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Aus: Ausgabe vom 26.11.2025, Seite 3 / Inland
Schüler gegen Wehrpflicht

Warum sollen Schülerinnen und Schüler dagegen streiken?

Bundesweit bereiten Komitees Proteste gegen die Wehrpflicht vor. Aufrüstung ist Kriegsvorbereitung, warnt Hannes Kramer
Interview: Gitta Düperthal
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Mit ihrem Protest könnten die Schüler die Rüstungspläne der Bundesregierung durchkreuzen (München, 8.11.2025)

Gegen das »Gesetz zur Wehrdienstmodernisierung« sind für den 5. Dezember bundesweite Schulstreiks geplant. Was bringt Sie gegen den Dienst auf, der zunächst freiwillig sein soll?

Laut Gesetzestext bleibt der Wehrdienst nur so lange freiwillig, wie sich ausreichend Freiwillige finden. Ansonsten kann der Staat den Dienst an der Waffe auch erzwingen. Es darf nicht sein, dass über die Köpfe der jungen Menschen hinweg über deren Zukunft bestimmt wird. Wir wollen gefragt werden und sind grundsätzlich dagegen, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Wir sind gegen ein Hochrüsten der BRD und lehnen ab, dass die Waffenindustrie damit Geld verdient. Für Rüstung konnte fix die Schuldenbremse ausgesetzt werden, nicht aber dafür, die Bildungskrise zu lösen. Zehntausende Lehrkräfte fehlen. Als ich Schulsprecher war, wurden Schüler in verdreckten, überfüllten und baufälligen Klassenräumen Druck und Perspektivlosigkeit ausgesetzt.

Die Regierung plant, perspektivisch zunächst alle jungen Männer der Jahrgänge ab 2008 auf ihre Eignung für den Dienst in der Bundeswehr zu mustern. Weshalb wollen Sie dagegen an den Schulen protestieren?

Die Schule ist ein Ort, wo für das spätere Leben wichtige Dinge vermittelt werden sollen. Hier bereiten wir den Widerstand gegen diesen Eingriff ins Leben junger Menschen vor. Viele, die jetzt dazu gezwungen werden sollen, werden selbst aktiv. Und es kommt Bewegung rein, denn sie haben Geschwister, Freunde, Eltern, Lehrkräfte. Wir müssen jetzt zusammenstehen.

Militärlobbyisten rufen unter anderem in TV-Talkformaten die Bevölkerung dazu auf, »die Demokratie« zu verteidigen. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?

Das Narrativ »Du musst jetzt kämpfen, die Demokratie verteidigen« zieht nicht. Ellenbogenmentalität, kaputtgespartes Bildungssystem: Das soll eine Gesellschaft für junge Menschen sein? Unser Streikkomitee verweist auf die Greenpeace-Studie, nach der Russland der NATO militärisch unterlegen ist. Absurd diese Drohkulisse: Der Russe stehe vor Berlin oder an der Ostflanke und werde uns überrollen! Wir betrachten Aufrüstung als Kriegsvorbereitung. So diskutieren wir es mit Lehrkräften, die sagen, das Einsetzen für unsere Rechte sei gut, es gelte aber, das Thema von allen Seiten zu beleuchten.

In der Debatte um die Wehrpflicht führen Befürworter an, dass es keine Gleichberechtigung von Männern und Frauen gebe. Alle müssten für die Bundeswehr berücksichtigt werden. Was wäre daran gerechter?

Wir sind dagegen, Frauen an der Waffe auszubilden, damit sie im Krieg »sterben dürfen«. Wehrpflicht an sich ist eine ungerechte Sache.

Die Linke kritisiert, das Angebot der Bundeswehr von 2.600 Euro brutto im Monat plus Führerscheinfinanzierung bei Verpflichtung von einem Jahr ziele auf Jugendliche aus armen Familien. Die Arbeit im Sozialdienst, monatlich nur mit 644 Euro honoriert, könnten die sich kaum leisten. Teilen Sie diese Einschätzung?

Wir kritisieren solche materiellen Anreize. Am Ende ist es kein lohnendes Angebot, auch nicht für Jugendliche an berufsbildenden Schulen, die oft nicht aus wohlhabendem Elternhaus kommen. In der aktuell angespannten Lage bedeutet es: Du bekommst militärischen Drill eingebläut, verlierst dein Selbstbestimmungsrecht, musst schlimmstenfalls für Interessen, die nicht deine sind, töten oder sterben. Oder: Du brichst eben jetzt mit einem Streik die Regeln, stehst für deine Rechte ein.

Die Bundeswehr verfügt über ein großes Budget für Kampagnen im Netz und im öffentlichen Raum. Wie gehen Sie mit den Auftritten von Offizieren in Schulen um?

Wir engagieren uns dafür, dass die Bundeswehr keine Möglichkeit bekommt, in Schulen junge Menschen anzuwerben und zu rekrutieren. Sie ist schließlich kein normaler Arbeitgeber.

Wie laufen die Streikvorbereitungen?

Schulstreik bringt Aufmerksamkeit. Das wissen wir seit den Klimastreiks von »Fridays for Future«. In Göttingen haben wir uns, nachdem der Gesetzentwurf bekannt wurde, in die bundesweite Debatte eingeschaltet. Viele sind begeistert, wollen mitmachen, nicht nur Gymnasiasten. In Göttingen war es schwer, einen Raum zu finden, der groß genug ist. Leuten, die resignieren, sagen wir: Wir starten ja erst. Und: Der Streik ist nicht das einzige, das wir entgegensetzen können.

Hannes Kramer ist Sprecher des Planungskomitees für den Schulstreik am 5. Dezember in Göttingen

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