Ausstellung im Kino Babylon

    Bomben auf die Moneda, die letzte Rede von Salvador Allende, Panzer in den Straßen von Santiago, Hinrichtungen im Nationalstadion – der Militärputsch in Chile war das erste politische Großereignis, an das wir uns seit unserer Kindheit bewusst erinnern. Der orchestrierte Staatsstreich erscheint uns als Blaupause für vieles, was seither immer wieder im Namen der Freiheit geschah. Dieser Putsch führte das Land in eine 17 Jahre dauernde Finsternis. Tausende – vornehmlich Menschen aus dem linken politischen Spektrum – wurden gejagt, inhaftiert, gefoltert oder ermordet. Viele blieben verschwunden. Millionen Menschen auf der ganzen Welt waren erschüttert und doch gleichzeitig solidarisch. Viele verfolgte Chileninnen und Chilenen fanden Zuflucht im Exil. Auch in der DDR und der BRD gab es eine große Solidaritätsbewegung, wenn auch durch ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich motiviert und initiiert. Mit der Ausstellung »El Pueblo unido – Erinnerungen an den 11. September 1973« des OK Projekts soll der Solidariät in dramatischer Zeit gedacht werden.

    Ausstellungseröffnung: 11. September um 18:30
    Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin

    Zur Ausstellung gibt es Filmdokumentationen mit Kunstschaffenden, online abrufbar unter dem Youtube-Kanal des OK Projekts

    Weitere Informationen: https://www.ok-projekt.de/

  • venceremos victor jara vive1100x526 NEU NEU.png

    »Te Recuerdo, Amanda« (»Ich erinnere mich an dich, Amanda«) ist vielleicht das bekannteste Lied des nur wenige Tage nach dem Militärputsch 1973 getöteten Sängers Víctor Jara (1932–1973). Seine Tochter Amanda Jara wird zusammen mit der Musikerin Yolanda Marvel auf der Finissage der Ausstellung zu Gast sein. Sie erinnern an den legendären Folksänger, Theaterregisseur und Kommunist, der mit seiner Musik den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende unterstützte. Seine Lieder sind noch immer und nicht nur in Chile sehr lebendig. Seinen Mördern gelang es nicht, die Erinnerung an Víctor Jara auszulöschen.

    Ort: Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin
    Einlass: 16 Uhr; Beginn: 17 Uhr
    Eintritt: 5 € Normalpreis/ 10 € Solipreis

    Um Anmeldung unter maigalerie@jungewelt.de wird gebeten.

    Veranstaltung auch im Livestream unter jungewelt.de

  • 1100x526-Neruda-und-Lateinamerika.png

    Südamerika in Unruhe, die zum Aufruhr führen kann, zum Umschlag von Protesten in militärische Gewalt – wie bereits vor Jahrzehnten und in den vergangenen Jahrhunderten. Die Kämpfe und Leidenswege haben in Berichten, in Dichtung und Musik Ausdruck und weltweit Anklang gefunden.

    Das Duo Aruma Itzamaray und Tobias Thiele begleitet den Schauspieler Rolf Becker auf eine Reise durch das Neue Lied Lateinamerikas. 1971 in Chile geboren erlebte Aruma die Pinochet-Diktatur hautnah und singt seit ihrer Jugend die Lieder der Nueva Cancion. Der Berliner Liederschreiber und Theatermusiker Tobias Thiele wuchs mit der Musik Lateinamerikas auf und erforschte sie bei seinen zahlreichen Aufenthalten in Kuba, Mexiko, Chile und Perú. Texte von Pablo Neruda, Lieder von Violetta Para, Víctor Jara, Daniel Viglietti, Circe Maya, Quila Payun.

    Von und mit Rolf Becker und dem Duo Aruma Itzamaray & Tobias Thiele.

    Ort: Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin
    Einlass: 18 Uhr; Beginn: 19 Uhr
    Eintritt: 5 Euro Normalpreis, 10 Euro Solipreis

    Um Anmeldung per E-Mail an maigalerie@jungewelt.de oder telefonisch unter 030/53 63 55 68 wird gebeten.

