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Aus: Ausgabe vom 28.11.2025, Seite 10 / Feuilleton
Konzert

Dieser Durst nach Liebe

Grenzenlose Gier, Entfremdung überall, doch eine bessere Welt ist möglich. Ein Gespräch mit Pablo Miró
Von Carmela Negrete
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»Wir sollten den Mut haben, intensiv zu leben« – Pablo Miró

Ihr Konzert in der UFA-Fabrik am Wochenende heißt »El manantial – Die Quelle«. Weshalb dieser Titel?

Ich glaube, dass wir in vielerlei Hinsicht in einer Zeit der Entfremdung und Konfrontation leben, im individuellen wie im kollektiven Sinne. Diese Form der Entfremdung würde ich als humanistischen Verrat bezeichnen. Babys weinen, wenn andere Babys weinen. Es gibt eine natürliche Empathie. Ich vertraue auf eine schöne Seite, die wir seit unseren Anfängen in unserer menschlichen Natur tragen. Es gibt keine Schwäne oder Enten, die sich Seen irgendeiner Stadt der Welt aneignen würden, aber dem Menschen reicht sein natürlicher Lebensraum, reicht sein Ökosystem, in dem er gut und ruhig leben kann, nicht aus. Er muss sich immer mehr aneignen. Die Entfremdungsprozesse kommen auch auf der Makroebene zum Ausdruck, in Form von Korruption und grenzenloser Gier. Aber auch auf der Mikroebene, auf menschlicher Ebene, wo wir sie allerdings im Trubel des Alltags vergessen. Wir haben ein wettbewerbsorientiertes Bildungssystem, leben in einer wettbewerbsorientierten Gesellschaft.

Ist das Kapitalismuskritik?

Der Kapitalismus führt uns zu einem Wettbewerbsdenken, und dann gibt es die Symbole des Erfolgs, die uns glauben machen, dass je mehr ich besitze und je erfolgreicher ich bin, desto größer, desto wertvoller wären Applaus, Anerkennung und Auszeichnungen. All das führt bereits in der Schule zu einem tiefen Streben nach individuellem Erfolg. Das kann auf Abwege führen – wie bei denen, die Karriere bei Goldman Sachs machen oder in einer politischen Partei, wie bei denen, die unbedingt eine Machtposition erreichen wollen – aber als Bestätigung ihres individuellen Erfolgs und nicht mit dem Ansinnen, eine verantwortungsvolle Position in der Gemeinschaft zu bekleiden.

Ich denke also, dass die Quelle, die schwer in Worte zu fassen ist, weil ich von dem Intimsten spreche, was wir Menschen in uns tragen, das große Heilmittel ist. Ich erinnere mich an Sätze von Gandhi oder von Che Guevara, der einmal sagte, jeder Kampf sei sinnvoll, sofern wir das Kind in uns und seine Zärtlichkeit gesund und lebendig halten. Für mich ist dieses Konzert am Sonnabend Teil dieser intimsten Quelle. Eine Einladung, sie zu leben. Ich glaube, dass alle Menschen einen riesigen Durst nach Humanismus haben – nach Liebe, Vereinigung, Gemeinschaft.

Deshalb ist es so schön, wenn es wie hier in Berlin so viele Demonstrationen für Frieden oder für Palästina gibt. Ich war von Anfang an mit meinem Lied für Julian Assange dabei. Sie erfüllt mich mit Freude – diese Gemeinschaft des Kampfes. Wo wir selbstlos unser individuelles Leben vergessen, statt dessen unsere Kraft, unseren Mut in den Dienst einer sehr viel größeren Sache stellen, die dieser ursprünglichen Quelle entspricht. Ich bin Musiker dieser Quelle geworden, mein Kampf für Frieden, Gerechtigkeit, für den Sozialismus, entspringt dieser Quelle – aus dem tiefen Wunsch nach einer anderen möglichen Welt, einer inklusiven Welt, in der Kinder nicht hungern müssen, in der es keine Ausbeutung von Menschen durch Menschen gibt. Der Musiker Víctor Jara sagte einmal, er singe aus Liebe, nicht aus persönlicher Ambition oder politischer Propaganda wegen.

