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Aus: Ausgabe vom 25.11.2025, Seite 10 / Feuilleton
Musik

Im Haifischbecken

Rufus Wainwrights makellose Kurt-Weill-Hommage
Von Andreas Schäfler
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Spiel mit Identitäten und Genres: Rufus Wainwright

Fluch oder Segen? Als Sohn des Folksängerpaars Kate Mc­Garrigle und Loudon Wainwright III wuchs der kleine Rufus von viel Genie und Wahnsinn umgeben auf. Die Chancen, dermaleinst vielleicht als Lokomotivführer oder Quantenphysiker zu reüssieren, standen nicht allzu gut. Der vorgezeichnete Weg verhieß ziemlich erbarmungslos eine eigene Musikerlaufbahn, wobei der Junior zusätzlich aufpassen musste, beim Singen nicht links und rechts von Schwester Martha und Halbschwester Lucy (aus Papas Verbindung mit der Sängerin Suzzy Roche) überholt zu werden. Also entwickelte er bereits als Halbwüchsiger ein robustes Faible für die Oper – wenn schon, denn schon!

Dass er sich eines Tages über die Musik von Kurt Weill hermachen würde, war somit fast schon absehbar. Um so erfreulicher, dass er das Vorhaben nach viel kunstsinnigem Pop und der Versöhnung mit seinen Folk-Roots nun im Zenit seines Könnens realisiert hat – denn die Latte liegt gerade bei diesem Komponisten hoch. Weill hatte ja nicht weniger als »die Vermählung des Profanen mit dem Göttlichen« angestrebt und in seinem Werk die Grenzen zwischen E- und U-Musik dann auch tatsächlich zu überwinden vermocht. Dafür stehen die weltbekannten Songs aus »Mahagonny«, der »Dreigroschenoper« und »Lost in the Stars«, an denen sich im Lauf der Jahrzehnte viele namhafte Interpreten von Lotte Lenya (mit der Weill gleich zweimal verheiratet war) bis Robbie Williams mit wechselndem Erfolg versuchten.

Nachdem Wainwright jahrelang für die werktreuen Weill-Versionen der kanadischen Diva Teresa Stratas geschwärmt hatte, wagte er sich 2023, zunächst im kleinen Rahmen des New ­Yorker Café Carlyle, endlich selbst an die Materie. Für das größtenteils live eingespielte Album »I’m a Stranger Here Myself – Wainwright Does Weill« unternahm er schließlich den Schritt auf die große Bühne des Theatre-at-Ace-Hotels in Los Angeles, mit dem 40köpfigen ­Pacific Jazz Orchestra im Rücken. Was für ein Tschingderassassa, wenn diese symphonische Bigband Weills Standards »Mack the Knife«, »September Song« oder »Je ne t’aime pas« auffährt, mit deren Wohlklängen und Dissonanzen Wainwright als Solist zudem nicht die geringste Mühe bekundet! Arrangeur Chris Walden (seit vielen Jahren musikalischer Leiter bei den Oscarverleihungen) dimmt den triumphalen Klangkörper jedoch wann immer erforderlich auch mal auf intime Zimmerlautstärke herunter, den feinen Nuancen des Gesangs, einer einsamen Klarinette oder der filigranen Percussion in »It Never Was You« zuliebe.

»Lost in the Stars« wurde mit dem etwas kleineren Metropole Orkest aus Amsterdam eingespielt, bei der »Zuhälterballade« wirkte die extravagante Diseuse Viola Odette Harlow (die sich als Internetstar Glüme nennt) mit, und für die fast nackte Version von »Surabaya Johnny«, wo nur der Sänger sich selbst am Klavier begleitet, griff man auf eine Aufnahme aus dem Café Carlyle zurück. Bis in die charmante Mehrsprachigkeit der Texte hinein legt Wainwright die Vielzahl musikalischer Quellen offen, aus denen Kurt Weill für seine Musik geschöpft hat. Der afroamerikanische Schriftsteller Langston Hughes nannte den deutschen Komponisten, mit dem er nach dessen Übersiedlung in die USA am Broadway zusammenarbeitete, »einen wahrhaft universellen Künstler, den Deutschland ebenso zu Recht als Deutschen wie Frankreich als Franzosen, Amerika als Amerikaner und ich als Schwarzen beanspruchen konnte«.

Das Spiel mit verschiedenen Identitäten und Genres ist auch ganz nach Rufus Wainwrights Geschmack. Sein schwelgerisches »Folkocracy«-Album vor zwei Jahren war der geglückte Rückgriff auf die Familientradition, zuletzt war er an einer exzessiven Musical-Bearbeitung von John Cassavetes’ Film »Opening Night« beteiligt (die im Oktober bei ihrer einmaligen Vorführung in New York 60.000 US-Dollar für eine Bürgerrechts-NGO einspielte) und rettet nun also die musikalische Essenz von Kurt Weill in die Gegenwart hinüber.

Vor einer kleinen Ewigkeit produzierte Hal Willner seinen berühmt-berüchtigten Weill-Sampler mit mutwillig postmodernen Interpretationen von Lou Reed, Marianne Faithfull, Tom Waits, John Zorn und vielen anderen. Das hatte seine avantgardistischen Reize und spielte auch mit dem bedauerlichen Umstand, dass Weill (1900–1950) ein Unvollendeter geblieben war. Rufus Wainwright hingegen verlässt sich ganz und gar auf die Originalpartituren, die ihn in jedem einzelnen Stück glänzen lassen – nicht nur mit makelloser Intonation und Phrasierung, sondern auch mit der Nonchalance eines großen Showmans.

Rufus Wainwright und das Pacific Jazz Orchestra: »I’m a Stranger Here Myself – Wainwright Does Weill« (Rock and Roll Credit Card/Thirty Tigers)

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