    Veranstaltung auch im Livestream unter jungewelt.de

  • Soli mit Chile.png

    Rudolf Herz und Frank Schumann sprechen über eine Rettungsaktion von chilenischen Genossinnen und Genossen. Beide waren mit ihren Aufsätzen in der von Gotthold Schramm herausgegebenen Textsammlung »Flucht vor der Junta: DDR-Rettungsaktionen zur Rettung von Antifaschistinnen und Antifaschisten aus Chile« vertreten. (Edition Ost, Berlin 2005)

    Rudolf Herz war Offizier der Auslandsaufklärung im MfS der DDR im besonderen Einsatz (OibE), Dienstgrad: Major. In Chile war er von 1973 bis 1975 und 1978 bis 1983 im Einsatz. Im September 1973 wurde er mit dem Decknamen »Benz« nach Santiago de Chile geschickt, um beispielsweise die Ausschleusung von Carlos Altamirano über die Anden nach Argentinien zu organisieren. Dieser war der Generalsekretär der Sozialistischen Partei und Freund Allendes. Die Rettung von Funktionären der Unidad Popular und anderer verfolgter Chilenen war in Berlin geplant und vorbereitet worden. Mit präparierten Autos brachte man sie außer Landes. Rudolf Herz berichtet bei der Veranstaltung detailliert über die Rettungsaktion.

    Frank Schumann ist Publizist und Verleger. Er gründete 1991 die »edition ost«. Schumann war beim Putsch 1973 Steuermann auf dem MSR »Wittstock« und meldete sich als Freiwilliger zu den Internationalen Brigaden, die es dann aber nicht gab. Dienstgrad: Oberleutnant zur See d.R. Ein Interview mit Frank Schumann zum Putsch in Chile und der Veranstaltung finden Sie hier.

    Moderation: Arnold Schölzel (jW)

    Die Aufzeichnung der Veranstaltung können Sie hier ansehen.

  • Ausstellung in der Maigalerie der jungen Welt von Nachdrucken ch
    Ausstellung in der Maigalerie der jungen Welt von Nachdrucken chilenischer Siebdrucke

    Im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum 50. Jahrestag des faschistischen Putsches in Chile wird eine kleine Auswahl von Nachdrucken chilenischer Siebdrucke im Originalformat präsentiert, die unter dem Titel »Das Volk hat Kunst mit Allende« entstanden sind. Diese Sammlung wurde im Präsidentschaftswahlkampf 1970 von einer Wählerinitiative der bildenden KünstlerInnen der Unidad Popular zur Unterstützung von Salvador Allende als Wahlbeitrag zusammengestellt und in siebzig Städten Chiles gezeigt.

    Die 1973 angefertigten Nachdrucke wurden zum Verkauf angeboten, deren Erlös ging an vom Militärregime verfolgte ChilenInnen. Die Originale und die Nachdrucke entsanden unter dem Motto »Kunst verbreiten und die gerechte Sache der chilenischen Volkseinheit stärken«.

    Die Ausstellung war vom 11. Mai bis 25. August in der Maigalerie der jungen Welt zu sehen.

  • 1100x526 Gomes-Chile 1973.png

    Am 13. Juli 2023 stellte der Autor Carlos Gomes sein aktuelles Buch in der Maigalerie der jungen Welt vor.

    Der Putsch in Chile im September 1973 ist bis heute im Gedächtnis der Weltgesellschaft lebendig. Neben dem Massenmorden der US-Army in Vietnam war dieser Gewaltakt gegen die gewählte sozialistische Regierung von Dr. Salvador Allende mit tausenden Toten eine weitere Gräueltat unter Führung des US-amerikanischer Geheimdienstes CIA.

    Carlos Gomes spürte in jahrelangen Recherchen die in DDR und BRD entstandenen Monumente auf. Besonderes Interesse entwickelte er für die von exilchilenischen Kunstbrigaden gemalten Wandbilder, den Murales. 27 Denkmäler und Wandbilder werden großzügig bebildert und mit einem Text zur Entstehung und Bedeutung eines jeden Monuments ergänzt. Ein Kapitel handelt von verschwundenen Wandbildern, die mit einzigartigen historischen Fotos dokumentiert werden.

