Warum sind Sie gegen die Auszeichnung der NATO?
Interview: Henning von Stoltzenberg
Die Wirtschaftliche Gesellschaft für Westfalen und Lippe e. V., WWL, hat den Internationalen Preis des Westfälischen Friedens an die NATO vergeben. Wie kommt man darauf?
Die WWL begründet die Preisvergabe damit, dass sie in der NATO einen Stabilitätsfaktor sieht, der aus ihrer Sicht »Frieden, Freiheit und Sicherheit« garantiert. Die NATO wird dabei als Verteidigungsbündnis dargestellt, das eine regelbasierte Ordnung stütze und durch militärische Stärke Sicherheit schaffe. Diese Argumentation basiert auf einem sicherheitspolitischen Ansatz, der Abschreckung und militärische Präsenz als friedensstiftend interpretiert. Genau dieses Verständnis ist jedoch hochproblematisch.
Sind Sie deshalb gegen die Auszeichnung der NATO?
Die ist kein Friedensbündnis, sondern ein Militärblock, der Kriege führt und militärische Lösungen priorisiert. Besonders der Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 – ohne UN-Mandat – zeigt, dass das Bündnis bereit ist, Völkerrecht zu umgehen, wenn es strategisch opportun erscheint. Einen Friedenspreis an ein Militärbündnis zu vergeben, das verzerrt den Begriff des Friedens. Der Journalist Heribert Prantl hat das treffend formuliert: »Das ist ungefähr so, als würde man die Metzgerinnung mit dem großen Vegetarierpreis auszeichnen.« Zur politischen Gesamtbewertung gehört auch, dass die NATO in den vergangenen Jahrzehnten eine expansive Osterweiterung betrieben hat, die trotz zahlreicher Warnungen aus Diplomatie und Friedensforschung immer weiter vorangetrieben wurde.
Sicherheit wurde nicht als unteilbar verstanden, sondern entlang von Blockgrenzen organisiert. Diese Erweiterungspolitik hat erheblich zur heutigen sicherheitspolitischen Verhärtung beigetragen. Auch im Ukraine-Krieg spielt die NATO eine zentrale indirekte Rolle: Offiziell ist sie zwar keine Kriegspartei, unterstützt die Ukraine jedoch militärisch, logistisch und nachrichtendienstlich in großem Umfang. Die schrittweise sicherheitspolitische Einbindung der Ukraine in NATO-Strukturen ist einer der Hintergründe des eskalierenden Konflikts. Wer ein Militärbündnis auszeichnet, das selbst Teil solcher Eskalationsdynamiken ist, verfehlt den Sinn eines Friedenspreises.
Worauf geht der Westfälische Friedenspreis zurück?
Der Preis bezieht sich auf die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück im Jahr 1648. Diese beendeten den Dreißigjährigen Krieg im Heiligen Römischen Reich und den Achtzigjährigen Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden, deren Unabhängigkeit 1648 völkerrechtlich anerkannt wurde. Die Verhandlungen dauerten rund fünf Jahre und waren der Versuch, nach Jahrzehnten von Gewalt, Hunger und religiöser Spaltung eine politische Lösung zu finden. Der Westfälische Frieden steht historisch für Diplomatie, Dialog, gegenseitige Anerkennung und die Fähigkeit zum Kompromiss.
Welche Lehren sollten politisch Verantwortliche heute aus Ihrer Sicht ziehen?
Der Westfälische Frieden zeigt, dass Konflikte nicht militärisch »gewonnen«, sondern politisch beendet werden. Heute dominiert hingegen eine Logik militärischen Denkens: Aufrüstung, Abschreckung und Eskalation. Auch die Deutsche und die Japanische Physikalische Gesellschaft haben in ihrer jüngsten Erklärung in Münster eindringlich vor der Gefahr einer atomaren Eskalation gewarnt. Sie betonen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse dem Frieden und dem Wohl der Menschheit dienen müssen. Diese Warnung der Wissenschaft zeigt, wie dringend eine Politik der Deeskalation gebraucht wird. Sicherheit entsteht durch Diplomatie, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Respekt vor den Sicherheitsinteressen aller Beteiligten – nicht durch die Ausweitung militärischer Blöcke.
Wer sollte den Preis statt der NATO erhalten?
Der Preis sollte an Menschen und Initiativen gehen, die zivile Konfliktbearbeitung stärken, Abrüstung fördern und humanitäre Räume öffnen. Das können internationale Mediationsnetzwerke, Organisationen, die Geflüchtete schützen, Wissenschaftler in der Rüstungskontrolle oder Gruppen sein, die Dialogprozesse in Kriegsgebieten unterstützen. Ein Friedenspreis sollte diejenigen würdigen, die Gewalt überwinden – nicht diejenigen, die militärische Strukturen ausbauen.
Jewgenij Arefiev ist Sprecher der DFG–VK-Basisgruppe Münster (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner:innen e. V.)
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