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Aus: Ausgabe vom 18.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Inneres Beben

Nach der Verletzung: Eva Victors Film »Sorry, Baby«
Von Wolfgang Nierlin
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Es geht ihr nicht gut: Agnes (Eva Victor)

Es ist ziemlich kalt, als die 28jährige Agnes (Eva Victor) von ihrer früheren Kommilitonin und langjährigen Freundin Lydie (Naomie Ackie) besucht wird. Die junge Literaturdozentin lebt allein in einem vereinzelt stehenden Haus einer kleinen Universitätsstadt im Bundesstaat Massachusetts und fühlt sich tatsächlich oft einsam. Die beiden Frauen sind sehr vertraut miteinander und vermissen gegenseitig ihre gewachsene Nähe, seit Lydie nach New York gezogen ist, wo sie als Autorin zusammen mit ihrer Lebenspartnerin Fran lebt. Infolge einer Samenspende ist Lydie in der zehnten Woche schwanger, was für die beiden ein Grund zur Freude ist und zugleich Anlass für allerlei Witzeleien über männliche Sexualität und über Mutterschaft. Dabei fehlt es den beiden schlagfertigen Protagonistinnen nicht an Ironie und Spott. Sie verkörpern junge, gebildete, moderne Frauen, die mehr oder weniger mit ihrem Beziehungs- und Lebensstatus hadern oder sich noch in einer Phase des Übergangs befinden.

Das trifft vor allem auf Agnes zu, die zwar ein loses Verhältnis mit ihrem Nachbarn Gavin (Lucas Hedges) pflegt, für eine Bindung, gar eine Familie mit Kindern aber nicht bereit ist. Selbst die Tatsache des Älterwerdens ist für sie schwer vorstellbar. Denn seit einem sexuellen Übergriff durch ihren Doktorvater Preston Decker (Louis Cancelmi) ist die allseits beliebte Juniorprofessorin schwer traumatisiert, depressiv und leidet unter Panikattacken. In Eva Victors tragikomischem Debütfilm »Sorry, Baby«, der in fünf zeitlich getrennte Episoden gegliedert ist, wird dieser gravierende Lebenseinschnitt in einer Rückblende des Kapitels »Das Jahr mit der schlimmen Sache« erzählt. Die Tat selbst wird klugerweise nicht gezeigt. Statt dessen blickt die Kamera in einer langen Einstellung von außen auf das Haus des Professors, während die wechselnden Lichtverhältnisse das Verstreichen der Zeit anzeigen. Erst die lange Autofahrt nach Hause und Agnes’ detaillierter Bericht gegenüber Lydie vermitteln das Ausmaß der Verletzung.

Eva Victor macht aus diesem dramatischen Stoff aber keine klassische Opfergeschichte mit Spannungsbogen oder gar mit einer kriminalistischen Bearbeitung des Falls. Auch bleibt die Tonlage des Films trotz aller melancholischen Schwere immer stark ironisch. Der intelligente Galgenhumor der von Eva Victor selbst gespielten Protagonistin fungiert gewissermaßen als Selbstschutz. Zugleich entlarvt er mit beißendem Spott absurde gesellschaftliche Normen und sprachlich definierte Machtverhältnisse. Victors lakonischer, entdramatisierter Erzählstil und das naturalistische Setting deuten aber vor allem auf ein leises, inneres Beben und den Prozess einer schwierigen, fast unmerklichen Heilung hin, der in »Sorry, Baby« von einem freundlichen Fremden (John Caroll Lynch), dem zugelaufenen Kätzchen Olga und der tiefen Freundschaft mit Lydie unterstützt wird. Schließlich ist es das neugeborene Baby Jane, dem Agnes in einem berührenden Moment auf ihre typische Art Beistand und Schutz verspricht angesichts der Unwägbarkeiten des bevorstehenden unbekannten Lebens: »Ich werde dir zuhören, ohne besorgt zu sein.«

»Sorry, Baby«, Regie: Eva Victor, USA/Spanien/Frankreich 2025, 104 Min., Kinostart: heute

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