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Aus: Migration, Beilage der jW vom 18.06.2025
Migration

Bestelltes Menschenmaterial

Politik und Rassismus gegen Asylsuchende überschatten den wachsenden Hunger des Kapitals nach ausländischen Arbeitskräften. Von Marc Bebenroth
Von Marc Bebenroth
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Jahr für Jahr: Saisonarbeiter schleppen Material auf dem Feld einer Ziegelei in Bangladesch (Dhaka, 3.12.2022) Die Seiten dieser Beilage zur Tageszeitung junge Welt sind illustriert mit Aufnahmen, die Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus verschiedenen Teilen der Erde zeigen.

Das erste Mal fiel Gonzales unangenehm auf, als er sich nicht in die Gastarbeiter-Baracke stapeln ließ. (…) Das sechste Mal fiel Gonzales unangenehm auf, als er sich nicht als Streikbrecher einsetzen ließ.Floh de Cologne (»Lucky Streik«, 1973)

Das rabiate Vorgehen gegen Asylsuchende und andere »irregulär« Eingewanderte lenkt davon ab, wie unabkömmlich diese Menschen für das Kapital sind. Mitunter stoßen die Absicht, möglichst viele Migranten demonstrativ außer Landes zu schaffen, und die Ausbeutung ausländischer Arbeiter frontal aufeinander. So betonte die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, am 13. Juni bei einer Pressekonferenz, dass es der kalifornischen Metropole nicht nur um »Vielfalt« und darum gehe, die »Einwandererbevölkerung willkommen zu heißen«. Man zelebriere auch, dass es »Sektoren unserer Wirtschaft gibt, die ohne die Arbeit von Einwanderern nicht funktionieren würden«.

Zuvor hatte die US-Regierung in Washington Truppen nach L. A. entsendet, um die Proteste gegen ihre Politik niederzuringen und bei den Festnahmen durch die oberste Abschiebebehörde zu assistieren. Die Bürgermeisterin der kalifornischen Stadt Ventura, Jeannette Sanchez-Palacios, hatte dazu am 11. Juni bei einer Pressekonferenz betont, wie abhängig die Landwirtschaft der Region von Arbeitsmigranten ist: »Wenn unsere Arbeitskräfte in Angst leben« – aufgegriffen und deportiert zu werden –, »werden die Felder nicht abgeerntet«.

Der bewaffneten Eskalation durch Präsident Donald Trump ging die fiskalische voraus. Mit einer Haushaltsvorlage will seine Administration das Militär und die Behörde United States Immigration and Customs Enforcement (ICE) weiter aufrüsten, wie Alex Favalli berichtet. Im Vergleich zu ihrem »großen Bruder« fährt die deutsche Bundesregierung keine konfrontative, sondern eher eine Sowohl-als-auch-Strategie im Umgang mit Zuwanderung. Das Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) setzt auf Entrechtung und Verunsicherung der Betroffenen. Ohne Rücksicht auf Einzelfallentscheidungen der Justiz ist das erklärte Ziel von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. Auf der anderen Seite gehört ebenso zum Regierungsprogramm von Union und SPD, dass die BRD »ein einwanderungsfreundliches Land« bleiben soll, wie Niki Uhlmann ausführt.

Besonders »freundlich« ist die BRD gegenüber jenen, die systematisch auf den Äckern der Republik Gemüse ernten. Sie machen sich den Rücken krumm und werden wieder in ihr Herkunftsland geschickt, sobald die Ernte eingebracht ist. Unter welchen Bedingungen die oft aus Osteuropa angeheuerten Saisonarbeiter derweil hausen müssen und weshalb es den Agrarbetrieben ein leichtes ist, sie um den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn zu prellen, erklärt Max Ongsiek.

Ein Blick in die Ferne verrät, welche Dimension die systematische Ausbeutung billiger Lohnsklaven aus Südostasien mittlerweile angenommen hat. Ein regelrechtes Paradebeispiel dafür ist die Republik der Philippinen, weiß Thomas Berger zu berichten. Rekrutiert werden Frauen und Männer entweder nach Hongkong oder in arabische Staaten, um dort auf dem Bau oder in Kinderstuben zu arbeiten. Ähnlich ergeht es den monatlich Hunderten Arbeiterinnen und Arbeitern aus Ghana, wie aus Jörg Kronauers Beitrag über die jährliche Arbeitsmigration aus Westafrika nach Europa sowie innerhalb der Region hervorgeht.

Neben dem direkten Zugriff auf Menschen im Ausland als Arbeitskraft sorgt ein immer wichtiger werdender Faktor für globale Migrationsbewegungen: die Erderwärmung. Wolfgang Pomrehn schreibt über die schon heute eintretenden Folgen steigender Meeresspiegel und zerstörter Ökosysteme für die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen. Diese müssen sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause machen.

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