    Die Aufzeichnung der Veranstaltung kann hier angesehen werden.

  • · Berichte

    Bildreportage: Aufbruch und Exil. Chile in der DDR und BRD

    Carlos Gomes

    Ich erinnere mich daran, in meiner Kindheit im Elternhaus die Lieder von Víctor Jara sowie von den exilchilenischen Musikgruppen Quilapayún und Inti-Illimani gehört zu haben. Auch wenn mir ihr tieferer Sinn erst einmal entging, bezauberten mich die Melodien, der leidenschaftliche Gesang und die Virtuosität der Gitarren- und Flötenspieler, die die Musikanlage wiedergab.

    Davon abgesehen, dass ich weiterhin revolutionäre chilenische Musik hörte, hatte ich mein Leben lang keinen besonderen Bezug zu Kultur und Geschichte des schmalen Andenstaats. Bis ich vor wenigen Jahren im Rahmen eines Forschungsprojekts auf einige der chilebezogenen Gedenkstätten des Allende-Viertels in Berlin-Köpenick stieß: die Büste Salvador Allendes, die Gedichttafel zu Ehren Pablo Nerudas und die Statue vom musizierenden Víctor Jara.

    Vor dem Standbild Jaras stehend, hielt ich inne und hörte in meinem Kopf die Akkorde meiner Kindheits- und Jugendlieder. Die Zusammenhänge waren für mich allerdings noch nicht ganz klar. Ich fragte mich, warum im Pausenhof einer Köpenicker Schule der chilenische Musiker stand, den ich seit meiner Kindheit auf den Schallplattenhüllen meiner Eltern gesehen hatte. Ich beschloss, der Sache nachzugehen.

    Das Thema war fesselnd und ich befasste mich tiefer mit der Aufbruchstimmung im Chile der 1960er Jahre, dem Wahlsieg Allendes 1970, der brutalen Machtergreifung durch das Militär 1973 und dem darauffolgenden Exil Tausender Chileninnen und Chilenen. Allmählich schlossen sich einige Kreise: Ich begann die Anspielungen und Botschaften der Kampflieder genauer zu verstehen und begriff die enorme Bedeutung der Chile-Solidarität auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze und somit den Ursprung der Statuen, Büsten, Skulpturen, Gedenktafeln und Wandbilder zu Ehren der Opfer des Staatsstreichs.

    Zum 50. Jahrestag des Putsches erscheint nun dieses Buch. Es lädt Interessierte zu einer Zeitreise durch die deutsch-chilenische Geschichte ab den späten 1960er Jahren ein: von der Beziehung der sozialistischen Regierung Allendes zu BRD und DDR über die Unterdrückung der progressiven Kräfte in Chile und das Exil in beiden deutschen Staaten bis zum aktiven Widerstand gegen die Militärjunta während der 17 Jahre währenden Diktatur Augusto Pinochets. Der Leitfaden dieser Reise sind die in der DDR und BRD entstandenen Denkmäler und Wandbilder, in denen sich das Leid, der Kampfgeist und die Hoffnung der chilenischen Bevölkerung widerspiegeln.

    Dieser Beitrag erschien zuerst am 8. Juni in der Tageszeitung junge Welt.

  • Chile_Veranstaltung_Ladengalerie_1100_526px-1.png

    Die Veranstaltung fand am 29. Juni 2023 in der vollbesetzten Maigalerie der jungen Welt in Berlin statt.

    Einen Bericht in der jungen Welt lesen Sie hier. Eine ausgearbeitete Fassung des Referats von Jürgen Lloyd können Sie hier noch einmal nachlesen.

    Den Mitschnitt der Veranstaltung können Sie sich hier ansehen.

