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Aus: Ausbildung, Beilage der jW vom 03.09.2025
Militarisierte Bildung

Griff nach der Jugend

»Zeitenwende« an Schulen: Während Bayern den Besuch von Jugendoffizieren verpflichten will, stellen sich Schüler in Cottbus der Kriegspropaganda entgegen
Von Simon Massone
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»Soldaten in der KFZ-Instandhaltung« am Kettenlauf eines »Marder«-Schützenpanzers

Es ist nichts Neues, dass die Bundeswehr in Schulen um Nachwuchs wirbt. Militarismus ist keine Randerscheinung, sondern ein fester Bestandteil des Kapitalismus. Kriege entstehen nicht zufällig, sondern aus der Notwendigkeit für Konzerne, billige Rohstoffquellen, Handelswege und Absatzmärkte unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch Deutschland rüstet in diesem Zusammenhang drastisch auf, um seine Rolle innerhalb der NATO auszubauen und im internationalen Konkurrenzkampf zu bestehen.

Ein Beispiel für die Militarisierung im Bildungsbereich sind sogenannte Kooperationsvereinbarungen zwischen den Kultusministerien der Länder und der Bundeswehr. Durch diese ist es möglich, Jugendoffiziere in den Unterricht zu schicken und die Bundeswehr an der Lehreraus- und -weiterbildung zu beteiligen. Auch werden so Besuche von militärischen Einrichtungen sowie die Veröffentlichung von Werbematerial der Armee über die Bildungsministerien möglich. Der gerade vom Kabinett beschlossene Wehrdienstentwurf wird wohl direkt nach der Sommerpause im Bundestag diskutiert.

Kriegspropaganda im Unterricht

Neben diesem sind Jugendoffiziere in den Schulen für die Militarisierung der Jugend »außerordentlich wichtig«, wie es der Brigadegeneral und Kommandeur des Landeskommandos Hessen, Holger Radmann, erklärte. Auf diese Weise kann die Bundeswehr unwidersprochen Einfluss auf die Inhalte des Unterrichts nehmen und das Thema Krieg und Frieden einseitig darstellen. So wird der Grundsatz politischer Neutralität im Unterricht, der sogenannte Beutelsbacher Konsens, ausgehöhlt. Dieser legt drei Grundprinzipien fest: Erstens das Überwältigungsverbot, also das Verbot, Schülerinnen zu indoktrinieren. Zweitens das Gebot, politische und wissenschaftliche Kontroversen auch im Unterricht als solche darzustellen. Und drittens das Ziel, Jugendliche zu befähigen, ihre eigenen Interessen in politischen Fragen zu erkennen und zu vertreten.

Wenn jedoch Jugendoffiziere allein die Sichtweise der Bundeswehr präsentieren, werden diese Prinzipien ausgehebelt. Kritische Perspektiven, etwa friedenspolitische oder antimilitaristische Positionen, kommen nicht zu Wort. Diese »Aufklärungsarbeit« der Jugendoffiziere soll Schüler auf einen möglichen Kriegsfall vorbereiten. Die Richtung ist klar: So forderte etwa Bettina Stark-Watzinger in ihrer Rolle als Bildungsministerin der Ampelkoalition, Schulen sollten ein »unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr« entwickeln.

Alle Bundesländer haben inzwischen Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr geschlossen. Offiziell wird dies als Beitrag zur politischen Bildung verkauft, tatsächlich dienen sie einem anderen Zweck. Wer einen großen Krieg vorbereitet, braucht eine Gesellschaft, die diesen mitträgt, an der Waffe ebenso wie in der Produktion im Hinterland. Deshalb heißt es auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, man wolle die Bundeswehr »noch stärker im öffentlichen Leben verankern« und die Rolle der Jugendoffiziere an Schulen ausbauen. Das formuliert klar den Anspruch, Zustimmung zu Aufrüstung und Krieg zu sichern. Der Unterricht dient so dazu, Akzeptanz für militärische Einsätze zu schaffen, und bindet die Jugend frühzeitig in die Logik der Kriegsfähigkeit ein.

Doch die bestehenden Kooperationsvereinbarungen reichen vielen Politikern längst nicht mehr aus. Bayern prescht mit einem Gesetzentwurf zur »Förderung der Bundeswehr« vor, der eine deutliche Verschärfung bedeutet. Die Zivilklausel an Hochschulen soll fallen und der bislang freiwillige Besuch von Jugendoffizieren an Schulen wird zur Pflicht erklärt. Es dreht die bisherige Debatte um: Es geht nicht mehr länger darum, ob Jugendoffiziere an Schulen überhaupt zugelassen werden sollen. Das Bundesland dient damit als Test für weitere Vorstöße, und es ist zu erwarten, dass andere dem Beispiel folgen.

Die ständige Unterfinanzierung des Bildungssystems, der Lehrkräftemangel und die permanente Überbelastung spielen der Bundeswehr in die Hände: Wo kaum Zeit bleibt, eigenständige Unterrichtsmaterialien zu entwickeln, bringt die Bundeswehr eigene Angebote ein. Magazine wie die Handreichung Frieden und Sicherheit oder Be Strong werden kostenlos an Schulen verteilt und bereiten sicherheitspolitische Themen für Jugendliche im Sinne der Armee auf. Lehrkräfte können so auf vorgefertigte Unterrichtseinheiten zurückgreifen und machen die einseitigen Propagandainhalte schlechtenfalls zu einem Teil des Schulalltags.

