Beauftragte erfüllt Auftrag
Von Marc Bebenroth
Wer sogar den Zusammenbruch der Wirtschaft im Ostdeutschland der 1990er Jahre der politischen Führung der DDR anlastet, hat eine Mission. So diente auch der Termin am Dienstag in der Bundespressekonferenz vor allem zwei Zielen: einmal mehr der Öffentlichkeit die Doktrin vom »Unrechtsstaat DDR« in Erinnerung rufen und die Forderung nach höheren Leistungen für amtlich definierte Opfergruppen stellen. In ihrer Rolle als vom Bundestag bestellte »Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur« hat Evelyn Zupke sich vor allem für die staatliche Entschädigung der Menschen ausgesprochen, die aufgrund des »Zwangsdopings« des DDR-Sportsystems bis heute gesundheitliche Belastungen erleiden würden.
Den anwesenden Journalisten stellte Zupke ihren neuen Jahresbericht vor, den sie am selben Tag an Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CSU) überreichte. Das dafür gewählte Datum, der 17. Juni, ist die übliche Anspielung auf die Proteste und Kundgebungen in der DDR im Jahr 1953, die in der BRD-Rückschau zum »Volks«- oder »Arbeiteraufstand« stilisiert werden. Dem 104 Seiten umfassenden Papier zufolge unterscheidet die Bundesbeauftragte neben den zwangsweise und teils ohne deren Wissen Gedopten noch zwischen 21 weiteren Opfergruppen, wobei die in Westdeutschland lebenden Betroffenen als eigene Gruppe zählen.
Bekannt sei über deren Größe nur, dass »rund ein Fünftel« aller Bezieher der sogenannten SED-Opferrente in den westdeutschen Bundesländern lebt. Insgesamt bilde diese Gruppe »das gesamte Spektrum« erlebten »SED-Unrechts« ab: »politische Haft, Zersetzung oder Einweisung in Spezialkinderheime und Jugendwerkhöfe oder Anstalten« sowie »politisch motivierte Eingriffe in Familien«, Zwangsaussiedlungen – von der deutsch-deutschen Grenze ins DDR-Inland –, Verhinderung von Bildungs- und Berufswegen und Schulabschlüssen.
Konkrete Zahlen nannte Zupke auf Nachfrage von jW zu den »politischen Häftlingen«. Zwischen den Jahren 1945 und 1989 – die Bundesbeauftragte zählt Fälle aus der Besatzungszeit nach dem Krieg mit – seien es rund 250.000 gewesen. »Hier schwanken die Zahlen etwas«, relativierte Zupke die mit Blick auf die Zeitspanne von knapp 45 Jahren auffallend hoch wirkende Angabe. In jedem Jahr hätte es demnach mehrere tausend neue politische Häftlinge geben müssen. Die »Schwankungen« lägen daran, »dass eben viele Menschen auch schon tot sind« und nicht »von Anfang an alles dokumentiert und erfasst werden konnte«, wie das heutzutage möglich sei.
Unterschieden werde zwischen den »Politischen«, also denjenigen, »die nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz« erfasst seien, und den »Jugendlichen, die in Spezialkinderheimen und Jugendhöfen waren«. Bei letzteren handele es sich um etwa 135.000 Menschen. »Das sind die, die die Opferrente auch bekommen, zum Beispiel, wenn sie mehr als 90 Tage inhaftiert waren«, erklärte Zupke.
Mit Blick auf Gefangene, die in der DDR Möbel etwa für IKEA produziert hatten, begrüßte Zupke, dass das schwedische Unternehmen sich mit sechs Millionen Euro an der Entschädigung der Betroffenen beteilige. Auf jW-Nachfrage, was die Arbeit von Gefängnisinsassen speziell mit der »SED-Diktatur« zu tun habe, sagte die Beauftragte: »Die DDR war eine Diktatur«, und diese Menschen seien unschuldig im Gefängnis gewesen. »Sie mussten diese Haftzwangsarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen leisten«, betonte Zupke.
Der Jahresbericht listet unter den »SED-Opfern« auch »Inhaftierte der sowjetischen Speziallager und ihre Angehörigen« auf. »Etwa 176.000« hätten in den Speziallagern eingesessen, heißt es. Unter ihnen nicht nur NSDAP-Mitglieder oder Repräsentanten des faschistischen Staatsapparates, sondern auch, so wörtlich, »Partisanen« und jene, die sich »ablehnend« gegenüber der Besatzungsmacht »verhielten«.
In dem Zupke-Papier wird behauptet, dass die sowjetische Seite keine »präzisen Kriterien« zur Entnazifizierung formuliert habe. Der Bericht postuliert, dass »tatsächlich für das NS-System Verantwortliche« nur »in geringem Maße« in den Speziallagern einsaßen. Die Mehrzahl seien »einfache NSDAP-Mitglieder, Mitläufer und Parteifunktionäre der unteren Ebene« sowie »vollkommen Unbeteiligte« gewesen. Auf Nachfrage von jW, ob mit dem staatlichen Gedenken an »Opfer des Kommunismus«, zum Beispiel durch das geplante Mahnmal, nicht auch Faschisten geehrt werden, betonte die Opferbeauftragte, dass man Nazis keineswegs zu den Opfergruppen zähle.
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