    Auf der Veranstaltung sollen der Pinochet-Putsch und die Militärdiktatur in Chile als brutalste Form bürgerlicher Herrschaft zur Durchsetzung der Interessen des US-amerikanischen Monopolkapitals analysiert werden. In Anlehnung an Überlegungen von Reinhard Opitz werden ihre Spezifika als »exportierter Faschismus«, der nicht über eine Massenbasis verfügte, in ein abhängiges Land und die Rolle westlicher neoliberaler Ökonomen in den Fokus genommen.

    Beleuchtet werden soll auch der Einfluss des Hitlerfaschismus. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren viele führende Nazis mit Hilfe US-amerikanischer Geheimdienstbehörden über die »Rattenlinien« nach Südamerika gekommen und unterstützten rechte Diktaturen. Der Schlachtfliegerheld Hans-Ulrich Rudel, der als Militärberater und Waffenbeschaffer fungierte, war nur einer von vielen deutschen Terrorhelfern Pinochets. Die Beifallsbekundungen, wie »Drei Jahre Marxismus sind der Armee genug«, sowie Legitimierungs- und Verharmlosungsversuche durch das Establishment von Politik und Medien, die die faschistische Herrschaft in Chile als »Notmaßnahme« und »kleineres Übel« abtaten, verweisen auch eindrücklich auf konservierte Elemente des Nazismus in der bürgerlichen Demokratie der Bonner Republik.

    In der Berliner Republik kooperiert der deutsche Imperialismus, diesmal im NATO-Bündnis, seit dem Euromaidan und Beginn des Krieges gegen Russland wieder mit Banderisten und anderen gefährlichen Faschisten in der Ukraine, deren Vorgänger sich in den 1930er-Jahren als gelehrige Schüler von Alfred Rosenberg und Co erwiesen hatten. Das wirft dringliche Fragen auf, die zur Diskussion gestellt werden sollen: Wie können faschistische Kontinuitäten und Rechtsentwicklungen vor allem in der gegenwärtigen deutschen Außenpolitik sowie deren unheilige Allianzen erkannt werden und wie muss der Antifaschismus ihnen begegnen – ohne falsche Etikettierungen vorzunehmen?

    Antifaschisten in Deutschland – die auf den Schultern großer Theoretiker stehen, welche noch die Werkzeuge der Wissenschaft und Weltanschauung des Marxismus anzuwenden wussten – finden sich heute vor der größten Herausforderung seit 1945. Die Auseinandersetzung mit der traumatischen Chile-Erfahrung der internationalistischen Linken kann wichtige historische und politische Koordinaten zur Orientierung liefern, die vor den tragischen Irrtümern und der (Kriegs-)Propaganda der derzeit hegemonialen und sogar in antifaschistischen Organisationen grassierenden liberalen Faschismustheorien bewahren können.

    Vorträge und Podiumsgespräch: Jürgen Lloyd (Marx-Engels-Stiftung) und Susann Witt-Stahl (Melodie & Rhythmus, junge Welt).
    Moderation: Arnold Schölzel (junge Welt)

  • Salvador Allende, chilenischer Präsident in Valparaiso, undatier
    Salvador Allende, chilenischer Präsident in Valparaiso, undatiert

    Am 11. Mai 2023 fand die ausverkaufte Auftaktveranstaltung in der Maigalerie der jungen Welt statt.

    Erinnert wurde an einen neuen Weg, der in drei großen Jahren, 1970 bis 1973, beschritten wurde. Einen friedlichen, parlamentarischen, unblutigen, den »chilenischen Weg«, auf dem zum ersten Mal in der Welt 1970 ein sozialistischer Präsident demokratisch gewählt wurde, der Arzt Dr. Salvador Allende. Der Glaube an den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, ohne Zerschlagung der alten Strukturen, erwies sich als tödlich. 40.000 Chileninnen und Chilenen wurden Opfer der Pinochet-Diktatur. Folterer und Mörder wurden nicht bestraft.

    Mit Gina Pietsch (Gesang) und Fabio Costa (Klavier).

    Rezension zur Veranstaltung in der jungen Welt vom 13.05.23

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