Die Zahlen der neuen Rekruten in der Bundeswehr zeigen, dass das Kalkül aufgeht. 2024 ist die Zahl der Minderjährigen auf mehr als zehn Prozent der neu Rekrutierten gestiegen. Das ist zusammen mit 2.200 neu eingestellten Soldatinnen und Soldaten, die bei Diensteintritt erst 17 Jahre sind, ein neuer Rekordwert. Seit Jahren fordert der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, dass jede Werbung bei Minderjährigen verboten wird. Die Bundesregierung ignoriert das. Weiterhin können unter 18jährige bei der Bundeswehr rekrutiert werden.

Widerstand organisiert sich

Das bleibt nicht ohne Widerspruch. Immer wieder regt sich Protest von Schülerinnen, Studierenden, Lehrkräften und der Friedensbewegung. Die GEW positioniert sich klar gegen jede Einflussnahme der Bundeswehr auf Lehrinhalte und verweist auf besagte UN-Kinderrechtskonvention, die Kinder und Jugendliche vor Rekrutierung schützen soll. Gemeinsam mit über 200 weiteren Initiativen hat sie eine Verfassungsklage gegen das bayerische Kooperationsgesetz eingereicht.

Der »Gegenwehr«-Kongress in Köln im Februar wurde von der NRW-»Landesschüler*innenvertretung« der Gewerkschaft, der Fachschaft Physik der Uni Köln und der DFG-VK getragen. Hunderte junge Menschen und Interessierte kamen zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und sich zu vernetzen. Eine gemeinsame Resolution erteilte Militarisierung und dem Drang des deutschen Imperialismus nach Expansion eine klare Absage. Auch lokal formiert sich Widerstand. In Cottbus organisierten sich Schüler zusammen mit ihrer Schülervertretung, um ihre Schule zur »Schule ohne Bundeswehr – Schule für den Frieden« zu erklären.

Auch die SDAJ ist aktiv. Auf der Straße, ob mit Friedensdemonstrationen, mit Bundeswehr-Störaktionen an Schulen, bei Ausbildungsmessen oder auf Straßenfesten. Die Kampagnen »Eure Kriege – ohne uns!« und »Nein zur Wehrpflicht« organisieren bundesweit Widerstand gegen die Militarisierung der Jugend. So wird sichtbar, dass sich die arbeitende und lernende Jugend wehrt – gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht, gegen Milliarden für Krieg und Aufrüstung und gegen die alltägliche Präsenz der Bundeswehr im Klassenzimmer. Das zeigt: Die Jugend lässt sich nicht kampflos zur Kriegsfähigkeit erziehen.

Unsere Zukunft ≠ ihre Kriege

Die Bundesregierung hat sich auf einen Gesetzentwurf zum »neuen Wehrdienst« geeinigt. Das geplante Gesetz sieht vor, dass ab 2026 alle 18jährigen eines Jahrgangs einen Fragebogen erhalten. Männliche Jugendliche sind verpflichtet, diesen auszufüllen. Auf Grundlage der Angaben kann eine Einladung zur Musterung erfolgen. Abgefragt werden sowohl die körperliche Verfassung als auch die Bereitschaft, einen Wehrdienst abzuleisten. Dieser soll zunächst auf Freiwilligkeit beruhen und eine Dauer von sechs Monaten haben.

Sollte die Zahl der Freiwilligen nicht ausreichen, so die gleichzeitigen Ankündigungen, werde der »Dienst« zu Pflicht. Materielle Anreize sollen ihn attraktiver machen: So soll die Bundeswehr den Führerschein mit bis zu 3.500 Euro bezuschussen, außerdem ist ein monatliches Gehalt von etwa 2.000 Euro netto vorgesehen. Damit wären Wehrdienstleistende finanziell deutlich bessergestellt als viele Auszubildende im zivilen Bereich.

Während Schulen vielerorts mit kaputten Gebäuden, fehlenden Lehrkräften und zu wenig Geld kämpfen, werden junge Menschen zur Zielscheibe, anstatt zu selbständigem, kritischem Denken befähigt. Dabei werden die Sorgen vor Krieg, Arbeitslosigkeit, niedrigem Einkommen oder einer unsicheren Zukunft gezielt angesprochen und mit scheinbar sicheren Perspektiven beantwortet. Doch die Realität sieht anders aus: Wer eingezogen oder angeworben wird, schützt nicht sich oder seine Lieben, sondern zieht für die Interessen von Banken und Konzernen in den Krieg.

Es liegt also an uns, Schülern und Azubis, klarzumachen, dass unsere Zukunft nicht an der Front liegt. Die Klagen von Politikern, die Jugend stehe der Armee zu skeptisch gegenüber, verweisen auf einen entscheidenden Hebel: Je mehr sich gegen Krieg, Rekrutierung und Wehrpflicht stellen, desto schwerer lassen sich die Pläne von Aufrüstung und Krieg umsetzen.

Simon Massone ist Mitglied im Bundesvorstand der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ)

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