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Aus: Ausgabe vom 22.11.2025, Seite 5 / Inland
Wachsende Ungleichheit

Einkommensschere klappt auf

Bericht der Hans-Böckler-Stiftung: Ungleichheit in BRD nimmt immer weiter zu – ebenso die Unzufriedenheit mit den staatlichen Institutionen
Von Ralf Wurzbacher
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Champagner für die einen, Abstieg für die anderen – bis hinein in die Mittelschicht

Der letzte Satz im neuesten Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung müsste als oberster im Stammbuch hiesiger Regierender stehen: Von Wohlstand für alle könne keine Rede sein, heißt es da. »Sollte sich dies fortsetzen, könnte das als Brandbeschleuniger für die sozialen und politischen Bruchlinien wirken, die an unserer Gesellschaft zerren.«

Hat es längst. Das Ausmaß von Armut und Ungleichheit in der BRD ist drastisch gewachsen, ist der am Donnerstag publizierten Studie zu entnehmen. Und: Tendenziell steigt auch das Frustrationsniveau. Je weniger mensch hat, desto mehr wendet er sich von den bürgerlichen Institutionen ab. Aber die Bundesregierung begreift das nicht und befeuert die Polarisierung eifrig weiter.

Gerade erst hat Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz den »globalen Ungleichheitsnotstand« ausgerufen. Die BRD liegt voll im Trend. Die Kluft zwischen Arm und Reich war nie größer in diesem Land, konstatieren die WSI-Forscher. Messbar ist das anhand des Gini-Koeffizienten. Beim Wert null würden alle Menschen gleich viel verdienen, bei eins hätte einer das gesamte nationale Einkommen für sich allein. 2010 rangierte Deutschland bei 0,282, im Jahr 2022 schon bei 0,310. Allein in den Jahren ab 2018 ist der Indikator um sechs Prozent gestiegen, auf den »höchsten Stand« seit 1984, also seitdem mit dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) entsprechende Daten erhoben werden. Anhaltend auf einem Höchstwert ist auch die Armutsquote: Vor 15 Jahren waren noch 14,4 Prozent der Haushalte betroffen, vor drei Jahren schon 17,7 Prozent. Relativ noch stärker breitete sich die »strenge« Armut aus, sie stieg von 7,9 Prozent auf 11,8 Prozent. Die Gruppe umfasst Haushalte, die über weniger als 50 Prozent des Medianeinkommens verfügen, bei »normaler« Armut liegt die Grenze bei 60 Prozent.

»Wenn es eine soziale Marktwirtschaft nicht schafft, ihr Teilhabe- und Fairnessversprechen einzuhalten, ist das hochproblematisch für ihre Akzeptanz und die unserer Demokratie«, äußerte sich die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch, zu den Ergebnissen. »Geradezu fatal ist es, wenn wirtschaftlich Mächtige und politisch Verantwortliche daraus die genau falschen Schlüsse ziehen.« Verwiesen wird in der Analyse auf die geplante Bürgergeldreform, mit abermals verstärktem Druck auf Erwerbslose und weitreichenden materiellen Kürzungen. Deregulierte Arbeitszeiten, Abbau sozialer Rechte und sozialer Sicherung, Erleichterungen vor allem für Wohlhabende, »das wird die Probleme unserer Gesellschaft nicht lösen, sondern verschärfen«, so Kohlrausch. Nötig seien vielmehr ein tragfähiges soziales Netz, gute Tarifverträge, eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur, bezahlbare Energie, Investitionen in Bildung und Gesundheit sowie eine »fairere Steuerpolitik, die Privilegierungen für sehr hohe Vermögen abbaut«, etwa durch Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Während die Reichen immer reicher werden, zeigen sich bei der Mittelschicht Auflösungserscheinungen, speziell in der »unteren Mitte«. Der Anteil der zu dieser gehörenden Haushalte sank im Beobachtungszeitraum von 35,6 auf 32,3 Prozent. Verkleinert habe sich der Kreis, »weil Menschen in Armut abgerutscht sind, weniger, weil sie in die obere Mitte aufgestiegen sind«, erläuterte Dorothee Spannagel vom WSI. Sie warnte vor stärkeren gesellschaftlichen Spannungslinien. Objektive Benachteiligungen, vor allem die Wahrnehmung politischer Deprivation, hingen »systematisch mit antidemokratischen Einstellungen und geringem politischen Vertrauen« zusammen. So belegten die Daten bei sozial schlechter gestellten Menschen ein größeres Misstrauen gegenüber Polizei, Gerichten und den öffentlich-rechtlichen Medien. Nicht zuletzt hat die Frage »haben oder nicht haben« Einfluss auf die Wahlentscheidung, wie die Auswertung einer Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung ergab. Menschen in Armut sympathisieren demnach »überdurchschnittlich oft« mit der AfD oder der Linkspartei.

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