Wir haben den ursprünglichen Sinn des Dienens und die Freude am Geben verloren. Für mich ist das eines der großen Übel, unter denen wir weltweit leiden: dieser Egoismus, wenn wir mitansehen, was der Zionismus in Israel, was Milei in Argentinien anrichten. Die Unmenschlichkeit, die überall anzutreffen ist, besorgt mich zutiefst. Dagegen gibt es nur ein Heilmittel – die Rückkehr zur tiefsten Quelle unserer Existenz. Meine Aufgabe ist es, von diesem Ort aus Musik zu machen.

Wer Sie nicht kennt, wird sich möglicherweise fragen, was für Musik genau ihn erwartet.

Ich denke, Vielfalt und Reichhaltigkeit, thematisch und musikalisch – das beschreibt meine Musik am besten. Zu hören sind Elemente aus der Folklore, dem Bossa Nova, Jazz, Pop, Chanson, auch Tangoklänge. Ich habe in Italien gelebt und singe auch auf Italienisch, werde auch Fado aus Portugal spielen. Meine Geschichte, die Orte, die ich in Lateinamerika und Europa bereist habe, habe ich musikalisch festgehalten. Ich singe immer etwas von Víctor Jara, mein Lied für Julian Assange, für Palästina, aber auch von der Liebe zur Natur. Es gibt ein Lied über den Mut, das Leben intensiv zu leben, all die verrückten Dinge zu tun, die man in diesem Leben erleben möchte: Reisen, Liebe, was auch immer. Ich denke, dass man den Mut haben sollte, intensiv zu leben. In einem ironischen Stück geht es um schreckliche Politiker wie die in Argentinien. »El canto de la luna« (Der Gesang des Mondes) erinnert an Wesentliches, an die Existenz als Ganzes. »Anda-luz« (Geh, Licht) ist ein andalusischer Flamenco, ein Ins­trumentalstück, das wir mit der ganzen Band spielen. Komponiert habe ich es, als ich die Alhambra betrachtete – ich war sehr inspiriert.

Das Konzert wird auf CD und DVD mitgeschnitten. Mutig, alles live aufzeichnen zu lassen. Welche Musiker werden Sie begleiten?

Ich glaube an das Herz, mit dem man Musik macht, an die Wärme und Herzlichkeit des Musikers, weniger an die Perfektion. Ich spiele den Abend mit großen Musikern, mit dem Pianisten Rolf Zielke etwa, der mit Musikern der Deutschen Oper arbeitet, mit Rolo Rodríguez aus Uruguay, er spielt u. a. mit Musikern des Berliner Symphonieorchesters. Oder mit Guilherme Castro, einem geschätzten Berliner Basslehrer.

Für mich ist der Abend wie ein großer Traum – die Wahrheit des Liveerlebnisses mit all seinen Höhen und Tiefen. Ein Konzert, bei dem man alles gibt. Ich finde es toll, dass in der Aufnahme Unvollkommenheiten zu hören sein werden, vor allem die Hingabe zu spüren sein wird. Ich komme, um dem Publikum mein Herz zu schenken, das erwacht, wenn ich vor ihm stehe.

Pablo Miró: »El manantial – Die Quelle«, 29.11., Beginn 20 Uhr, Einlass 19.30 Uhr, UFA-Fabrik, Viktoria-Straße 10–18, 12105 Berlin

Pablo Miró ist ein deutsch-argentinischer Musiker, Gitarrist und Liedermacher. Seine Stücke atmen den Geist linker Kritik, sind beseelt vom Humanismus und getragen von der Vorstellung einer gerechteren Welt. Miró lebt in Berlin.

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