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Aus: Ausgabe vom 13.12.2025, Seite 2 / Ausland
Friedenspolitischer Verein in Wien

Was meinen Sie mit medialer Kriminalisierung?

20 Jahre nach einem Interview mit einem Hamas-Anführer wird seinem Verein Kontaktschuld vorgeworfen, klagt Marcus Scholz
Interview: Dieter Reinisch
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Von Palästina-Hassern entstelltes Graffito in Berlin-Neukölln (31.10.2023)

In den vergangenen Monaten gab es mehrere Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Arbeit Ihres Vereins Dar al Janub. Was ist passiert?

Zwischen Februar und September fanden an fünf Orten Hausdurchsuchungen wegen unserer Vereinstätigkeiten statt. Seit 2003 sind wir als eingetragener Verein tätig. Die Hausdurchsuchungen wurden von der Staatsanwaltschaft unternommen, weil sie uns unterstellt, wir seien Mitglieder sowie Unterstützer terroristischer und krimineller Organisationen, und wir würden zu terroristischen und kriminellen Straftaten aufrufen. Auch bei mir gab es Hausdurchsuchungen. Es wurden elektronische Geräte, Datenträger, private Notizbücher und Bücher beschlagnahmt.

Was macht Ihr Verein denn?

Wir versuchen seit 2003, marginalisierten Stimmen aus dem globalen Süden und Leuten, die von Rassismus betroffen sind, eine Plattform zu geben und so auf lokale und globale Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Wir haben Reisen in den Libanon und nach Palästina unternommen, Konferenzen organisiert und an Demonstrationen teilgenommen.

Auch mit staatlichen Geldgebern haben wir zusammengearbeitet, darunter die Stadt Wien, die Austrian Development Agency und der OPEC-Fonds. Wir haben Deutschkurse mit der Stadt Wien veranstaltet und palästinensisches Kunsthandwerk nach Österreich gebracht, um kulturelles Erbe zu präsentieren. Wir haben zivilgesellschaftliches Engagement geleistet und sind daher sehr verwundert, dass wir in den letzten Jahren medial kriminalisiert wurden und nun Ermittlungen gegen uns laufen.

Was meinen Sie mit medialer Kriminalisierung?

Lange Zeit wurden wir, genauso wie alle anderen palästinensischen Solidaritätsorganisationen, totgeschwiegen. Das änderte sich ab 2022, als wir auf die sogenannte Islamlandkarte gesetzt wurden.

Was ist das für eine Karte?

Es ist ein universitäres Werkzeug, in dem islamische und muslimische Organisationen auf einer im Internet einsehbaren Karte markiert werden. Ab da haben die physischen Angriffe auf unseren Verein zugenommen. So gab es etwa ein Säureattentat auf unser Vereinslokal, rassistische Graffiti und telefonische Todesdrohungen.

Medien wie der Standard, Heute und die Oberösterreichische Volkszeitung haben geschrieben, dass wir Mitglieder der Hamas seien. Die Diffamierungskampagne hat in den Kreisen der SPÖ- und KPÖ-Jugendorganisationen sowie in dieser »antideutschen« Subkultur begonnen. Seit 2022 und der Islamlandkarte kommt es aber eher aus den ÖVP-Kreisen, unterstützt von der FPÖ. Im Dezember 2023 hat die ÖVP eine Strafanzeige gegen uns gestellt, die sich auf eine 17seitige Studie der »Dokumentationsstelle Politischer Islam« bezieht, ein von ihr selbst gegründetes Institut.

Die Staatsanwaltschaft hat dann dieselbe Sprache und dieselbe Stoßrichtung verwendet wie die ÖVP. Konkret wird uns Kontaktschuld vorgeworfen: Wir haben 2006 die palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon besucht und uns dort mit Organisationen wie der UNO sowie mit Repräsentanten der palästinensischen Parteien getroffen. Unter anderem haben wir mit Osama Hamdan, Mitglied des Politbüros der Hamas, ein Interview geführt, das wir auf deutsch übersetzt und in einem Buch veröffentlicht haben. Jetzt, zwanzig Jahre später, wird uns deshalb Unterstützung der Hamas vorgeworfen.

Wie verliefen die Ermittlungen nach dieser Anzeige?

Personen wurden beobachtet, Autos mit Transpondern getrackt und Telefone überwacht. Es kam dabei nichts raus. Aber trotz eines nicht bestehenden Anfangsverdachts hat die Staatsanwaltschaft beschlossen, diese Hausdurchsuchungen vorzunehmen.

Es ist nun eine Akte von insgesamt 1.600 Seiten. Inhaltlich findet sich nichts, aber es ist immer zu lesen: Wir haben diese und jene Personen getroffen. Es stoppt nicht bei der Hamas, sondern wurde auf die PFLP und den Islamischen Dschihad erweitert.

Wieso gehen Sie nun damit an die Öffentlichkeit?

Wir kennen jetzt die Akte. Wir haben nicht damit gerechnet, dass es zu einem so umfassenden Ermittlungsverfahren mit ein bis zehn Jahren Haft kommen kann. Als es dann wieder zu Hausdurchsuchungen ohne Vorverdacht kam, haben wir gesagt, dass wir uns nun zu Wort melden müssen, denn es sieht nicht nach einem Ende aus. Als der Paragraph 278 a gegen Tierschützer 2006 erstmals angewendet wurde, haben sie die sieben Jahre lang mit Hausdurchsuchungen belegt.

Marcus Scholz ist Vorsitzender des Vereins Dar al Janub – Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative

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