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Aus: Ausgabe vom 26.11.2025, Seite 15 / Antifaschismus
»Antifa Ost«

Nazigegner hinter Panzerglas

Sachsen: Prozessauftakt gegen sieben Antifaschisten vor dem OLG Dresden. Verteidigung hält Kronzeugen für unglaubwürdig
Von Kristian Stemmler
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Unterstützer der Angeklagten drapieren ihren Standort mit teils bunten Bannern (Dresden, 25.11.2025)

Draußen vor dem Gerichtsgebäude positionieren sich einige Unterstützer. Sie halten Schilder und ein Transparent hoch. »Free all Antifas« ist auf diesem zu lesen. Am Einlass zum Dresdner Hochsicherheitssaal wird streng kontrolliert. Die Angeklagten sind hinter Panzerglas. Der am Dienstag begonnene Prozess und die ihm zugrundeliegenden Tatvorwürfe dürften Politik, Polizei und Justiz wie gerufen kommen, um die ihnen zufolge von einem immer militanter agierenden »Linksextremismus« ausgehende Gefahr illustrieren zu können. Den sieben Angeklagten wirft die Generalstaatsanwaltschaft vor, zu einer kriminellen Vereinigung namens »Antifa Ost« zu gehören und in wechselnden Besetzungen mutmaßliche oder tatsächliche Neonazis attackiert zu haben. Vor diesem Hintergrund hatte die US-Regierung jüngst die Gruppe als »Terrororganisation« eingestuft.

Der Mammutprozess am Oberlandesgericht, für den vorerst 70 Verhandlungstage angesetzt sind, ist quasi eine Fortsetzung des Verfahrens gegen die Nazigegnerin Lina E. und drei Mitangeklagte, die ebenfalls der »Antifa Ost« zugerechnet wurden. Der Prozess war im Mai 2023 nach zweieinhalb Jahren und knapp 100 Verhandlungstagen zu Ende gegangen. Die Studentin E. war wegen mehrerer Angriffe auf Neonazis zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Gegen drei Mitbeschuldigte verhängte die Staatsschutzkammer Haftstrafen zwischen zwei Jahren, fünf Monaten und drei Jahren, drei Monaten.

Im aktuellen Verfahren wirft die Bundesanwaltschaft den Angeklagten vor, eine »überregional vernetzte Gruppierung« mit »militant linksextremistischer Ideologie« gegründet zu haben. Über mehrere Jahre hinweg soll die Gruppe »intensiv vorbereitete« Angriffe auf Personen verübt haben, die man der »rechten Szene« zurechnete, darunter ehemalige Teilnehmer von Naziaufmärschen in Dresden und Magdeburg und Leon R., Betreiber der Neonazikneipe »Bulls Eye« in Eisenach. Die Angeklagten sollen einen Laden der rechten Bekleidungsmarke Thor Steinar in Dortmund attackiert haben. Weitere Angriffe sollen im Februar 2023 in Budapest rund um den »Tag der Ehre«, einen internationalen Neonaziaufmarsch, stattgefunden haben.

Im Mittelpunkt des Verfahrens steht Johann G., dem die Generalanwaltschaft gemeinsam mit Lina E. eine »herausgehobene Stellung« in der Gruppe zuschreibt. Ihm werden Angriffe und Angriffsplanungen in der BRD sowie Attacken auf Neonazis in Budapest vorgeworfen. Nach einer Öffentlichkeitsfahndung wurde G. 2024 festgenommen und sitzt seither in Dresden in Untersuchungshaft. Der Angeklagte Tobias E. wurde in Budapest bereits zu einer Haftstrafe verurteilt und nach Deutschland überstellt. Paul M. gehört zu den Beschuldigten, die sich Anfang 2025 der Polizei gestellt hatten. Gegen sechs andere beginnt im Januar ein Prozess in Düsseldorf. Besondere Brisanz hat der beginnende Prozess durch den Vorwurf des versuchten Mordes gegen Johann G., Tobias E. und Paul M.

Wie im ersten »Antifa Ost«-Prozess soll der Kronzeuge Johannes D. erneut aussagen. Seine umfangreiche Kooperation mit den Behörden bildet einen zentralen Teil der Anklage. Der Mann sieht sich mit schwerwiegenden Vorwürfen sexualisierter Gewalt aus der linken Szene konfrontiert, er hatte sich erst nach deren Veröffentlichung zur Kooperation mit den Behörden entschieden. Es hänge viel davon ab, wie glaubwürdig das Gericht seine Aussagen einordne, erklärte Verteidigerin Kristin Pietrzyk gegenüber der Wochenzeitung Freitag. Lena Wallsdrof, Sprecherin des Ermittlungsausschusses Dresden, sagte dem Blatt, sie halte D. für unglaubwürdig. Durch sein »Anbiedern an die Behörden« müsse er »natürlich liefern«.

Für die Aktivistin liegt auf der Hand, dass der Prozess vor allem auch einem politischen Zweck dient. »Antifaschismus ist faktisch zu einem Schimpfwort degradiert worden«, sagte sie dem Freitag. Damit solle eine politische Idee, »die sich für den Schutz von Menschenleben einsetzt, diffamiert und in eine kriminelle Ecke gedrängt werden«. Es sei, so Wallsdrof, »auch ein Signal an Menschen, die nicht militant sind. Das soll uns spalten.«

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