Regierungssturz in Sofia
Von Mawuena Martens
Vox populi vox Dei: Mit diesem lateinischen Spruch, der soviel bedeutet wie »Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes«, hat Rossen Scheljaskow am Donnerstag seinen Rücktritt als Premierminister Bulgariens sowie das Ende seiner Regierung angekündigt. Der Schritt folgte kurz vor einem Misstrauensvotum im Parlament, das die Regierung aller Wahrscheinlichkeit nach gewonnen hätte. Sie besteht aus der konservativen GERB-Partei, den Sozialdemokraten und der nationalistischen ITN. Die Entscheidung gilt daher als Folge der jüngsten Massenproteste. Bei diesen sind seit dem 26. November vor allem junge Bulgaren auf die Straße gegangen. Allein am Mittwoch waren es rund 100.000. Das Wall Street Journal vom Donnerstag wertete den Rücktritt gar als ersten erfolgreichen Regierungssturz der Generation Z – also der zwischen 1995 und 2010 Geborenen – in Europa. Tatsächlich war bei den Protesten unter anderem auch die sogenannte One-Piece-Piratenflagge aus der bekannten Manga-Serie aufgetaucht. Sie war zuvor bereits bei als »Gen Z« gelabelten Protesten in Indonesien, Madagaskar oder Nepal verwendet worden.
Auslöser der jüngsten Demonstrationen war der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr. Er sah erhöhte Sozialabgaben sowie eine Dividendensteuer vor. Der Haushaltsentwurf war jedoch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn auch seine Aussetzung und dann Rücknahme änderten nichts an der Mobilisierung. Die angestaute Wut richtete sich im Laufe der Demonstrationen vor allem gegen Korruption, verkörpert vom die Regierung stützenden Oligarchen Deljan Peewski sowie GERB-Parteichef Bojko Borissow. Peewski ist Politiker der Partei Bewegung für Rechte und Freiheit (DPS) und gilt als einflussreicher Medienunternehmer mit zahlreichen dubiosen Geschäftsbeziehungen sowie als Befürworter einer pragmatischen Ukraine-Politik. Seit 2021 steht er wegen Korruption auf einer Sanktionsliste der USA. Borissow ist mehrfach als Premier über Korruptionsaffären gestürzt.
Organisiert wurden das Misstrauensvotum sowie die Proteste vom proeuropäischen liberalen Oppositionsbündnis »Wir setzen den Wandel fort – demokratisches Bulgarien«. Peewski gab am Donnerstag an, »die Soros-Koalition« trage die Schuld am Sturz der Regierung. Welchen Zweck prowestliche Organisationen damit verfolgen sollten, erschließt sich jedoch nicht direkt. Schließlich gilt die nun zurückgetretene Regierung als am politischen Westen, der NATO und der EU orientiert. Neben Befürwortern einer EU-Integration gingen auch viele Menschen auf die Straße, die den am 1. Januar anstehenden Beitritt zur Euro-Zone kritisch sehen. Sie befürchten höhere Preise durch die Währungsumstellung – zu Recht. Selbst die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, gab bei einem Besuch in der Hauptstadt Sofia Anfang November zu, dass ein »leichter« Anstieg der Inflation zu erwarten sei. EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis, der Lagarde bei ihrer Schmeicheltour begleitete, behauptete, dass der Protest gegen die Währungsumstellung Teil von Russlands »hybridem Krieg« und »Desinformation« sei. In den vergangenen Monaten hatte es in Bulgarien immer wieder Proteste gegen den Euro gegeben. Laut Umfragen ist eine Mehrheit der Bevölkerung gegen dessen Einführung. Die Angaben schwanken zwischen 41 und 57 Prozent.
An der Entscheidung, die Landeswährung Lew abzuschaffen und den Euro einzuführen, ändert wohl auch der Rücktritt der Regierung nichts. Präsident Rumen Radew muss nun erneut die größte Partei im Parlament, die GERB, beauftragen, eine Regierung zu bilden. Sollte ihr das nicht gelingen – was als wahrscheinlich gilt –, wird er selbst eine Übergangsregierung zusammenstellen, die bis zu den Neuwahlen im kommenden Jahr im Amt bleibt. Beobachter sehen darin eine Möglichkeit für den eher moskaufreundlichen Präsidenten, eine eigene Partei zu gründen und seinen Einfluss auszubauen. Er hatte sich den Rücktrittsforderungen der Protestierenden angeschlossen und damit den Regierungssturz begünstigt. Bei den im kommenden Herbst geplanten Präsidentschaftswahlen darf er nicht erneut antreten. In der Debatte um den Euro-Beitritt hatte er sich für ein Referendum ausgesprochen.
Doch auch »Wir setzen den Wandel fort – demokratisches Bulgarien« dürfte gestärkt auf die kommenden Wahlen blicken. Das Bündnis hat bereits angekündigt, für das neu zu bildende Kabinett nicht zur Verfügung zu stehen. Ob sich überhaupt eine Kraft langfristig wird durchsetzen können, bleibt ungewiss. Schließlich haben seit 2021 insgesamt sieben Parlamentswahlen keine klaren Mehrheiten für eine Seite ergeben. Scheljaskows Regierung war erst seit Januar im Amt.
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