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Aus: Ausgabe vom 12.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Ballett

Tanz mit der Heugabel

Mit »Romantic Evolution/s« bedient das Hamburg-Ballett das Prinzip der sinnlosen Berieselung
Von Gisela Sonnenburg
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Charme, Anmut und Sprungkraft (Szene aus »La Sylphide«)

Der Schrägstrich im Titel ist symptomatisch. Es gibt kaum ein besseres Beispiel dafür, wie ein einzelnes Satzzeichen zu Kitsch werden kann: »Romantic Evolution/s« (dt. »Romantische Entwicklung/en«) will durch den Schräger zwischen Singular und Plural unterscheiden. Aber gibt es da in diesem Fall überhaupt einen Unterschied? Eben nicht. Zwei Stücke präsentiert das Hamburg-Ballett unter diesem Titel, und vom ersten zum zweiten soll sich die »romantische Entwicklung«, ob im Singular oder im Plural, vollziehen. Faktisch ist es ein Sprung: aus der Romantik in die Gegenwart.

»La Sylphide« ist das erste Stück. Die Liebesgeschichte zwischen einem weiblichen Luftgeist, standesgemäß in Tüll gehüllt, und einem erotisierten schottischen Jungmann endet tragisch. Doch zuvor entzückt der Gegensatz zwischen folkloristischen Reels, also schottischen Volkstänzen, und dem Flattertanz der Sylphiden, der Luftgeister. Das Hamburg-Ballett tanzt eine dänische Version des Stücks und somit ein berühmtes Plagiat. Denn das Original war französisch und präsentierte 1832 erstmals den Spitzentanz einer Ballerina. Marie Taglioni, so ihr Name, sorgte damit für Furore.

Der dänische Ballettchef August Bournonville sah die Vorstellung in Paris. Und machte das Stück in Kopenhagen mit neuer Musik einfach nach. 1836 premierte seine »Sylphide« mit seiner Zwangsgeliebten Lucile Grahn in der Titelpartie. Grahn verließ Bournonville später angewidert, als ihr Ruhm für ein gutes Leben im Ausland reichte.

Seither haben verschiedene Choreographen eigene Versionen der »Sylphide« geschaffen. 2012 kam die von Frank Andersen in Kopenhagen heraus. Mit ihr tingelt der frühere Erste Solist, seine Partnerin und seinen Sohn als Assistenzen im Gepäck, durch die Ballettwelt. In Berlin, London und Oregon waren sie schon, jetzt landeten sie mit ihrem romantischen Klassiker in Hamburg.

»La Sylphide« passt dort zu Ida Praetorius. Die Ballerina lernte das Tanzen in Kopenhagen. Am Premierenabend vergangenen Sonntag war sie allerdings nicht ganz fit und patzte bei einer wichtigen Drehfigur. Aber von der Anmut, dem Charme und der Sprungkraft her ist sie eine vorzügliche Sylphide. Die bezaubert ausgerechnet an dessen Hochzeitstag den Burschen James, hervorragend getanzt und gespielt von Matias Oberlin. James ist zwischen dem Luftgeist – der vielleicht nur seiner Torschlusspanik als Halluzination entspringt – und seiner Verlobten Effie (Francesca Harvey) hin- und hergerissen.

Er flieht mit der Sylphide in den Wald. Dort braut die Hexe Madge (Louis Haslach) einen giftigen Sud. James war garstig zu ihr, sie will Rache nehmen. Am nächsten Tag versucht er, seine Sylphide zur Partnerin zu machen. Aber sie entgleitet ihm immer wieder. Madge bietet die Lösung an: Mit einem vergifteten Schal soll James die luftige Schönheit einfangen.

James vertraut der Falschen. Die Sylphide stirbt, als er den Giftschal um ihre Flügel legt. Auch er selbst wird von Madge umgebracht, während Effie seinen Rivalen Gurn (toll: Francesco Cortese) heiratet. Man sieht ein kurzweiliges Lehrstück, prall gefüllt mit Niedlichkeit, Schmunzelhumor und Tragik, aber ohne tiefes Gefühl. Der Dirigent Markus Lehtinen besorgt tänzergemäß die Musik. Doch insgesamt fehlt die Magie.

Das zweite Stück wird von den Claqueuren und der Mainstreampresse gelobt, ist aber nur schwer zu ertragen. Der Tänzer Aleix Martínez hat nicht viel Talent für Choreographie. Um so begeisterter setzt er seine dürftigen Einfälle, die aus beliebigen Requisiten und akrobatischen Manövern bestehen, in der Staatsoper um. »Äther« heißt sein Stück, das an »La Sylphide« anknüpfen soll.

Ein Mann beharkt darin den nackten Bühnenboden mit einer Art Heugabel. Daneben steht ein Paar Herrenschuhe bereit, in qualmendem Zustand. Später brennt ein Sessel, ohne dass irgendeine weitere Bühnenhandlung daraus resultiert. Ein verkohlter Baumstamm soll die Weltenesche darstellen. Auch sie bleibt folgenlos.

Tanz gibt es vor allem als gefühlte Bruchstücke aus Neumeier-Stücken. John Neumeier leitete 51 Jahre das Hamburg-Ballett und gilt heute als graue Eminenz. Aber warum muss sich die Tänzerin Ida Stempelmann wie beim Sufitanz endlos um die eigene Achse drehen? Atonale Musik nervt mit Violinengekratze und anderen Klangfürzen. Inhalt? Fehlanzeige. Es herrscht sinnlose Berieselung. Nur ein Pas de deux am Schluss, zu Musik von Arvo Pärt, verströmt ein wenig Atmosphäre. Kein Wunder, dass die Oper noch wenige Stunden vor der Premiere nicht ausverkauft war.

Nächste Vorstellungen: 12., 16. und 17. Dezember 2025

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